riefen die Bauern, und gingen nach Hause, »der Schulmeister ist übergeschnappt, er quiekt schon wie ein Ferkel.«
Und wirklich stand der arme Schulmeister nahe an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits gesprungen glaubten. Die Frist war abgelaufen, welche man ihm zum Selbstunterrichte gesetzt hatte, er sollte jetzt nach dem Buche lesen lernen lassen, eine Visitation seiner Schule durch den Herrn Schulrat Thomasius nahte heran, die Verzweiflung trat ihm zum Herzen, und seine Gedanken begannen zu schwärmen. Andre sind durch das Brüten über der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria, oder über dem Geheimnisse der Trinität, oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt geworden; warum sollte ein Dorfschulmeisterlein nicht durch eine moderne Sprachlehre den Verstand verlieren können? Genug, ich erzähle es, und wer mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackelpfiffelsberg nach. Da hat sich die Geschichte zugetragen, und jedes Kind weiß dort davon.
Ein reisender Student kam in jenen Tagen durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke ein, und vernahm von dem närrischgewordenen, oder närrischwerdenden Schulmeister. Es war ein feiner, denkender Kopf, der sich besonders auf Psychologie verlegt hatte, und der daher eine große Begierde verspürte, den Kranken kennenzulernen. Er fand ihn in leinenen Ärmeln sitzen, die behaarte Brust offen, eine große weiße Nachtmütze auf dem Kopfe. »Wie geht es, Meister?« fragte der Student. »So, so, Fremdling«, versetzte der Schulmeister. »Nicht wahr, die alten Spartaner waren Kerle? Keine müßige Gelehrsamkeit, keine Quälerei mit Umlauten, Inlauten, Brustlauten! Alles auf Tatkraft, auf das wirkliche Leben berechnet, den Körper abgehärtet, den Sinn zugespitzt zu Apophthegmen! Mich soll der Henker holen, wenn ich mir nicht alles in Zukunft lakedämonisch einrichte! Meine wackern Vorfahren! Denn was ist Agesel? Agesel ist nichts, verstümmelt, verdorben aus Agesilaus, dem tapfern Könige von Sparta. Die Türken vertrieben die Griechen, darunter waren natürlich die Nachkommen des Königs Agesilaus auch, und die haben sich allmählig bis hieher verzettelt, die Endsilbe ist aber unterweges verlorengegangen. O, man müßte nicht von den Wurzeln und den Ableitungen die Zeit her die Kränk‘ gekriegt haben, wenn man so etwas unglaublich finden wollte!«
»Hoho«, dachte der Student, »steht es dermaßen hier? Aber ein anziehender Fall! Ich muß ihn beobachten.« Er blieb den ganzen Tag über bei dem Schulmeister, und merkte durch viele Fragen aus seinen krausen Antworten endlich sich soviel ab, daß der Kranke in früheren Jahren eine alte Schwarte über die Sitten und Gebräuche jenes griechischen Freistaates gelesen hatte, schon damals von denselben höchlich entzückt gewesen war, daß nun gegenwärtig die gleichsam in Schlummer gelegenen Vorstellungen erwachten und ein fieberhaftes Leben in ihm gewannen. Abends trug der Student folgendes Notizenschema in seinem Tagebuche ein: »Paralysierung des Denkvermögens in einem beschränkten Geiste durch unverdaulichen Denkstoff.
Allmähliges Denk-Nichts.
Eintreten einer prägnanten antiken Idee im Vacuo.
Die Atome des aufgelösten
Denkvermögens schießen an dieser Idee an.
Zustand des Rappelns.
Konsolidation des Rappelns.
Fixe Idee.
Außerdem vernünftiger Mensch.
NB. Nach der Ferienreise weiter auszuführen.«
Es mochte ohngefähr ein Vierteljahr nach diesen Vorfällen verstrichen sein, als der Schulmeister, nur bekleidet mit einem braunen, groben Mantel, in der Hand eine junge Tanne, vor den alten Baron trat, der in seinem verwilderten französischen Garten hinter dem Schlosse die freie Luft genoß. Der Baron wußte im allgemeinen schon von den Dingen, die seinem Bekannten widerfahren sein sollten, und trat daher drei Schritte vor ihm zurück, besonders da er ihn mit dem nicht gerade dünn zu nennenden Tannenstamme gerüstet sah. Aber der Schulmeister lächelte, und legte, als ob er die Gedanken des andern erriete, die junge Tanne ab. Dann machte er dem Baron eine höfliche Verbeugung, und sprach die üblichen Begrüßungsworte, ohne daß in Ton oder Wendung etwas Exzentrisches hervorgesprungen wäre. Der Baron faßte daher Mut, ging auf den Schulmeister zu, ergriff seine Hand und sagte: »Nun, wie geht‘s Euch, alter närrischer Teufel? Was für Streiche habt Ihr denn angefangen, Agesel?«
»Agesilaus, wenn ich bitten darf, gnädiger Herr«, erwiderte der Schulmeister sanft und höflich. »Ich habe diesen meinen guten, ehrlichen Stammnamen wieder angenommen.«
Der Baron entfernte sich nun doch wieder etwas von seinem Besuche, und sah ihn mit scheuen Blicken von der Seite an. Der Schulmeister aber fuhr gesetzten Wesens so fort: »Ich weiß, was Sie von mir denken, mein Gönner. Sie halten mich für verrückt. Sie irren sich, Herr Baron; ich bin nicht verrückt. Es sollte mir leid tun, wenn ich mich in diesem Zustande befände, denn dann könnten Sie mir mit Recht dasjenige versagen, um welches ich Sie dringend ansprechen muß. Ich habe meine fünf Sinne vollkommen beisammen, und weiß, daß ich ein Nachkomme des alten Königs Agesilaus bin, daß ich folglich die Verpflichtung habe, spartanisches Leben und Wesen in mir darzustellen, welches wohl überhaupt ein herrliches Correctivum für diese weichliche, abgeschwächte, übergelahrte und sophistische Zeit sein möchte.«
Der Baron fragte, um nur etwas zu sagen: »Ist es denn wahr, was ich gehört habe, daß Ihr abgesetzt seid, Herr... Herr... Agesilaus... nicht? so nennt Ihr Euch?«
»Abgesetzt allerdings, fortgejagt, wenn Sie so wollen, durch den Schulrat Thomasius«, erwiderte Agesilaus ruhig. »Nachdem ich das grammatische Fieber, in welches ich durch jene Höllen-Lautlehre gestürzt worden war, überwunden hatte, hielt ich es für meine Schuldigkeit, die mir anvertraute Dorfjugend lakedämonisch zu bilden. Ich wies sie daher an, zu stehlen und sich nur nicht betreffen zu lassen, um ihre List und Kühnheit zu üben, ich erregte Streit und Schlägerei unter ihnen, um ihre Herzhaftigkeit zu prüfen, und ich prügelte sie allwöchentlich dreimal ohne Grund ab nach dem Muster der Geißelung am Altare der Diana. Herrlich schlug auch meine Methode an. Die Jungen fanden, daß noch nie so lustig Schule gehalten worden sei, rauften sich, daß es eine Art war, ohne zu mucksen, stahlen ihren Eltern die Äpfel vor der Nase weg, und ließen sich nicht erwischen, verschmerzten selbst die grundlosen Prügel wegen der sonstigen Ergötzlichkeiten, die sie jetzt ungestraft hatten. Aber die dummen Bauern konnten meinen Plan nicht fassen. Sie schrien, daß ich ihre Brut von Grund aus verderbe, und verklagten mich. Da hat mich nun der Schulrat — nun, er ist auch keiner von den hellsten Köpfen — von dannen getrieben, und also ereilte mich das Fatum.«
»Ich wundre mich nur«, sagte der Baron, der sich noch immer von seinem Erstaunen nicht erholen konnte, »über alle die gelehrten Anspielungen, die Euch da so vom Munde stäuben, wie Federn vom Kissen, wenn das Bett gemacht wird. Woher habt Ihr das Fatum und die sophistische Zeit, und was Ihr sonst noch vorbrachtet?«
»Es kommt mir alles dieses und mehreres dergleichen, wenn ich es gebrauche, wie durch innere Eingebung und Erleuchtung«, antwortete der Schulmeister. »Seit die Urerinnerung an meine tapferen und unvergleichlichen Vorfahren in mir aufgewacht ist, stehen meinem Geiste Dinge zu Gebote, welche freilich vordem in meinem Dorfleben mir nicht geläufig waren.« Er trug nun dem Baron sein Anliegen vor, welches darin bestand, ihm Obdach und notdürftige Leibesnahrung zu gewähren, da er nach seiner Absetzung von allem entblößt sei und nichts besitze, als was er um und an sich trage. Der Baron nahm Anstand, einen tollen Menschen, (denn dafür hielt er den Schulmeister) im Schlosse zu beherbergen, gleichwohl litt es sein gutes Herz nicht, einen Dürftigen hungern und frieren zu lassen. Er wies ihm daher ein kleines, verfallenes Gartenhäuschen, welches in der entferntesten Ecke des französischen Gartens auf einem Schneckenberge stand, und ehemals grün angestrichen gewesen war, zum Quartier an. Damit war sein Schutzbefohlner vollkommen zufrieden. Er zog ein, nannte den Schneckenberg das Gebirge Taygetus, und taufte ein kleines Wässerchen, welches ziemlich träge unter sogenanntem Entenflott in der Nähe dahinschlich, zum Eurotas um. Einmal des Tages kam er auf das Schloß, mit den Bewohnern ihre kärgliche Mahlzeit zu teilen; die zweite hielt er in seiner Behausung ab. Sie pflegte in der Regel aus einer Art von Mehlbrei zu bestehen, den er auf dem Schneckenberge an Reisigfeuer zurichtete, und seine schwarze Suppe nannte. Außer seinem Mantel hatte er keine Kleidungsstücke; sein Getränk schöpfte er vom Brunnen mit einem