den andern, die sie noch in der Schreibtafel hatte. Der Hofschulze bezeichnete ihr den Pfad zu dem nächsten Hofe über die Pfaffenwiese, an den drei Mühlen vorbei, durch die Hollenberge. Als sie ihren Strohhut aufgesetzt, ihren Stecken genommen, für gute Bewirtung gedankt, und sich solchergestalt zum Gehen gerüstet hatte, bat er sie, bei der Wiederkehr sich so einzurichten, daß sie die Hochzeit über und bis zum zweiten Tage nach derselben im Hofe bleibe, dann hoffe er ihr die Versicherung über die Zinsen oder diese sogar vielleicht selbst zugleich nach Hause mitgeben zu können.
Als die schlanke und edle Gestalt des jungen Mädchens hinter den letzten Walnußbäumen des Baumgartens verschwunden war, sagte einer der Bauern: »Wenn der alte Herr Baron die früher zur Schaffnerin gehabt hätte, so wäre er nicht so heruntergekommen und hätte nicht zu besorgen, daß ihm das Haus einmal über dem Kopfe zusammenstürzt. — Übrigens ist es unrecht, daß sie das Kind allein im Lande herumlaufen lassen.«
»Daran sehe ich eben kein Unrecht«, erwiderte der Hofschulze. »Ich habe noch nicht erlebt, daß einem ordentlichen Mädchen Schlechtigkeiten widerfahren wären. Eine reine Jungfer kann unter Räuber und Mörder gehen, unter Gesindel und Betrunkne, sie tun ihr so leicht nichts. Vorigen Herbst, als hier nebenan das Volk auf der Heide im Lager stand, hatte sich meine Tochter bei einem Gange über Feld unter einen marschierenden Trupp verloren. Ja, von niemand war sie angetastet worden; sie hatten sie, weil sie müde geworden war, ganz sauber auf einen von ihren Vorspannwagen gehoben, und so wurde sie hier am Hofe richtig abgesetzt. Ein Frauenzimmer, was die Mannsleute angreifen, pflegt von Hause aus angreifische Ware zu sein.«
Die Bauern sprachen jetzt von dem Gegenstande, welcher sie zu dem Hofschulzen geführt hatte. Eine neue Straßenanlage, die mit der großen Chaussee Verbindung stiften sollte, bedrohte sie mit dem Verluste einiger kleinen Wiesenstücke, über welche der Weg notwendig zu legen war, wenn er zustande kommen sollte. Gegen diesen Verlust suchten sie sich nun, obgleich die Anlage zum Vorteil aller umliegenden Bauerschaften gereichte, auf jede Weise zu schützen, und wie er abzuwenden sein möchte, darüber wollten sie sich bei dem Besitzer des Oberhofes Rats erholen. Wirklich zeigte sich auch der Hofschulze in dieser Angelegenheit sehr eifrig und gab ihnen die besten Mittel und Wege an die Hand, wie sie der Forderung des Staates unter dem Schutze buchstäblicher Vorschriften der Gesetze entgehen, oder doch wenigstens das Nachgeben hinzögern könnten. Sie möchten nur sagen, die Stücke seien ihnen ganz notwendig, wenn sie nicht zu Grunde gehen sollten, möchten einen übermäßigen Preis auf sie setzen, den und den angehen, welcher in der Sache abzusprechen habe und welcher, wenn sie ihn recht zu behandeln wüßten, schon ein Zeugnis ausstellen werde, daß die Straße auch anders gelegt werden könne, und was dergleichen mehr war, welches freilich auf eine ganz andere Sinnesweise hinauszulaufen schien, als die wir schon von dem Hofschulzen in seinem Verkehre mit Menschen kennengelernt haben.
Indessen wurde aus seinem Gespräche mit den Nachbarn klar, daß diese Bauern sich den Heischungen des Staats zum öffentlichen Nutzen gegenüber im Zustande des Krieges glaubten, welcher bekanntlich alle Mittel, die zum Zweck führen, gutheißt. »Wir werden schon unsre Frucht einfahren und zu Markte führen können, wie bisher, ohne große Straßen nötig zu haben, und was geht uns alles übrige an?« sagte der Hofschulze im Verlaufe der Unterredung. »Mögen sie bauen und graben, was sie wollen, sie sollen uns aber ungeschoren lassen. Wenn es nach denen ginge, so wären wir bald vom Erb von wegen des gemeinen Nutzens, wie es heißen würde«, fügte er hinzu.
»Guten Tag, wie geht‘s?« rief eine hier wohlbekannte Stimme. Ein Fußwanderer, ein Mann in anständiger Kleidung, aber von den grauen Kamaschen bis zur grünen Schirmkappe bestaubt, war durch den Torweg eingetreten und hatte sich dem Tische genähert, ohne von den Redenden anfänglich bemerkt zu werden. »Ei, Herr Schmitz, sieht man Sie auch einmal wieder?« sagte der alte Bauer sehr freundlich und ließ für den Ermüdeten durch den Knecht das beste, was sich im Keller befand, herbeiholen.
Die Bauern rückten vor dem neuen Ankommenden höflich zusammen. Er wurde zum Sitzen genötigt und bewerkstelligte diese seine Niederlassung mit bedachtsamer Vorsichtigkeit, um nicht, was er bei sich trug, zu zerbrechen. In der Tat war ein solches Verhalten auch notwendig, denn der Mann war bepackt wie ein Lastwagen, und die Umrisse seiner Gestalt glichen einem Konglomerate zusammengeschnürter Ballen. Nicht allein, daß die Rocktaschen, mit manchem Runden, Viereckten, Länglichten befrachtet, in sonderbarer Bauschung weit vom Leibe abstanden, auch Brust- und Seitenbehälter, zu gleichen Zwecken verwendet, bildeten mannigfach geformte Wülste und Erhöhungen, die um so schärfer hervortraten, als der Sammler, um nichts von seinen Schätzen zu verlieren, den Rock, ungeachtet der herrschenden Sommerwärme, fest zugeknöpft trug. Selbst das Innere der Kappe hatte zur Aufbewahrung kleinerer Gegenstände dienen müssen und erhielt von diesem Inhalte ein kürbisartiges Ansehen. Er schlürfte den ihm vorgesetzten guten Wein mit sichtbarem Behagen, das ältliche, von Wandern und Hitze aufgedunsene und gerötete Antlitz gewann allmählich seine ihm natürliche Farbe und Form wieder. »Gute Geschäfte gemacht, Herr Schmitz?« fragte der Hofschulze lächelnd. »Dem Anscheine nach sollte man es glauben.«
»Es geht noch«, versetzte der Sammler. »In der lieben Erde steckt ein rechter Segen. Nicht allein Korn und Gewächse bringt sie immerdar hervor und wird nicht müde; auch Altertümer erntet ein aufmerksamer Forscher ihr fortwährend ab, soviel auch danach schon gescharrt und gegraben worden ist. Ich habe denn einmal wieder so mein Gängelchen durch das Land gehalten, kam dieses Mal bis an die Grenze vom Siegenschen. Nun bin ich auf dem Rückmarsch, will heute noch zur Stadt, mußte aber unterwegs bei Euch, Schulze, mich etwas ausruhen, denn müde ward ich freilich.«
»Was bringen Sie denn mit?« fragte der Hofschulze.
Der Sammler klopfte sacht und freundlich auf alle Erhöhungen und Wülste seiner verschiedenen Taschen und sagte: »Ei nun, Liebes und Gutes, allerhand Siebensachen. Eine Streitaxt, ein paar Donnerkeile, Kattenringe, prächtig mit grünem Rost überzogen, Aschenkrüglein, Tränenflaschen, drei Götzen und ein paar kostbare Lampen.« Dann schlug er mit der umgewandten Hand an seinen Nacken und fuhr fort: »Und ein ganz komplett erhaltenes Stück korinthischen Erzes habe ich mir hier, weil ich sonst keinen andern Platz mehr hatte, hier im Rücken unter dem Rocke festgebunden. Nun, es wird sich denn wohl leidlich machen, wenn es alles erst gesäubert ist und in Reihe und Glied steht.«
Die Bauern bezeugten ihre Neugier nach einigen der Sachen; der alte Schmitz erklärte sich aber unfähig, dieselbe zu befriedigen, weil die Altertümer so sorgfältig verpackt und mit so ausgeklügelter Benutzung jedes Räumchens eingesenkt seien, daß es schwer halte, die ganze Befrachtung, wenn sie gelöset worden, wieder zustande zu bringen. Der Hofschulze sagte seinem Knechte etwas in das Ohr; dieser ging in das Haus. Inzwischen erzählte der Sammler ausführlich von dem Fundorte der verschiedenen Erwerbungen, rückte dann seinem Gastfreunde näher und sagte vertraulich: »Was aber die allerwichtigste Entdeckung dieser Reise ist; ich habe nun wahr und wahrhaftig den Ort gefunden, wo Hermann den Varus schlug.«
»Ei, Ei, Ei«, versetzte der Hofschulze und schob seine Mütze hin und her.
»Alle sind sie auf dem falschen Wege gewesen, Clostermeier, Schmid, und wie sie heißen mögen, die darüber geschrieben haben!« rief der Sammler feurig. »Immer wollten sie den Varus in der Richtung auf Aliso, wovon doch auch noch kein Mensch ausgeforscht hat, wo es eigentlich gelegen — genug aber mitternachtwärts — sich zurückziehen lassen, und demnach sollte die Schlacht zwischen den Quellen der Lippe und Ems, bei Detmold, Lippspringe, Paderborn und Gott weiß wo noch? vorgefallen sein —«
Der Hofschulze sagte: »Ich glaube, der Varus mußte aus allen Kräften suchen, nach dem Rhein zu kommen, und das konnte er nur, wenn er ins offene Land gelangte. Drei Tage soll die Bataille gedauert haben, darin läßt sich schon ein Stück marschieren, und so bin ich vielmehr der Meinung, daß die Attacke in den Bergen, die unsre Börde einschließen, also gar nicht weit von hier vorgefallen ist.«
»Falsch! Falsch, Hofschulze!« rief der Sammler. »Hier unterwärts war alles besetzt und verstopft von Cheruskern, Katten und Sikambrern. Nein, weit mehr nach Mittag ist die Schlacht gewesen, der Ruhrgegend nahe, nicht weit von Arnsberg. Varus mußte sich durch das Gebirg hindurchworgen, er hatte nirgends einen Ausweg, und seine Gedanken standen auf den Mittelrhein, wohin der Weg quer durch das Sauerland geht. So dachte ich es mir