Kurd Laßwitz

Auf zwei Planeten


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Die können wir doch nimmer mit Freude ansehn. Arme Frau Isma!« Er nahm die Flaschen heraus.

      »Halt«, sagte er, »da in dem Futter steckt noch ein Paketchen. – Was haben wir denn da?«

      Der Verschluß hatte sich gelöst. Ein Buch in der Größe eines Notizkalenders kam zum Vorschein.

      »Na«, sagte Saltner, »Frau Isma wird uns doch nicht noch ein Album mitgegeben haben. Sehen Sie doch einmal, Grunthe, was das ist.«

      »Was geht das mich an?« sagte Grunthe unwirsch.

      Saltner schlug das Buch auf. Er stutzte sichtlich, blätterte darin und sah lange hinein.

      »Das ist –«, sagte er dann kopfschüttelnd, »das ist ja – Aber wie ist das möglich?«

      Das kleine Buch enthielt ein Wörterverzeichnis der Sprache der Martier; die Worte waren mit Hilfe der Lautzeichen des lateinischen Alphabets transkribiert, daneben befand sich eine deutsche Übersetzung und zugleich das Zeichen des Wortes in der stenographischen Schrift der Martier. Saltner hatte an den wenigen ihm bekannten Worten die Bedeutung des Inhalts erkannt.

      »Sagen Sie mir das eine«, fuhr er fort, »mir steht der Verstand still – wie kann ein deutsch-martisches Wörterbuch hierherkommen – wie kann es überhaupt existieren?«

      Grunthe streckte sprachlos die Hand aus und ergriff das Buch.

      Er warf nur einen Blick hinein. Dann sagte er leise: »Das ist die Handschrift von Ell.«

      Grübelnd schloß er die Augen. Das unlösbare Rätsel trat ihm wieder entgegen – wie kam Ell zur Kenntnis der Sprache der Marsbewohner? Und wenn er sie kannte, warum hatte er sich nicht offen ausgesprochen? Warum hatte er nicht ihm oder Torm die Sprachanleitung mitgegeben? Wie kam sie versteckt in das Futteral, unter die Flaschen?

      Er wußte keine Antwort.

      Saltner hatte inzwischen das Buch ergriffen und suchte sich daraus einige Worte zusammen.

      Da hörte er im Nebenzimmer leises Lachen und Stimmen der Martier. Der Arzt Hil war in Saltners Zimmer eingetreten. Se hatte ihn bis an die Tür begleitet und amüsierte sich köstlich über die Unordnung, welche Saltner angestiftet hatte, am meisten aber darüber, daß er bei seinem Frühstück als Teller die – Kämme benutzt hatte. Die flachen Scheiben, welche Saltner für Teller gehalten hatten, dienten den Martiern dazu, das Haar zu ordnen; sie wurden elektrisch geladen und streckten dann die Haare geradlinig vom Kopf ab. »Es ist zu lustig«, lachte Se. »Aber wir wollen ihm jetzt nichts sagen, dem armen ›deutsch Saltner‹.« Darauf zog sie sich wieder zurück. Denn es war ihr zu ›schwer‹ in den Zimmern der Bate.

      Hil trat bei Grunthe und Saltner ein.

      10 - La und Saltner

      Hil war mit dem Zustand seiner Patienten sehr zufrieden. Mit großem Interesse betrachtete er ihre Effekten. Sichtliches Erstaunen aber malte sich auf seinen Zügen, als ihm Grunthe den kleinen deutsch-martischen Sprachführer überreichte. Er blätterte eifrig darin, und indem er auf einzelne Zeichen der martischen Schrift zeigte und sich das danebenstehende deutsche Wort nennen ließ, gelang es ihm bald, einige Fragen zu stellen, die Grunthe durch das umgekehrte Verfahren beantwortete. Da es ihm selbst an Zeit gebrach, den gegenseitigem Sprachunterricht sofort eingehend aufzunehmen, fragte er Grunthe mit Hilfe des Grönländischen, ob er nicht mit La, die sich gern mit Sprachstudien beschäftigte, martisch sprechen wolle, um recht bald zu einem gegenseitigen Verständnis zu kommen. Grunthe war dies sehr unangenehm. Er war recht froh, daß sich keine von seinen Pflegerinnen hier bei ihm sehen ließ, und er wandte sich daher an Saltner mit dem Vorschlag, ihn in dieser Hinsicht zu vertreten. Obgleich dieser die Sprache der Eskimos nicht als verbindendes Hilfsmittel benutzen konnte, glaubte er doch, mit Hilfe des Ellschen Sprachführers auszukommen und erklärte sich gern zu allen Diensten bereit.

      Hil nahm den Sprachführer mit sich und geleitete Saltner in den anstoßenden großen Salon der Martier. Hier stellte er ihn einer Anzahl der dort versammelten Martier vor, unter denen sich der Leiter der Station Ra mit seiner Frau sowie neben einigen andern Martierinnen auch Se und La befanden.

      Saltner wußte nicht, wo er seine Augen zuerst hinwenden sollte. Fast alles, was er sah, war ihm fremd, am meisten aber überraschten ihn die Gestalten der Martier selbst. Es war ihm nur lieb, daß er sich aus Mangel an Sprachkenntnissen in Schweigen hüllen und sich mit dem Sehen begnügen konnte. Hil nannte ihm die Namen der einzelnen, die ihn mit ihren martischen Handbewegungen begrüßten, was Saltner mit europäischen Verbeugungen erwiderte. Nur fielen dieselben leider etwas steif aus, da er infolge der verminderten Schwere sehr vorsichtig sein mußte. Er sah wohl an den Gesichtern derjenigen Martier, welche in ihm zum ersten Mal einen Europäer erblickten, wie sie sich Mühe gaben, ihre Belustigung über seine Ungeschicklichkeit zu verbergen. Es war ihm daher sehr angenehm, als sich die Mehrzahl der Anwesenden zurückzog.

      Gleich bei seinem Eintritt war ihm neben der reizenden Se die Gestalt Las aufgefallen, und als er bei der Nennung der Namen erkannte, daß dieses wunderbare Wesen seine Sprachlehrerin sein sollte, heftete er seine Blicke erwartungsvoll auf ihre Züge. Aber in ihren großen Augen war keine Spur von Spott zu bemerken, sie begrüßte ihn mit ruhiger Liebenswürdigkeit, und ein Lächeln, das sie mit Se tauschte, sagte dieser, daß ihr dieser Bat besser gefiel als der andere. Saltner war überzeugt, daß er riesenschnelle Fortschritte im Martischen machen würde, wenn ihm die Anerkennung aus solchen Augen als Lohn winke. Er wußte nur nicht recht, wie die Sache zu beginnen sei, da keines der beiden die Sprache des andern kannte. La holte einige Bücher aus der Bibliothek, darunter den ihm schon bekannten Atlas, der ihm zur ersten Verständigung mit Se gedient hatte. Sie streckte sich dann in ihrer Lieblingsstellung auf den Diwan und winkte Saltner, sich dicht an ihrer Seite niederzulassen. Sie begann zunächst einige Gegenstände zu bezeichnen, die sich unmittelbar der Anschauung darboten, und sich die Benennung martisch und deutsch wiederholen zu lassen; dann verfuhr sie ebenso mit verschiedenen Abbildungen in den Büchern. Aber so ging die Sache zu langsam. Sie griff zu dem Sprachführer, den Se in der Hand hielt. Se hatte bis jetzt in dem Büchlein geblättert und eine Anzahl von deutschen Worten auf einem Streifen durchsichtigen Papiers einfach dadurch nachgebildet, daß sie das Papier einen Augenblick auf das betreffende gedruckte Wort legte und andrückte. Das Papier war lichtempfindlich und gehörte zu einem kleinen Taschenschnellphotograph, den man als Notizbuch bei sich zu führen pflegte. Saltner las: »Schüler fleißig. Lehrer streng. Fernhörer. Alles hören.«

      Als er wieder aufblickte, sah er, daß Se schelmisch lachte. Sie machte sich dann noch an dem Apparatentisch zu schaffen und entfernte sich mit freundlichen Winken: »Das ist recht«, sagte La, »sie hat den Phonograph aufgezogen. Danach können wir dann unser Pensum gut repetieren.«

      Darauf nahm La den Sprachführer vor und ging mit Saltner die Redensarten und kleinen Gespräche durch, welche dort in beiden Sprachen angegeben waren. Er las sie deutsch, sie martisch, und beide lachten dazwischen herzlich, wenn sie ihre Aussprache zu verbessern suchten oder komische Mißverständnisse zutage kamen. Saltner mußte La dicht über die Schulter blicken, um im Buch zu lesen. Es ließ sich nicht vermeiden, daß sein Blick nach der wunderbaren Farbe ihres Haares und den weichen Formen des Nackens abirrte und die Worte manchmal zerstreut herauskamen. Ein seltsamer Wärmestrom ging von ihrem Körper aus, und dies war nicht bloß ein Spiel seiner Phantasie; er erfuhr später, daß die Martier in der Tat eine höhere Blutwärme besitzen als die Menschen. Er merkte, daß sich seine Sinne verwirrten. Und auch dies hatte seinen Grund nicht nur in seinen Gefühlen, sondern war eine Wirkung der geringen Schwere, an die seine Konstitution noch nicht gewöhnt war. Das Blut wurde ihm stärker zu Kopfe getrieben.

      La erkannte dies bald. Sie gab ihm das Buch zu halten, lehnte sich zurück und stellte das abarische Feld ab. Alsbald fühlte sich Saltner wieder wohler, und die Studien nahmen mit erneuter Kraft ihren Fortgang. So vergingen schnell einige Stunden. Und auf einmal stellte sich heraus, daß die Lehrerin viel mehr deutsch gelernt hatte als der Schüler martisch. Nicht weniger als Saltner hatte Grunthe dabei gelernt, der den Sprechübungen durch den Fernhörer zugehört hatte. Er fragte an, ob er jetzt vielleicht das Buch auf einige Zeit erhalten könnte.

      La stellte die Schwere ab, um