Gustav Weil

Tausend Und Eine Nacht


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rief der Hausherr: »Diener, bring zuerst geschältes Korn, schmälze er aber gut!« und sagte dann zu meinem Bruder: »Hast du wohl je besseres Korn gegessen? Iß nur, bei meinem Leben, und tue dir keinen Zwang an!« Hierauf befahl er dem Diener eine saure Speise, nebst einer in Fett gebratenen Ente zu bringen, und sagte wieder zu meinem Bruder: »Iß nur, ich weiß doch, daß du hungrig bist.« Mein Bruder kaute und schmatzte, als wenn er äße, und der Hausherr bestellte ein Gericht nach dem andern, hieß ihn essen, ohne daß etwas gebracht wurde, befahl dann dem Bedienten, die fetten Hähne aufzutragen, und sagte wieder: »Bei deinem Leben, mein Gast! diese fetten Hähne sind mit Pistazien gemästet worden: Iß mehr, als du je von dieser Speise gegessen.« Mein Bruder entgegnete: »Bei Gott! dies alles ist sehr gut!« worauf der Hausherr mit der Hand nach seinem Munde fuhr, als gäbe er ihm etwas zu essen, und ihm dabei die verschiedensten Gerichte beschrieb, während mein Bruder so hungrig war, daß ihm nach einem Stück Gerstenbrot gelüstete. Endlich sagte dieser: »Ich habe nun genug gegessen!« Da rief der Hausherr. »Tragt die Speisen ab und bringt die Süßigkeiten!« und sagte dann zu meinem Bruder: Iß von diesen eingemachten Datteln und Trauben, denn sie sind sehr gut. Siehst du, wie der Julep aus meiner Hand davon heruntertropft.« Mein Bruder entgegnete: »O könnte ich doch immer bei dir sein!« und fragte ihn, warum so viel Moschus bei diesem Eingemachten sei? Er antwortete: »Es ist meine Gewohnheit, die Trauben auf diese Weise einzumachen.« Mein Bruder spielte immer mit seinen Lippen und setzte seinen Mund in Bewegung; sodann rief der Hausherr: »Genug davon, bringt jetzt Mandelkuchen!« und hieß wieder meinen Bruder essen und sich nicht schämen. Dieser antwortete: er habe genug und könne nichts mehr essen. Da sagte der Hausherr: »Mein Gast, willst du etwas trinken und dabei munter werden, da du doch nicht mehr hungrig bist?« Mein Bruder sagte: »Ja!« und beschloß dabei, es solle den Mann reuen, ihn so zum besten zu haben. Der Hausherr rief nun: »Bringt den Wein;« und tat, als wenn er meinem Bruder einen Becher reichte, indem er sagte: »Koste einmal diesen Wein und sage mir, wie er dir behagt.« Mein Bruder entgegnete: »Er hat einen angenehmen Geschmack, doch bin ich anderen gewöhnt.« Dann sagte der Hausherr: »Bringt andern, der mehr berauscht!« wünschte meinem Bruder, daß er ihm wohl bekomme, und tat dabei, als trinke er. Mein Bruder stellte sich, als wäre er betrunken, und sagte: »Mein Herr, o ich kann nicht mehr!« drang auf ihn ein, ohne daß er es bemerkte, hob die Hand so hoch auf, bis man das Weiße unter seiner Achsel sehen konnte, und schlug ihm eins auf den Nacken, das das ganze Zimmer davon widerhallte. Er hob schon die Hand zum zweiten Male auf, da sagte der Hausherr: »Was ist das, du Niederträchtiger?« Mein Bruder antwortete: »Mein Herr! du hast deinen Sklaven in deine Wohnung gebracht und ihm so viel zu essen und zu trinken gegeben, daß er berauscht worden und nichts mehr von sich weiß; du mußt nun wohl seine Grobheit ertragen und sein Vergehen entschuldigen.« Als der Hausherr dies hörte, lachte er laut und sagte: »Ich treibe schon lange solchen Scherz mit den Leuten, habe aber außer dir noch keinen gefunden, der so klug in meinen Spaß einging: gern verzeih ich dir.«

      »Nun aber sei wirklich mein Gast«, fuhr der Barmekide zu meinem Bruder fort, »und bleibe bei mir.« Alsbald ließ er in der Tat eine Anzahl Diener kommen und wirklich einen Tisch bereiten, worauf alle Gerichte standen, die früher erwähnt worden. Sie aßen miteinander, bis sie satt waren, dann gingen sie in den Trinksaal; da waren Mädchen wie der Mond, welche allerlei Melodien sangen und auf allerlei Instrumenten spielten, und sie tranken, bis sie berauscht waren. Der Mann ward mit meinem Bruder so vertraut, als wäre er sein Bruder; er liebte ihn sehr und schenkte ihm Ehrenkleider. Am folgenden Morgen begannen beide wieder von neuem zu essen und zu trinken, und so zehn Tage lang. Dann übertrug der Mann meinem Bruder die Verwaltung aller seiner Güter, und so blieb er 20 Jahre bei ihm, bis jener starb. Gelobt sei der Immerlebende, der nie stirbt! Der Sultan ließ nach dem Tode des Mannes alles, was er hinterlassen, sowie was mein Bruder hatte, wegnehmen, so daß dieser ganz arm ward und auswandern mußte. Mitten auf dem Wege kamen Beduinen auf ihn los, nahmen ihn gefangen und zogen mit ihm zu ihrem Stamme. Der, welcher ihn gefangen genommen, fing an, ihn zu schlagen, indem er sagte: »Kaufe dich mit Geld von mir los!« Mein Bruder entgegnete weinend: »Ich besitze gar nichts, ich bin dein Gefangener: tu mit mir, was du willst!« Da nahm der Beduine ein Messer heraus, durchschnitt meines Bruders Lippe und forderte immer heftiger Geld von ihm. Dieser Beduine hatte eine schöne Frau, die, so oft ihr Mann ausging, meinen Bruder zu überreden suchte; aber er wies sie stets zurück. Als er einmal ihr nachgab und mit ihr spielte, und sie ihn liebkoste, kam der Mann nach Hause, und als er meinen Bruder bei seiner Frau sah, sagte er zu ihm: »Wehe dir! willst du meine Frau verführen?« Er nahm dann ein Messer und brachte meinem Bruder eine empfindliche Wunde bei, lud ihn auf ein Kamel und legte ihn am Fuße eines Berges nieder. Da kamen Reisende vorüber, die ihn kannten; sie gaben ihm zu essen und zu trinken, und sagten mir, was ihm widerfahren. Ich ging dann zu ihm, brachte ihn in die Stadt und gab ihm seinen bestimmten Lebensunterhalt. Nun bin ich zu dir gekommen, o Fürst der Gläubigen! und habe dir, um mir keine Nachlässigkeit zu schulden kommen zu lassen, die Geschichte meiner sechs Brüder erzählt, für die ich sorgen muß.

      Als der Kalif meine ganze Erzählung gehört, lachte er sehr und sagte: »Du hast recht, O Schweigender! du sprichst wenig und liebst das Überflüssige nicht; doch verlasse jetzt diese Stadt und bewohne eine andere.« Er erteilte dann einen Befehl, mich aus der Stadt zu verweisen, so daß ich in der Welt herumreiste, bis ich hörte, daß er gestorben und ein anderer Kalif geworden; da kehrte ich wieder in die Stadt zurück. Alle meine Brüder waren schon tot. Da traf ich diesen jungen Mann, behandelte ihn so schön, und er belohnte mich so schlecht; doch wäre er ohne mich gewiß zugrunde gegangen. Der Jüngling ging dann von mir fort, und auch ich unternahm neue Reisen, bis ich ihn hier wieder fand; nun macht er mich auf eine neue Weise verdächtig, wie ich es gar nicht verdiene, indem er mich für einen Schwätzer erklärt.

      Der Schneider fuhr dann fort: O König, nachdem wir die Geschichte des Barbiers vernommen und ihn eingesperrt hatten, setzten wir uns, aßen und vollendeten die Mahlzeit, die bis zwei Stunden vor Sonnenuntergang währte; dann ging ich nach Hause. Da machte meine Frau ein mürrisches Gesicht und sagte: »Du lebst in Saus und Braus, und ich muß betrübt zu Hause sein; wenn du nicht, so lange es noch Tag ist, mit mir ausgehst, so werde ich mich von dir scheiden lassen.« Ich ging nun bis abends mit ihr spazieren. Auf unserem Heimweg begegneten wir dem buckligen Lügner, der berauscht umherschwankte. Ich lud ihn ein, kaufte Fische, und nachdem wir miteinander gegessen, blieb ein Stück übrig, in dem eine Gräte war, ich stopfte es dem Buckligen durch die Zähne und hielt ihm den Mund zu; auf einmal hörte er auf zu atmen; er würgte daran und seine Augen verdrehten sich. Ich schlug ihn zwischen die Schultern und griff ihm in den Hals, aber er war tot. Da trug ich ihn weg; ich besann mich lange, wohin ich ihn bringen sollte, und schaffte ihn endlich in das Haus dieses jüdischen Arztes, der dann auch nachdachte, wie er ihn los würde, bis er ihn zu dem Aufseher hinwarf; dieser war aber listig und brachte ihn zum christlichen Makler. Dies ist die Geschichte dessen, was mir gestern widerfahren ist; ist sie nicht wunderbarer, als die des buckligen Lügners?

      Als der König von China die Worte des Schneiders hörte, schüttelte er den Kopf vor Entzücken, zeigte ein großes Erstaunen und sagte: »Die Geschichte zwischen dem jungen Mann und dem geschwätzigen Barbier ist schöner und angenehmer als die des Buckligen.« Der König befahl dann einem seiner Offiziere, mit dem Schneider zu gehen und den Barbier aus dem Gefängnis zu holen, und sagte: »Ich möchte diesen schweigenden Barbier sehen und ihn sprechen hören, da er doch die Ursache eurer Rettung geworden; dann wollen wir den Buckligen begraben, der seit gestern schon tot daliegt, und ihm ein Grabmal errichten.« Der Offizier und der Schneider kamen so schnell als möglich mit dem Barbier zurück. Der König von China sah ihn an und merkte, daß er schon mehr als neunzig Jahre alt war, er hatte einen weißen Bart und weiße Augenbrauen, herunterhängende Ohren, eine lange Nase; es lag in seinen Gesichtszügen etwas einfältiges. Der König lachte, als er den Barbier sah, und sagte: »Du Schweigender, erzähle mir eine deiner Geschichten!« Der Barbier sagte: »Was ist, o König der Zeit! mit diesem Christen, dem Juden, dem Muselmann und dem Buckligen vorgefallen? Wer vereint sie hier?« Da sagte der König von China lachend: »Was hast du nach ihnen zu fragen?« Er antwortete: »Um zu zeigen, daß ich kein Schwätzer und unschuldig bin an dem, was man mir vorwirft, weshalb ich der Schweigende heiße.«

      Der König von China befahl nun seinen Leuten, dem Barbier die Geschichte des Buckligen von Anfang bis zu Ende zu erzählen. Der