Gustav Schwab

Die Sagen des klassischen Altertums


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Löwenhaut und ließ die Drachenzähne an der Lanzenspitze sich abmüden. Endlich fing das Blut an, denn Untier aus dem Halse zu fließen, und rötete die grünen Kräuter umher; aber die Wunde war nur leicht, denn der Drache wich jedem Stoß und Stiche aus und verstattete den Streichen nicht, fest zu sitzen. Zuletzt jedoch stieß ihm Kadmos das Schwert in die Gurgel, so tief, daß es hinterwärts in einen Eichbaum fuhr und mit dem Nacken des Ungeheuers zugleich der Stamm durchbohrt wurde. Der Baum wurde von dem Gewichte des Drachen krummgebogen und seufzte, weil er seinen Stamm von der Spitze des Schweifes gepeitscht fühlte. Nun war der Feind überwältigt.

      Kadmos betrachtete den erlegten Drachen lange; als er sich wieder umsah, stand Pallas Athene, die vom Himmel herniedergefahren war, zu seiner Seite und befahl ihm, sofort die Zähne des Drachens als Nachwuchs künftigen Volkes in aufgelockertes Erdreich zu säen. Er gehorchte der Göttin, öffnete mit dem Pflug eine breite Furche auf dem Boden und fing an, die Drachenzähne, wie ihm befohlen war, die Öffnung entlang auszustreuen. Auf einmal begann die Scholle sich zu rühren, und aus den Furchen hervor blickte zuerst nur die Spitze einer Lanze, dann kam ein Helm hervor, auf welchem ein farbiger Busch sich schwenkte, bald ragten Schulter und Brust und bewaffnete Arme aus dem Boden, und endlich stand ein gerüsteter Krieger da, vom Kopf bis zum Fuße der Erde entwachsen. Dies geschah an vielen Orten zugleich, und eine ganze Saat bewaffneter Männer wuchs vor den Augen des Phöniziers empor.

      Agenors Sohn erschrak und war gefaßt darauf, einen neuen Feind bekämpfen zu müssen. Aber einer von dem erdentsprossenen Volke rief ihm zu: »Nimm die Waffen nicht, menge dich nicht in innere Kriege!« Sofort holte dieser auf einen der ihm zunächst aus der Furche hervorgekommenen Brüder mit einem Schwertstreich aus; ihn selbst streckte zu gleicher Zeit ein Wurfspieß nieder, der aus der Ferne geflogen kam. Auch der, welcher ihm den Tod gegeben, verhauchte unter einer Wunde den kaum empfangenen Lebensatem bald wieder. Der ganze Männerschwarm tobte in fürchterlichem Wechselkampfe; fast alle lagen mit zuckender Brust auf dem Boden, und die Mutter Erde trank das Blut ihrer eben erst geborenen Söhne. Nur fünf waren übriggeblieben. Einer davon — er ward später Echion genannt — warf zuerst auf Athenes Geheiß die Waffen zur Erde und erbot sich zum Frieden; ihm folgten die anderen.

      Mit dieser fünf erdentsprossenen Krieger Hilfe baute der phönizische Fremdling Kadmos die neue Stadt, dem Orakel des Phöbos gehorsam, und nannte sie, wie ihm befohlen war, Theben.

      Pentheus

      Zu Theben ward Bakchos oder Dionysos, der Sohn des Zeus und der Semele, der Enkel des Kadmos, wunderbar geboren, der Gott der Fruchtbarkeit, der Erfinder des Weinstocks. In Indien erzogen, verließ er bald die Nymphen, seine Pflegerinnen, und durchreiste die Länder, um allenthalben die Menschen zu bilden, den Bau des herzerfreuenden Weines zu lehren und die Verehrung seiner Gottheit zu gründen. So gütig er gegen seine Freunde war, so hart bestrafte er diejenigen, die seinen Gottesdienst nicht anerkennen wollten. Schon war sein Ruhm durch die Städte Griechenlands und bis zur Stadt seiner Geburt, nach Theben, gedrungen. Dort aber herrschte Pentheus, welchem Kadmos das Königreich übergeben hatte, der Sohn des erdentsprossenen Echion und der Agave, einer Mutterschwester des Bakchos. Dieser war ein Verächter der Götter und zumeist seines Verwandten, des Dionysos. Als nun der Gott mit seinem jauchzenden Gefolge von Bakchanten herannahte, um sich dem Könige von Theben als Gott zu offenbaren, hörte dieser nicht auf die Warnung des blinden, greisen Sehers Tiresias, und als ihm die Nachricht zu Ohren kam, daß auch aus Theben Männer, Frauen und Jungfrauen zur Verehrung des neuen Gottes hinausströmten, fing er an ergrimmt zu schelten: »Welch ein Wahnsinn hat euch betört, ihr drachenentsprossenen Thebaner, daß euch, die kein Schlachtschwert, keine Trompete jemals geschreckt hat, jetzt ein weichlicher Zug von berauschten Toren und Weibern besiegt? Und ihr Phönizier, die ihr weit über Meere hierher gefahren seid und euren alten Göttern eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergessen, aus welchem Heldengeschlecht ihr gezeugt seid? Wollt ihr es dulden, daß ein wehrloses Knäblein Theben erobere, ein Weichling mit balsamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz aus Weinlaub sitzt, in Purpur und Gold anstatt in Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur ihr wieder zur Besinnung kommet, so will ich ihn bald nötigen, einzugestehen, daß er ein Mensch ist, wie ich, sein Vetter, daß nicht Zeus sein Vater und alle diese prächtige Gottesverehrung erlogen ist!« Dann wandte er sich zu seinen Dienern und befahl ihnen, den Anführer dieser neuen Raserei, wo sie ihn anträfen, zu fassen und in Fesseln herzuschleppen.

      Seine Freunde und Verwandte, die um den König waren, erschraken über diesen frechen Befehl; sein Ahnherr Kadmos, der in hohem Greisenalter noch lebte, schüttelte das Haupt und mißbilligte das Tun des Enkels; aber durch Ermahnungen wurde seine Wut nur gestachelt, sie schäumte über alle Hindernisse hin, wie ein rasender Fluß über das Wehr.

      Unterdessen kamen die Diener mit blutigen Köpfen zurück. »Wo habt ihr den Bakchos?« rief ihnen Pentheus zornig entgegen. »Den Bakchos«, antworteten sie, »haben wir nirgends gesehen. Dafür bringen wir hier einen Mann aus seinem Gefolge. Er scheint noch nicht lange bei ihm zu sein«. Pentheus starrte den Gefangenen mit grimmigen Augen an und schrie dann: »Mann des Todes! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem warnenden Beispiele, sterben! Sag an, wie heißt dein und deiner Eltern Name, wie dein Land, und, sag auch, warum verehrst du die neuen Gebräuche?«

      Frei und ohne Furcht erwiderte jener: »Mein Name ist Akötes, meine Heimat Mäonien, meine Eltern sind aus dem gemeinen Volke. Keine Fluren, keine Herden ließ mir der Vater zum Erbteil, er lehrte mich nur die Kunst, mit der Angelrute zu fischen; denn diese Kunst war all sein Reichtum. Bald lernte ich auch ein Schiff regieren, die leitenden Gestirne, die Winde, die wohlgelegenen Häfen kennen und fing an, Schiffahrt zu treiben. Einst, auf einer Fahrt nach Delos, geriet ich an eine unbekannte Küste, wo wir anlegten. Ein Sprung brachte mich auf den feuchten Sand, und ich übernachtete hier noch ohne die Gefährten am Ufer. Des andern Tages machte ich mich mit der ersten Morgenröte auf und bestieg einen Hügel, um zu sehen, was der Wind uns verspreche. Inzwischen hatten auch meine Gefährten gelandet, und auf dem Rückwege nach dem Schiffe begegnete ich ihnen, wie sie gerade einen Jüngling mit sich schleppten, den sie am verlassenen Gestade geraubt hatten. Der Knabe, von jungfräulicher Schönheit, schien vom Weine betäubt, taumelnd wie von Schläfrigkeit, und hatte Mühe, ihnen zu folgen. Als ich Angesicht, Haltung, Bewegung des Jünglings näher ins Auge faßte, schien sich mir an demselben etwas Überirdisches zu offenbaren. »Was für ein Gott in dem Jüngling sei«, so sprach ich zu der Mannschaft, »Weiß ich noch nicht recht; aber so viel ist mir gewiß, daß ein Gott in ihm ist. — Wer du auch seiest«, sprach ich weiter, »sei uns hold und fördere unsre Arbeit! Verzeih auch diesen, die dich geraubt!« »Was fällt dir ein«, rief ein anderer, »laß du das Beten!« Auch die übrigen lachten über mich, von Raubgier verblendet, und somit faßten sie den Knaben, um ihn in das Schiff zu schleppen. Vergebens stellte ich mich entgegen; der Jüngste und Kräftigste unter der Rotte, aus einer tyrrhenischen Stadt wegen eines Mordes flüchtig, packte mich an der Gurgel und schleuderte mich hinaus. Ich wäre im Meere ertrunken, wenn mich das Takelwerk nicht aufgefangen hätte. Inzwischen lag der Knabe wie im tiefen Schlummer auf dem Schiffe, wohin man ihn gebracht hatte. Plötzlich, wie vom Geschrei erwacht und vom Rausche zurückgekehrt, raffte er sich auf, trat unter die Schiffer und rief»Welcher Lärm? Sprecht, ihr Männer, durch welches Geschick kam ich hierher? Wohin wollt ihr mich bringen?« »Fürchte dich nicht, Knabe«, sprach einer der falschen Schiffer, »nenne uns nur den Hafen, nach welchem du gebracht zu werden wünschest; gewiß, wir setzen dich ab, wo du es verlangst«. »Nun wohl«, sprach der Knabe, »so richtet den Lauf nach der Insel Naxos, dort ist meine Heimat!« Die Betrüger versprachen es ihm bei allen Göttern und hießen mich die Segel richten. Uns zur rechten Seite lag Naxos. Wie ich nun die Segel rechtshin spanne, winken und murmeln sie mir alle zu: »Unsinniger, was machst du? Was für ein Wahnwitz plagt dich? Fahr links!« Ich erstaunte darüber und begriff sie nicht. »Nehme sich ein anderer des Schiffes an!« sprach ich und trat auf die Seite. »Als ob das Heil unserer Fahrt allein auf dir beruhte!« schrie mir ein roher Geselle zu und verrichtete das Geschäft anstatt meiner. So ließen sie Naxos liegen und steuerten in der entgegengesetzten Richtung. Hohnlächelnd, als ob er den Trug jetzt erst bemerkte, schaute der Götterjüngling vom Hinterverdeck in die See, und endlich, mit verstellten Tränen, sprach er: »Wehe, nicht diese Gestade verhießet ihr mir, Schiffer, dies ist nicht das erbetene Land! Ist es auch recht, daß ihr alten Männer ein