Emmy von Rhoden

Der Trotzkopf


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mmy von Rhoden

      DER TROTZKOPF

      Der Trotzkopf

      »Papa, Diana hat Junge!«

      Mit diesen Worten trat ungestüm ein junges, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in das Zimmer, in dem sich außer dem Angeredeten, seiner Frau und dem Pfarrer noch Besuch aus der Nachbarschaft, ein Herr von Schäffer mit Gattin und Sohn, befanden.

      Alles lachte und wandte sich dem Mädchen zu, das ohne jede Verlegenheit auf seinen Vater zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete.

      »Es sind vier Stück, Papa«, erzählte sie lebhaft, »und sie sind braun, genau wie Diana. Komm, sieh dir sie an, es sind reizende Tierchen! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Flecke. Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt; sie müssen doch warm liegen, die kleinen Dinger!«

      Gutsbesitzer Oberamtmann Macket legte den Arm um Ilses Schultern und strich ihr das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht. Er sah sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an, wenn auch Ilses Aufzug durchaus nicht geeignet war, Wohlgefallen zu erregen, besonders jetzt nicht, da fremde Augen ihn musterten. Das abgetragene dunkelblaue Waschkleid, blusenartig gemacht und mit einem Ledergürtel gehalten, mochte wohl recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht, und einige Flecke und Risse darin dienten ebenfalls nicht dazu, sein Aussehen zu heben. Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleid hervorblickten, waren voll Staub und eher grau als schwarz. Aber Herrn Macket störte dieser Aufzug nicht; er sah in die fröhlichen braunen Augen seines Lieblings, die so wenig vorteilhafte Kleidung bemerkte er nicht.

      Er war im Begriff, sich zu erheben, um den Wunsch seines Kindes zu erfüllen, als ihm seine Gattin, eine vornehme Erscheinung von ruhigem, aber energischem Wesen, zuvorkam. Sie stand auf und trat auf Ilse zu. »Liebe Ilse«, sagte sie freundlich und nahm das Mädchen bei der Hand, »ich möchte dir etwas sagen. Willst du mir auf einen Augenblick in mein Zimmer folgen?«

      Ruhig, aber bestimmt waren die Worte gesprochen, und Ilse fühlte, daß ein Widerstand vergeblich sein würde. Ungern folgte sie der Mutter in den anstoßenden Raum.

      »Was willst du mir sagen, Mama?« fragte sie und sah Frau Macket trotzig an.

      »Nichts weiter, mein Kind, als daß du sofort auf dein Zimmer gehen und dich umkleiden sollst. Du wußtest wohl nicht, daß wir Gäste erwarten?«

      »Doch, ich wußte es, aber ich mache mir nichts daraus«, gab Ilse kurz zur Antwort.

      »Aber ich, Ilse. Mir kann es nicht gleichgültig sein, wenn du dich in einem so unordentlichen Kleid blicken läßt. Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren; bedenke, daß du seit Ostern konfirmiert bist! Eine angehende junge Dame muß den Anstand wahren. Was soll der junge Schäffer von dir denken! Er wird dich auslachen und dich verspotten.«

      »Der dumme Mensch!« fuhr Ilse auf. »Ob der über mich lacht oder spottet, ist mir ganz gleichgültig. Ich lache auch über ihn. Tut, als ob er ein Herr wäre mit seiner Hornbrille, und geht doch noch in die Schule!«

      »Er ist Primaner und neunzehn Jahre alt. Nun sei vernünftig und kleide dich um, Kind! Hörst du?«

      »Nein, ich ziehe kein andres Kleid an!«

      »Wie du willst. Aber dann bitte ich dich, daß du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst«, gab Frau Macket ruhig zur Antwort.

      Ilse biß sich auf die Unterlippe und trat heftig mit dem Fuß auf; aber sie schwieg. Schnell ging sie zur Tür hinaus und warf sie unsanft hinter sich zu. Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes. »Oh, wie schrecklich ist es jetzt!« stieß sie schluchzend hervor. »Warum mußte auch Papa wieder eine Frau nehmen! Es war so schön, als wir beide allein waren. Ich will doch keine Dame sein, ich will es nicht, und wenn sie es zehnmal sagt!«

      Als Ilse mit ihrem Vater noch allein gewesen war, hatte sie freilich ein ungebundenes und lustiges Leben geführt. Niemand durfte ihr Vorschriften machen oder ihre dummen Streiche hindern; was sie auch unternahm, galt als unübertrefflich. Das Lernen wurde nur als langweilige Nebensache betrachtet, und die Erzieherinnen fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin, oder sie gingen davon. Beklagte sich je einmal eine von ihnen bei dem Vater und faßte dieser wirklich den festen Entschluß, ein Machtwort gegen sein unbändiges Kind zu sprechen, fiel sie ihm um den Hals, nannte ihn ihren »einzigen, kleinen Papa«, obwohl Herr Macket groß und kräftig war, und küßte ihn stürmisch.

      »Ich weiß alles, was du mir sagen willst, und ich will mich ganz gewiß bessern!« Mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie ihren Vater. Ach, wie gern ließ er sich doch trösten! Er konnte seinem Kind nie ernstlich zürnen, es war sein alles.

      Als Ilses Mutter starb, legte sie ihm das kleine, hilflose Mädchen in den Arm. Ilse hatte die schönen, frohen Augen der früh Dahingeschiedenen, und wenn sie den Vater anblickte, dann war es ihm, als ob ihn die Gattin anlächle, die er so sehr geliebt hatte.

      Viele Jahre blieb Herr Macket einsam und lebte nur für sein Kind. Dann lernte er seine zweite Frau kennen. Ihr kluges, sanftes Wesen fesselte ihn so sehr, daß er sie heimführte.

      Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatz, seinem Kind die liebevollste Stiefmutter zu sein und alles aufzubieten, ihm die früh verlorene Mutter zu ersetzen; aber jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstand. Bald ein Jahr war sie nun schon im Hause, und doch war es ihr bis heute nicht gelungen, Ilses Liebe zu gewinnen.

      Die Gäste blieben zum Abendessen auf Gut Moosdorf. Als man sich zu Tisch setzte, befahl Frau Anne dem Stubenmädchen, das Fräulein zu Tisch zu rufen.

      Ilse hatte sich eingeschlossen, und das Stubenmädchen mußte erst tüchtig pochen, bevor sie sich bequemte, die Tür zu öffnen.

      »Sie sollen herunterkommen, Fräulein! Die gnädige Mama hat es befohlen«, sagte Katharine und betonte das »sollen« und »befohlen« recht auffallend.

      »Ich soll«, rief Ilse und wandte den Kopf hastig herum, »aber ich will nicht! Sag das der gnädigen Frau Mama!«

      »Ja«, erwiderte Katharine, befriedigt von dieser Antwort. Auch sie war durchaus nicht damit einverstanden, daß wieder eine Frau ins Haus gekommen war, die der schönen Freiheit ein Ende bereitete. Sie ging hinunter in das Speisezimmer und richtete Ilses Bestellung wörtlich aus.

      Herr Macket blickte seine Frau verlegen an; er wußte nicht, was diese Antwort bedeuten sollte.

      Die Hausfrau verstand die Frage, und ohne im geringsten ihren Unmut merken zu lassen, sagte sie gelassen: »Ilse ist nicht ganz wohl, lieber Richard, sie klagte etwas über Kopfschmerzen. Katharine hat ihre Bestellung ungeschickt ausgerichtet.«

      Alle Anwesenden errieten sofort, daß Frau Anne eine Ausrede gebrauchte, nur Herr Macket glaubte, daß es sich in Wahrheit so verhielt. »Wollen wir nicht lieber eine Boten zum Arzt schicken?« fragte er besorgt.

      Die Antwort gab ihm seine Tochter selbst. Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reif mit einem Stock über den großen Rasenplatz, und Tyras, der Jagdhund, sprang ihr nach.

      Herrn Mackets Gesicht veränderte sich bei diesem Anblick. Er stand auf und trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers.

      Er war im Begriff, Ilse zu rufen, als Frau Anne ihn davon zurückhielt. »Laß sie, ich bitte dich, Richard!« bat sie, und, zu den Gästen gewendet, setzte sie hinzu: »Es tut mir leid, nun doch die Wahrheit sagen zu müssen, aber Ilses Benehmen zwingt mich dazu.« Und sie erzählte den kleinen Vorfall so gemildert wie möglich.

      Es wurde darüber gelacht, ja, Herr Schäffer behauptete, die Kleine habe Temperament, und es sei schade, daß sie kein Junge sei. Seine Frau vermochte ihm jedoch nicht beizustimmen, sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich.

      Als die Gäste fortgefahren waren, blieb Pfarrer Wollert noch zurück. Er war ein modern denkender und klarblickender älterer Herr, der in seiner gütigen Art Ilse seit ihrer Kindheit eine wohlwollende Zuneigung bewahrte. Er hatte sie getauft und eingesegnet, unter seinen Augen war sie herangewachsen. Seit dem Abschied der letzten Erzieherin leitete er ihren Unterricht. Es trat ein beinahe peinliches Stillschweigen ein. Jedem der drei Anwesenden lag etwas auf dem Herzen, doch jeder