vor die Zurückbleibenden hin.
Erlau, Reinhard und William, die schon seit einer Stunde beim Weine saßen, geriethen allmälig in eine immer munterere Laune, gegen welche Meier’s Ruhe eigenthümlich abstach. Vor Allen konnte Erlau’s ausgelassene Fröhlichkeit sich nicht genug thun; ein Witz folgte dem andern, ein Toast dem andern. Alt-England soll leben! rief er aus, mit seinen freien Institutionen, mit seinem edlen Lord auf dem Wollsack, seiner magna Charta und seinen Constables und Beefsteaks, und Sie sollen leben und leben immer mit uns, wie heute, Mr. Hughes.
Der Toast wurde erwidert. Hughes trank auf die Einheit Deutschlands; Reinhard ließ die deutschen Frauen leben, Erlau vor Allen die Schauspielerin, von der schon früher die Rede gewesen war, und Meier gab sich dem Treiben hin, wie ein Erwachsener, der mit Kindern spielt. Er nahm äußerlich Theil daran, während ihn im Innern offenbar ein anderer Gegenstand beschäftigte, und er in ein Hinträumen versank, aus dem Erlau’s Ruf: Meier, die Deinen sollen leben! ihn aufstörte. Schweigend und nur mit dem Kopfe nickend dankte dieser, und trank sein Glas aus. Damit war aber Erlau noch nicht zufrieden.
Mein Gott! Du unerträglich ernsthafter Doctor und Misanthrop, gibt es denn nichts mehr auf der Welt, was Dich aus Deiner philosophischen Philisterlaune herausreißen kann? — Ich erschöpfe mich in hinreißender Geistreichheit, ich verschwende die beste Laune, den allerbesten Wein an Dir, und Du nimmst meine Liebenswürdigkeit, die doch heute ganz außerordentlich ist, hin, wie ein Bettler das tägliche Brot, ohne Freude und Genuß, und gießt den edlen Wein hinunter, gedankenlos, als gälte es, das harte tägliche Brot mit langweiligem Wasser hinabzuspülen. Ich werde irre an Dir, Doctor! Was fehlt Dir, was denkst Du, was meinst Du? Soll ein Gott vom Himmel steigen, um Dir zu beweisen, daß die Welt die beste ist, in der auf ödem Kalkfelsen dieser Göttertrank zu wachsen vermag? in der auf allen Wegen die schönsten Blumen erblühen, und in manchen alten Häusern die hellsten Mädchenaugen blitzen? Sünder, gehe in Dich, und thue Buße, und rufe mit mir: Die Weiber sollen leben! — und — ha! nun hab’ ich’s, was ihn wecken wird; steht auf, ihr Weisen, und trinket mit mir! Meier, Deine Schwester soll leben! —
Reinhard und Hughes standen auf, und der Letztere rief lebhaft: Ja! das schöne Mädchen mit dem dunkeln Flammenblick soll leben und immer leben! —
Auch Reinhard, in dem noch mancher Widerhall seiner Studentenjahre nachtönte, erhob sein Glas, und bereitete sich, es gegen die andern Gläser klingen zu lassen, nur Meier blieb ruhig sitzen und sagte: Seit wann ist es Sitte, daß man bei Zechgelagen auf das Wohl unbescholtener Mädchen trinkt? Ich werde es wenigstens nicht leiden, daß der Name meiner Schwester in meiner Gegenwart im Weinhause entweiht werde. Setzen Sie sich, meine Herren! den Toast nehme ich nicht an. —
Dieser ruhige, ernste Ton schien Erlau plötzlich abzukühlen, während er den Engländer in lebhafte Bewegung versetzte. Er ging rasch auf Meier zu, und rief: Verzeihen Sie mir, mein Herr! aber Sie müssen mein Freund werden! Wir Engländer haben sonst nicht das Herz auf der Zunge — aber Ihr Deutschen seid unsere Stammverwandten. Ihr wißt es, was sweet home und a blushing maid dem Herzen sein können — Sie wissen es vor Vielen gut, darum schlagen Sie ein, Doctor! ich bin dessen nicht unwerth!
Meier that, wie Jener es verlangte, und that es gern, denn es lag so viel Ehrenhaftes in dem Gesicht des Fremden, daß es augenblicklich für ihn einnahm. Auch Reinhard schüttelte ihm die Hand und man trank auf die Dauer und das Gedeihen des neuen Bundes. Dadurch blieb Erlau allein stehen; er goß zwei Gläser voll, nahm in jede Hand eins derselben und sprach in affectirter Traurigkeit: Auf das U folgt gleich das Weh, das ist die Ordnung im A B C — auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit von langer Weile, denn ich schwöre Euch! die rechte, wahrhafte Ewigkeit wird erst recht langweilig sein. Auf jede liebenswürdige Sünde folgt bei Euch eine unausstehliche Bußfertigkeit. Anathema! über das ausgeartete Geschlecht, das nicht begreift, wie man sündigt aus süßer, inniger Ueberzeugung; dem nur en passant ein kleines, bornirtes Sündchen in den Weg kommt, und das nie jenes großartige Gebet des edlen Russen begriff und gläubig zu beten vermochte: Herr! führe mich in Versuchung, damit ich unterliege! — Hier stehe ich allein, ich fühle es, in einer verderbten Zeit, in der mich Niemand versteht, und so muß ich für mich allein den Toast ausbringen: Gott erhalte mich in meiner geliebten Sündhaftigkeit, worauf ich dies Glas ausleere — und hole der Teufel Eure verdammte Tugend, bei der man nicht an ein hübsches Mädchen denken und ihm Glück wünschen darf, ohne eine Ladung Moral und ein Fuder Gefühl in den Kauf zu bekommen. — Dabei leerte er das zweite Glas, und sagte verdrießlich, während die Andern herzlich lachten: und nun könnt Ihr Alle ruhig nach Hause gehen, nachdem Ihr mich mit Eurer abgeschmackten Sentimentalität um meine beste Laune gebracht habt. Geht nach Hause und schlaft wie die Ratten und träumt tugendhaft — ich werde noch nach dem Fenster der göttlichen Giovanolla wandeln, und sehen, ob dieser süße Strahl der Liebe, der, Gott sei Dank! keine Heilige ist, noch über der Erde leuchtet, oder ob er sich schon hinter den Wolken des Schlummers verborgen hat, und mir erst morgen wieder als Stern und Sonne aufgehen will. — Beiläufig könnte ich dann diesen unsern Insulaner in das Haus seines Onkels geleiten, in sein sweet home, damit er uns nicht auf den Querstraßen des Lebens verloren gehe, und seine warme Seele nicht erstarre in kalter Winternacht. — Gute Nacht, liebe Söhne! Gute Nacht, Meier — kommen Sie, Herr Hughes! — Mit diesen Worten brach er auf und die Gesellschaft ging aus einander.
* * *
Wo warst Du gestern, Eduard? fragte Jenny Meier am nächsten Morgen ihren Bruder, als dieser in das Wohnzimmer seiner Eltern trat, in welchem die Familie frühstückend beisammen saß. Wir hatten Dich zum Thee erwartet, und Du kamst nicht! Auch im Theater bist Du nicht gewesen!
Steinheim war bei mir, und unser Joseph, und wir plauderten eine Weile; dann wollte ich mit ihnen hinauf kommen, und Eure Rückkehr aus dem Theater erwarten, wurde aber plötzlich in das Haus des Commerzienraths Horn gerufen, wo sich die Tochter den Fuß gebrochen hatte, als sie aus dem Theater kam. So gingen meine Gäste fort, und ich sprach nachher, als ich den Verband angelegt hatte und nach Hause gehen wollte, bei Gerhard ein, fand dort Bekannte, und blieb noch eine Stunde sitzen!
Mein Gott! rief die Mutter, hat sich das schöne Mädchen schwer beschädigt?
Du hörst es ja, antwortete der Vater, sie hat den Fuß gebrochen, und ein schwerer Fall, ein ganz verzweifelter muß es wohl sein, wenn der alte Horn sich entschloß, gerade Eduard rufen zu lassen.
Das kannst Du nicht behaupten, lieber Mann! Eduard ist doch, obgleich einer der jüngern Mediciner, in den ersten Häusern der Stadt Hausarzt, sowohl bei Christen, als bei Juden; und Du weißt selbst, wie ungemein zuvorkommend ihm überall begegnet wird, und wie sehr man für ihn eingenommen ist!
Ich weiß es wohl, und es freut mich, daß er sich diese Stellung errungen hat, aber eben so wohl weiß ich, daß es jener ganzen Clique gewiß die höchste Ueberwindung gekostet hat, den jüdischen Arzt in ihre engern Kreise zu ziehen. Sie entschuldigen sich vor sich selbst mit dem Nutzen, den er ihnen gewährt, und doch! wer weiß, ob Eduard überall den gleichen Empfang fände, wenn er sich mit einer Jüdin verheirathete, und für seine Frau dieselben Rücksichten verlangte, als für sich? Den einzelnen jungen Mann nehmen sie allenfalls gern auf. Eine Familie? da würden sie vielleicht Bedenken haben.
Das glaube ich nicht, sagte die Mutter, im Gegentheil, ich bin überzeugt, daß Eduard nur zu werben braucht, um eine Frau, aus welchem christlichen Hause er wollte, zu bekommen, und ich kann es nicht leugnen, daß ich nichts sehnlicher wünsche, als ihn recht bald eine solche Verbindung schließen zu sehen!
Der Vater lächelte, und Eduard erwiderte: Eine Verbindung der Art, liebe Mutter, werde ich nie eingehen, das weißt Du wohl. Ich werde mich niemals taufen lassen, und Deine ehrgeizigen Hoffnungen für mich, mit denen Du in der Zukunft eine große Laufbahn voll Ehrenstellen, Orden und Würden für mich erblickst, werden sich schwerlich jemals verwirklichen. Es sei denn, daß eine neue Zeit für uns heraufkäme.
Die zu schaffen Du Dich berufen fühlst, mit Steinheim, Joseph und Andern, fiel Jenny ein. Ich bitte Dich Eduard, nur beim Frühstück verschone mich mit Politik, nur die eine Tasse Kaffee lasse mich ohne politische Zuthaten genießen. Vater! verbiete ihm überhaupt, schon beim Frühstück vernünftig zu sein. Er hat ja dazu seine große Praxis, und den ganzen,