Weißen, das von den Augen allein noch sichtbar war, wenn auch nur in einem dünnen Streifen, der rotunter- und -überlaufen war, liebevoll an.
Der gute Neffe nahm eine Stecknadel — er trug immer Stecknadeln unterm Westenkragen bei sich — und steckte damit den Levkojenstrauß an tante Dorotheens Hemd fest. Daß er die Nadel dabei auch durch die pergamentne gelbbraune Haut steckte, die darunter welkte, merkte weder er noch sie. Denn die Haut war nur lose gefaltet.
Tante Dorothea wollte mochmal Blumen riechen, obgleich sie sehr astmatisch war. Sie beugte also die Nase vor, die ohnehin ziemlich weit über die Bettdecke hing, und schnupperte an den Levkojen. Dann sank ihr Kopf zurück. Sie hatte vollendet.
Konrad drückte ihr die Augen ein und ging nach Hause. Abends legte er sich befriedigt schlafen. — —
Als Tante Dorothea begraben war, bekam Konrad von Gerichts wegen die Mitteilung, daß Tante Dorothea ihn zum Universalerben gemacht habe. Er möge sich balsgefälligst darüber äußern, ob er bereit sei, das Erbe anzutreten.
»Brave Erbtante!« grinste Neffe Konrad. Dann nahm er einen Bogen Konzeptpapier und gab darauf dem Gericht huldvoll seine Einwilligung zu erkennen, Tante Dorotheens Erbschaft baldgefälligst in Empfang zu nehmen. Abends ging er sehr befriedigt zur Ruhe. — — —
Die Sache kam dem armen Konrad sehr gelegen. Denn er saß scheußlich im Druck. Von allen Seiten wurde er bedrängt. Nun war er gerettet, denn Tante Dorotheens Vermögen war nicht klein. Allmählich träumte daher Neffe Konrad von dem Eintreffen des Geldes und ging allabendlich in froher Erwartung der Erfüllung des lieben Traumes überaus befriedigt schlafen.
So vergingen drei Wochen. Da kriegte Konrad einen Brief mit einem Amtssiegel, eine portopflichtige Dienstsache, für die er die verlangten zwanzig Pfennig freudig zitternd erlegte. Denn er war überzeugt, er werde darin eingeladen, Tante Dorotheens Hinterlassenschaft abzuholen, und dann hätte der Dalles ein für allemal ein Ende.
Armer Konrad! In dem Schreiben stand, daß Tante Dorothea zwar ein Vermögen von 80.000 Mark hinterlassen habe, daß sie jedoch seit 50 Jahren drei Viertel ihrer Steuern hinterzogen habe, die nachträglich von dem Gelde abgezogen würden, und daß außerdem die Erben — in diesem Falle: der Erbe — benachrichtigt würden, daß sie pro anno der Hinterziehung 1200 Mark Strafe zu zahlen hätten. mache in Summa 60.000 + 6% von 50 Jahren hindurch hinterzogenen 60.000 Mark an regulären Steuern, mache im Ganzen — die Zinseszinsen seien in Gnaden erlassen (wahrscheinlich war‘s dem Steuerbeamten zu schwierig gewesen sie zu berechnen):
Strafe Mark 60.000
Nachzahlung 3600x50 = Mark 180.000
Mark 240.000
in Buchstaben: Mark Zweihundertundvierzigtausend, zahlbar binnen 8 Tagen.
Konrad sank in sich zusammen.»Pleite« schluchzte er.
Diesen Abend ging er nicht befriedigt ins Bett, sondern betrübt ins Wasser.
Tante Elfriede
Die Psychologie der Erbtante Elfriede machte mir viel Schwierigkeiten. Sie war ein Vollweib — leiblich uns seelisch. Eine Walkürenfigur, vor der ich eine Heidenangst hatte, denn ihre Arme waren kraftvoll wie hundertjährige Eichenäste und ihre Hände groß wie Suppenteller.
Und gerissen war Tante Elfriede. Es ist nicht zu sagen. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie mit erhobenem Arm dastand und mir mit der mächtigen Stimme, die klang wie eine Posaune, in deren Tuba sich ein Butterbrot verirrt hat, ihre geheimsten Herzenswallungen verriet. Denn diese Herzenswallungen gingen aufs ganze Vermögen der Erbtante Elfriede. O ich Unglücklicher!
Tante Elfriede wurde krank, sehr krank, sterbenskrank. Der Arzt kam und ging dreimal am Tage. Ich wich nicht von ihrem Bett. Das war sehr gefährlich. Denn Tante Elfriede phantasierte viel. Dabei schlug sie mit den Fäusten um sich, schimpfte zum Gottserbarmen auf mich, der ich nur auf ihren Tod wartete, verriet, daß ihr Mann täglich von ihr Keile bekam, bis er starb, und strampelte mit den Beinen derart, daß ich mehrmals unter ihrer Decke Dinge zu sehen bekam, — Dinge, — — na!!
Einmal, als die Tante etwas ruhiger geworden war — ich hielt das für den Anfang vom Ende, nahm ich den Doktor beiseite: »Herr Doktor,« sagte ich »sagen Sie mir die volle Wahrheit! — Wird Tante Elfriede sterben?« Da sah mich der Doktor traurig an und räusperte sich und sagte: »Mein lieber junger Freund!« — Ich atmete hörbar auf. »Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor!« — Ich nahm seine Hand in die meine. »Ihre Frau Tante — —« er schluckte mehrmals und ich markierte einen tiefen Seufzer — »Ihre Frau Tante ist auf dem Wege«— — ins Jenseits! sagte mein Inneres zu mir — — »— auf dem Wege zur Besserung.« Er schwieg. »Ich danke Ihnen,« sagte ich laut, »Schweinehund!« leise. Dann ging ich wieder ins Schlafzimmer zur Tante.
Sie blinzelte mich lauernd an, und mochte wohl auf meinem Gesicht die Enttäuschung lesen. Plötzlich erhob sie sich — furchtbar stand sie da auf dem Kissen. O Gott, ich mag gar nicht mehr daran denken, wie sie aussah. Ihre Beine waren behaart und ihr Hemd gräßlich kurz. Ihre Hände reckten sich zur Decke. Ihre Fäuste waren geballt. Ihr gewaltiger Busen wogte.
»Nichtswürdiger!« schrie sie. »Ich durchschaue dich! Aber warte, ich werde dir den Gefallen nicht tun. Ich werde gesund werden. In acht Tagen stehe ich auf. Aber an dir werde ich furchtbare Rache nehmen, du Heuchler! du Scheinheiliger! der — der — der — — Ich enterbe dich!« japste sie noch hervor. Dann sank sie erschöpft zurück.
»Ich enterbe dich!« Dies furchtbare Wort verfolgte mich in den nächsten 8 Tagen überallhin. Und richtig stand nach 8 Tagen Tante Elfriede auf.
»Ich enterbe dich; — ich enterbe dich!« Sie tat es.
Am nächsten Tage kriegte sie einen Rückfall und eine Woche später starb sie.
Pfui, Tante Elfriede, Pfui!
Tante Friederike
Viel war es ja nicht, was ich von Tante Friederike erben sollte. Immerhin aber war es das ganze Witwengeld von dem sie ihren zwar bescheidenen, aber doch auskömmlichen Unterhalt bestritt. So konnte für mich daraus jedenfalls eine angenehme Schweizreise oder einige Monate üppigen Lebens ersprießen.
Was aber die Hauptsache war: die Erbschaft war mir sicher — absolut sicher. Ich war ihr einziger näherer Verwandter, dazu der einzige, der sich in ihrer Witwen-Einsamkeit um sie bekümmerte, und der einzige, der jeden Sonnabendnachmittag bei gutem und bösem Wetter in ihrem traulichen Wohnzimmerchen neben ihr saß, um ihre neuesten Musenkinder aus der Taufe zu heben. Tante Friederike dichtete nämlich. Welche Tante, zumal wenn sie eine Erbtante ist, hätte keine Schwächen? Im Hinblick auf ihr Ende, das bei ihrer kränklichen Konstitution unmöglich lange mehr auf sich warten lassen konnte, ließ ich denn ihre Lyrik allwöchentlich unverdrossen über mich ergehen.
Die ersten Ergüsse, die ich von ihr vernahm — kurz nach dem Tode ihres Gatten, der sie übrigens zu Lebzeiten häufig geprügelt haben soll und der dann an den Folgen eines Bierabends zugrunde ging —, behandelten fast alle ihr junges Witwenleid, dessen Schmerz ihr ganz besonders nachts fühlbar zu sein schien.
Ich möchte nicht versäumen, um aus ihrer Kunst auf Tante Friederike selbst einen Rückschluß möglich zu machen, hier eine Probe aus jener Zeit folgen zu lassen:
Streich‘ ich des Tags durch meine Klause,
Dann suchen meine Blicke dich.
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