Alexander Moszkowski

Die Inseln der Weisheit


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eine Theokratie, sondern eine Platonokratie predigte, und daß die Moral Savonarolas immer noch turmhoch steht über der, die sich im Platonischen Staat brandig durchfressen müßte …

      Eva: … und von der wir ja einige schauderhafte Proben erlebt haben. Sie erinnern an Savonarola, und das ist wenigstens insofern tröstlich, als Sie dabei über fast zweitausend Jahre springen mußten. Es ist vielleicht ein Glück für die Menschheit gewesen, daß sich der ausgesprochene Kunsthaß so selten hervorgewagt hat.

      Ich: Er ist eigentlich nie völlig verstummt, und zu aller Zeit hat es Ikonoklasten gegeben. Wenn so viele von ihnen unberühmt geblieben sind, so liegt dies daran, daß nicht jeder, wie Caligula, einen Sueton als Berichterstatter gefunden hat. Und es ist höchst bezeichnend, daß sich Caligula direkt auf Plato berufen hat, als er seine Frevel verübte: er vollstrecke nur Platos Anweisungen, so sagte er. Die Bildsäulen berühmter Männer, die Augustus auf dem Marsfelde hatte aufstellen lassen, ließ er verstümmeln und durcheinander werfen. Er dachte daran, Homers Gedichte gänzlich zu vertilgen, dazu den Virgil und, da er einmal beim Ausrotten war, auch den Livius. Sagte ich nicht, daß Plato sich selbst an die Stelle der gestürzten setzen wollte? Caligula hat das für sich buchstäblich durchgeführt. Er gab Befehl, die durch Ehrwürdigkeit und Kunstwert ausgezeichneten Bildnisse mehrerer Gottheiten, namentlich des olympischen Jupiter aus Griechenland nach Rom herüber zu bringen, um ihnen die Köpfe abzuschlagen und den seinigen aufpflanzen zu lassen. Auch betreffs der Ehegesetze und des Kommunismus setzte er manches zu seinem Vorteil in die Tat um, was bei Plato nur schriftlicher Wunsch geblieben war.

      Eva: Und in der Neuzeit?

      Ich: …wühlt die Kunstfeindschaft in anderen Formen, aber sie schöpft noch immer ihre Argumente aus asketischen Quellen wie ehedem. Sie holt sie aus Savonarola, aus Tolstoj und aus dem Pseudo-Asketen Plato. Boccaccio wird noch immer verbrannt, nur daß die Prozedur heut nicht von einem Mönch beaufsichtigt wird, sondern von einer Priesterin, die sich Zensur oder Lex Heinze nennt. Gewänne sie einmal durchgreifenden Einfluß, so würde das asketische Grundprinzip in seinen Staatsfolgen bald zur Verwilderung umschlagen, denn die Kunst und die Moral sind Schwestern. Didicisse fideliter artem emollit mores, nec sinit esse feros. In der Umkehrung könnte das heißen: wer die Kunst fesselt, der verhärtet und barbarisiert die Sitten. Zum Glück ist die Kunst stets mächtiger gewesen als die amusische Verordnung. Erinnern wir uns einer Erzählung des Herodot: Als der Dichter Phrynichos ein milesisches Drama aufführte, bei dem das ganze Schauspielhaus in helle Tränen ausbrach, wurde er von den Athenern wegen Erregung einer Trauer um tausend Drachmen gestraft; gleichzeitig erließen sie ein Gesetz, das jede weitere Darstellung dieser Poesie verbot. Was nicht verhindert hat, daß nach Phrynichos das Trauerspiel zu höchster Blüte gelangte.

      Donath: Und das Lustspiel erst recht, was noch wichtiger war. Der Philosoph gegen den Dichter – der Dichter gegen den Philosophen – ausgleichende Gerechtigkeit! Na, die Komödienschreiber haben es ihm ja auch gehörig eingetränkt.

      Ich: Und sogar mit prophetischem Ausblick. In den »Ekklesiazusen« finden wir bereits einen Teil des Platonischen Monstrums realisiert, und der Humor der Geschichte hat es gewollt, daß Aristophanes seine Posse von der Weiberherrschaft und Weibergemeinschaft entwarf und aufführte, noch bevor Plato seinen idealen Staat aufgeschrieben hatte. Der große, der originelle Plato hielt es also nicht unter seiner Würde, später mit staatsmännischer Wichtigtuerei im Ernst zu fordern, was ihm der Spaßmacher Aristophanes schon ungleich gelungener in Spottkarikatur vorgemacht hatte. Denn sein Stück ist wirklich eine verkehrte Welt. Die Weiber haben in der Volksversammlung, in der »Ekklesia« durchgesetzt, daß ihre Liebenswürdigkeit und die Gesamtheit ihrer Reize ein Allen zugehöriger Schatz sein sollte. Mit derbster Komik entwickelt das Oberweib die Idee, wonach Vermögen und Grundbesitz, besonders aber Weiber und Kinder zum Gesamtgut bestimmt werden. Eine besondere Klausel verfügt, daß die ältesten Weiber den Liebesvorrang bei den jüngsten Burschen besitzen, und hieraus entwickeln sich Zerrkämpfe, die allerdings in der Komik, nicht aber in der Verdrehtheit des Postulats die Platonische Norm übertreffen.

      Eva: Ich möchte da eine Einschränkung machen. An sich wäre doch ein Staat mit polygamen Einrichtungen durchaus möglich, er hat sich auch im Altertum und bis in die neuere Zeit im Orient verwirklicht, ohne im Mindesten der Lächerlichkeit zu verfallen. Und Nichts verbürgt uns die ewige Gültigkeit unserer heutigen Sittlichkeitsnorm. Wir dürfen doch immer nur sagen: unter der heutigen sozialen Ordnung ist die Einehe das sittlich Gegebene. Ändert sich die soziale Voraussetzung, so kann sehr wohl eine andere Sittenräson platzgreifen.

      Der Arzt: Selbstverständlich. Es braucht bloß eine numerische Verschiebung in den Geschlechtern, in den Geburten einzutreten, was physiologisch durchaus denkbar, und der Fall läge vor. Ich möchte nicht die Garantie übernehmen, daß in unseren Kulturländern die Monogamie unverbrüchliches Gesetz bleibt.

      Ich: Zugestanden. Aber Sie können ruhig dafür bürgen, das Plato›s Ehemuster, wie es unsere Insulaner hier mit Überstümperung einer Stümperei darstellen, für sinnige Menschen ewig ein Gegenstand des Ekels und des Spottes bleiben wird. Vergleichen Sie etwa die Vorschriften des Koran mit denen unseres Philosophen und Sie werden zunächst bemerken, daß in jenen Klarheit, in diesen eine idiotische Konfusion herrscht; vor allem aber, daß dort eine erkennbare Moral hervorleuchtet, während hier in einem Durcheinander von Polygynie und Polyandrie ein wahrer sexueller Rattenkönig herauskommt; ein Hexensabbat, in dem nur ein mit natürlichem Backenrot gesegneter Mandrill nicht zu erröten braucht.

      Eva: Ich glaube, wir haben uns vom Hauptproblem ein wenig entfernt: soll der Regent Philosoph sein? ist es dem Philosophen, und ihm ausschließlich, vorbehalten, Regent zu werden? das war doch der Ausgangspunkt. Wenn nach Platonischem Diktat eine Karikatur herauskam, so hätte sich vielleicht nach dem Prinzip eines weiseren Philosophen ein wirklicher Musterstaat entwickeln können.

      Donath: Ich bin da höchst mißtrauisch. Der Philosoph soll bei seinem Leisten bleiben, bei seiner Gedankenschusterei, oder, wenn das zu grob klingt, bei seiner Ideenbrauerei. Da mag er in seinem Bottich herumrühren, so viel er will und auf Leute warten, denen sein Gesöff schmeckt. Aber Hände weg von der Staatsmaschinerie. Da gehören Leute hin, die nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sind.

      Der Arzt: So schroff möchte ich das doch nicht hinstellen. Selbst hier, wo uns ein Maximum von Verbohrtheit entgegentritt, hat der Philosoph doch wenigstens ein Gutes gestiftet: die Menschen scheinen bis zu einem gewissen Grade friedlich erzogen. Die Bestialität, die sich nach innen kehrt, wirkt nicht nach außen, und allem Anschein nach haben die Bewohner noch niemals einen Krieg geführt.

      Donath: Woran das lag, können wir nicht beurteilen. Vielleicht an ihrem kurzen Horizont, ihrer Engbrüstelei, ihrer Feigheit, oder an der Gutmütigkeit der Nachbarinsulaner.

      Ich: Damit kommen wir dem Problem nicht näher. Ich meine vielmehr, daß jeder Staatsverfassung irgendetwas Philosophisches zu Grunde liegt, und daß fast jeder Philosoph letzten Endes auf das Regieren abzielt. Nur daß er niemals taxieren kann, wohin seine Philosophie hinauswill, wenn sie aus der Gedankenretorte in die praktische Öffentlichkeit tritt, was ihr übrigens in den seltensten Fällen gelingt. Meistens bleibt sie in der Retorte stecken, als ein phantastischer Wunsch, als eine Kuriosität, wie die Staatsromane, die Utopien des Thomas Morus, des Campanella, des Fénélon, Bellamy und vieler anderer. Gewinnt sie Einfluß wie bei Hobbes, bei Hegel, bei Voltaire und Rousseau, so hört sie auf, erkennende Philosophie zu sein und wird Rhetorik, Phrase, Demagogie. Wenn die Girondisten und Montagnards sich auf philosophische Meister beriefen, so war ihr Voltaire der geistreiche, ihr Rousseau der pedantische Räsonneur. Gewiß, es hat gekrönte Philosophen gegeben, Marc Aurel, Friedrich; und philosophelnde Dilettanten, die es zur Machtstellung brachten. Cicero führte den offiziellen Titel »Imperator«. Allein dieser Imperator, vormals Schönredner und Anwalt, hatte längst sein bißchen Philosophie eingepackt, als er befehlen durfte, und in seinen Imperatorenbriefen ist davon gar nicht mehr die Rede. Unser Plato selbst hat einmal das Experiment unternommen, einem allmächtigen Herrscher Philosophie einzuträufeln, und er mag sich wohl eingeredet haben, daß der Autokrat imstande sein würde, seine Weisheit in die Wirklichkeit zu übersetzen. Dionys von Syrakus hörte ihm auch sehr aufmerksam zu, nahm das größte Interesse an den Platoniken, mit dem Endeffekt, daß Dionys sich