Fanny Lewald

Jenny


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zu ziehn,« declamirte Steinheim. Daß Sie, holdes Fräulein, aber an mir zweifeln, verdiene ich nicht, und ich könnte wie Cäsar sagen: »Brutus, auch Du!« — Uebrigens wissen Sie ja, daß Sonnabends unsere Pferde geschont und ich strapazirt werde.

      Das ist das erste Gesetz gegen Thierquälerei, rief Erlau dazwischen, und ich wundere mich, lieber Meier, daß Du, in doppelter Hinsicht triumphirend, nicht längst darauf aufmerksam gemacht hast.

      Wirklich, meinte Madame Meier, gehört aber die stille Sabbathfeier zu den Gesetzen der jüdischen Religion, die mir sehr gefallen und zusagen — obgleich wir sie nicht mehr halten.

      Ich finde es auch sehr schön, sagte Jenny, aber es ist doch nicht für alle Menschen, eigentlich nur für Juden gemeint; denn ich habe bei Madame Steinheim selbst gesehen, daß ihr christliches Dienstmädchen die Lichter putzte, was sie selbst nicht that.

      Also meinen Sie, fragte Steinheim, der sich neben Jenny’s Stuhl hingesetzt hatte, da das Dienstmädchen Licht putzen darf, so kann das Pferd auch ziehen?

      Ja! sagte Jenny leise, während sich bereits eine andere Unterhaltung in der Gesellschaft entsponnen hatte. Ja! die Pferde könnten wohl arbeiten, da sie nicht Juden sind.

      Und was sind sie denn? fragte Steinheim ebenfalls leise, um die Andern nicht zu stören.

      Weiß ich’s? war die Antwort, vermuthlich Christen! — oder Heiden! fügte sie schleunig hinzu, bemerkend, daß Reinhard, der an ihrer andern Seite saß, jedes Wort dieser kindischen Unterhaltung gehört hatte, und sich unwillig abwendete, als Steinheim in ein laut schallendes Gelächter verfiel, dessen Grund er aber, auf Jenny’s eifriges Bitten, nicht sagen wollte, so sehr man auch in ihn drang.

      Durch Reinhard’s Brust waren die letzten Worte wie ein fliegendes Weh gezogen, wie ein eisiger Frost über die ersten schönen Blüthen des Frühlings. Diese Leichtfertigkeit, dies Scherzen mit Allem, was Andern heilig ist, das war es eben, was oft so trennend zwischen Jenny und seiner Liebe gestanden hatte. Er liebte ihre reiche, schöne Natur, ihr lebhaftes Gefühl, und wurde es doch nur zu häufig mit Betrübniß gewahr, daß Jenny, in Folge ihrer Erziehung und der Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen war, eine Richtung genommen hatte, die seiner ganzen Seele widerstrebte, die auch Eduard mißbilligte, die aber zu ändern ihren beiderseitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen war. Reinhard glaubte an ihr Herz, er liebte sie, wie ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag — und doch fühlte er eine Scheidewand zwischen sich und der Geliebten; doch konnte er die bange Ahnung nicht unterdrücken, es stehe ein Etwas trennend zwischen ihm und ihr. Jetzt bei Jenny’s letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue und heute um so schmerzlicher in ihm. Trüb und verstimmt nahm er, als sich die Gesellschaft trennte, von der Geliebten Abschied, trüb und verstimmt schritt er an seiner Mutter Seite heim, während Jenny in ihrem Zimmer Thränen der bittersten Reue vergoß. Sie wußte, was sie ihm angethan hatte, aber so hatte sie heute doch nicht von ihm zu scheiden geglaubt. — Er hatte keinen Blick für sie gehabt, und jetzt wußte er es doch, daß sie ihn liebte.

      * * *

      Die schöne Clara lag, während sich dies Alles begab, von Schmerzen gepeinigt auf ihrem Krankenlager. Jung, schön und gut, umgeben von Reichthum und Luxus, hatte sie doch niemals das Glück gekannt, für das allein sie geschaffen schien. In ihrem väterlichen Hause war die unglückliche Ehe ihrer Eltern eine Quelle des Leidens für sie geworden. Nur der Wunsch, sich in der Welt vorwärts zu bringen, hatte ihren Vater einst dazu vermocht, um seine Gattin zu werben, die, wie schon früher erwähnt, einer der angesehensten Familien der Kaufmannsaristokratie angehörte. Die Commerzienräthin war einige Jahre älter als ihr Gatte, hatte aber, als sie sich mit ihm verband, noch vollen Anspruch auf die Bewunderung ihrer regelmäßigen kalten Schönheit zu machen, und glaubte, ein Recht auf die Verehrung ihres Mannes, auf seinen Dank zu besitzen, weil sie sich entschlossen, zu einer Verbindung zu schreiten, die damals noch keine glänzende Aussicht geboten hatte. Liebe brachten beide Theile nicht in das neugegründete Hauswesen; und als bald darauf der herrschsüchtige Charakter der Frau dem jungen Manne sein Haus zur Plage machte, und er sich immer mehr von ihr zurückzog, artete ihre Stimmung in eine Bitterkeit, in eine starre Kälte aus, die vollends dazu beitrug, die Gatten von einander zu entfernen. Die Geburt ihres Sohnes schien eine Zeitlang das Herz der Mutter mildern Gefühlen gegen den Vater des Kindes zu öffnen. Es war aber zu spät, um den Frieden herzustellen. Horn hatte sich, fortgerissen von andern Männern und einem sinnlichen Temperamente, einer Lebensart überlassen, welche seiner Frau gerechten Grund zur Klage bot, und als einige Jahre später Clara geboren wurde, fehlte schon an ihrer Wiege das Lächeln beglückter Elternliebe.

      Ihr Sohn war das einzige Wesen, an dem die Mutter hing. Ihm wurde, sobald er nur im Stande war, seinen Willen zu äußern, jeder Wunsch erfüllt; und eben so schwach und nachsichtig gegen den Sohn, als streng gegen alle Andere hatte die Commerzienräthin den jungen Mann zu dem weichlichen, kalten und hochmüthigen Stutzer erzogen, als welchen wir ihn am Anfang dieser Erzählung zuerst erblickten. — Um die liebliche Clara hatte die Mutter sich wenig nur gekümmert. Die Kleine war früh einer Gouvernante übergeben worden, die glücklicher Weise ganz dazu geschaffen war, die Seele des jungen Mädchens zu bewahren und auszubilden. Von den Eltern nicht mehr als nothdürftig beachtet, geneckt und geplagt von den eigensinnigen Launen des Bruders, gewöhnte sich Clara schon in erster Kindheit an eine Fügsamkeit und Anspruchslosigkeit, die später der edelste Schmuck der schönen Jungfrau wurden. Nicht ohne Stolz sah der Vater auf die Bewunderung, die das erste Auftreten Clara’s in der Gesellschaft erregte. Die wilden Leidenschaften der Jugend hatten sich bei ihm gelegt, sein Sohn, der Mutter Liebling, war ihm fremd geblieben; er vermißte eine freundliche Heimath, die Anhänglichkeit einer Familie, und so konnte es nicht fehlen, daß der Tochter demüthige Ergebenheit, ihr kindliches Anschmiegen ihn fesselten. Er liebte sie, wie er zu lieben im Stande war. Sie war sein Stolz, die Krone seines Besitzes, und alle seine Wünsche gingen darauf hinaus, diese Tochter so glänzend, als möglich, versorgt zu sehen. Wie angenehm mußte es ihn also überraschen, als die Commerzienräthin, die das freundliche Verhältniß ihres Mannes zu der Tochter stets mit gewohnter Gleichgültigkeit betrachtet hatte, ihm einst ganz unvermuthet die Frage vorlegte, ob es jetzt, da Clara bereits im zwanzigsten Jahre sei, nicht Zeit werde, an die Verheirathung derselben zu denken. Sie theilte ihm mit, daß sie schon seit längerer Zeit mit ihrer in England verheiratheten Schwester den Plan entworfen habe, den einzigen Sohn derselben mit Clara zu verbinden. Sie bewies, daß ihr Schwager Hughes, nach englischer Sitte an die Bevorzugung des ältesten Erben gewöhnt, gern bereit sein werde, Ferdinand im Besitze des väterlichen Vermögens zu lassen, und daß auch ohne dieses Clara reicher und glänzender versorgt sein würde, als es in Deutschland jemals der Fall sein könnte. Der Plan, den die Commerzienräthin dabei hatte, war, einst die gleiche Theilung des Vermögens zwischen ihren beiden Kindern zu vermeiden; und er fand, wenn auch aus andern Gründen, bei ihrem Gatten volle Billigung. William Hughes galt nach Allem, was man über ihn wußte, für einen gescheidten und wackern Jüngling. Die Millionen seines Vaters kannte der Commerzienrath aus Erfahrung, und daß der alte Hughes Mitglied des Unterhauses war, daß auch William dies einst werden und sich eine glänzende Laufbahn für ihn eröffnen könne, entschied nicht wenig zu Gunsten dieser Angelegenheit, so daß die Commerzienräthin volle Freiheit erhielt, dieselbe nach ihrer Ansicht einzuleiten.

      Nichts war leichter, als den jungen reiselustigen Engländer zu einem Ausflug nach dem Continent und zu dem gelegentlichen Besuche seiner Familie zu überreden, die er nur als Knabe gesehen hatte; und der schmeichelhafte Empfang, der ihm von Onkel und Tante wurde, die große Freude, welche Ferdinand, dem die Plane seiner Mutter nicht unbekannt waren, über des Vetters Anwesenheit an den Tag legte, bewogen diesen bald zu einem längeren Verweilen in dem verwandten Hause.

      Für Clara begann mit des Vetters Anwesenheit ein neues Leben. Mutter und Bruder überboten sich in tausend Freundlichkeiten gegen sie, man bemühte sich, sie in dem vortheilhaftesten Lichte erscheinen zu lassen, und war jetzt plötzlich bereit, ihren Ansichten und Wünschen zu schmeicheln, weil man sie zu ähnlicher Fügsamkeit zu überreden wünschte. Von Natur weich und hingebend, fühlte Clara sich zum ersten Mal in ihrem Leben wahrhaft glücklich, durch das Wohlwollen, von dem sie sich umgeben sah; und da auch auf sie das Glück seinen verschönenden, belebenden Einfluß zu machen nicht verfehlte, war es nur natürlich,