Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters


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beizubringen, war eine noch viel größere Kunst. Ich glaube, man hätte uns fast ringer die Sache selbst beigebracht, unsere Seelen mit dem Stoff bereichert, als ohne Stoff uns darüber schwatzen gelehrt. Aber so haben es die Menschen; sie zäumen lieber das Roß beim Schwanz als beim Kopf, und treiben lieber das Verkehrteste mit großer Anstrengung und ohne Nutzen, als das Natürliche verständig. Es nimmt mich nur wunder, wie viele Menschen einsten zur Strafe ihres hiesigen Treibens in der Unterwelt Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpfen und den Mühlstein den Berg keuchend hinaufwälzen müssen, um denselben droben entgleiten und ins Thal rollen zu schen, und so Tag um Tag, für und für in der langen, langen Ewigkeit.

      Es ist doch gewiß ein gräßlich Ding, ein solch Abrichten, gerade wie man Gügger abrichtet, zu pfeifen, was sie auch nicht begreifen. Und das ist das Schauervollste, daß man im neunzehnten Jahrhundert solches treiben konnte und nicht wußte, was man that, wie man sich damit an der Menschheit und somit auch an Gott versündigte. Vielleicht wußten die wohl, was sie thaten, welche mit solchen Normalschulen nur den Schein retten wollten, die Sache selbst aber nicht wollten. Nun dann möge der liebe Gott ihren armen Seelen gnädig sein! Am schauervollsten aber ist die Schamlosigkeit oder die bodenlose Dummheit, mit welcher sich diese Menschen dieses Treibens rühmen, behauptend, bei der künstlich erhaltenen Dummheit sei das Land glücklich und fromm gewesen, und durch Aufklärung, durch Weckung und Bildung der Geisteskräfte werde es unglücklich und gottlos. Glauben denn eigentlich solche Menschen auch an Gott, glauben die auch an Jesum Christum, der ein Licht der Welt war und kam, die Menschen zu erleuchten? Glauben solche Menschen an beide? — die öffentlich sich aussprechen, nur mit andern Worten: die Bestimmung des Menschen sei die der Sau, daß es ihm wohl sei und behaglich im D..ck; die nach obrigkeitlichem Maß und Gewicht dieser Sau nur so viel Verstand zukommen lassen wollen, daß sie einsehe, sie müßte sich mästen, um von Zeit zu Zeit das überflüssige Fett sich abzapfen zu lassen. Glauben denn die auch an Gott, welche die Geister der Menschen binden mit den Fesseln des Aberglaubens, der Finsternis, der Vorurteile, um der Leiber ungestörter sich bemächtigen zu können?

      Hatten wir uns sturm katechisiert, so ging es ans Singen, vom Psalmensingen bis zum Figuralgesang, in welchem zu üben wir den Gellert hatten.

      Da lernten wir die verschiedenen Kreuze kennen und die Noten teilen in halbe, Viertel- und Achtelnoten, lernten die Taktschläge, den Seitenschlag, den Brustschlag und wie die Schläge alle heißen; lernten singen, daß die Fenster klirrten und die Muheime auf dem alten Ofen herumsprangen wie wild. Damit beschlossen mir gewöhnlich unsere Lehrstunden.

      Fassen mir nun das Ganze ins Auge, so sieht man zuerst, wie weniges uns beigebracht wurde, und betrachtet man dann das wenige, wie man es uns beibrachte, so steht einem der Verstand stille. Daß wir es in diesem zu einiger Fertigkeit brächten, war die Hauptsache; ob es beim Kinde von Nutzen sei, und wie und in welcher Stufenfolge man es ihm beibrächte, darum bekümmerte sich niemand. Überhaupt von der Natur des Kindes war nie die Rede, also ebenso wenig von der Entwicklung seiner Geisteskräfte. Daß die Schule ein doppeltes solle: vor allem aus die inwohnenden Kräfte entbinden durch den den Kindern vorgeführten Stoff, dann freilich auch diesen Stoff ihnen zu eigen geben und Fertigkeit in seiner Anwendung, davon war keine Rede.

      Da in dem Stoff, den wir zu uns nahmen, hundert Dinge waren, die wir selbst nicht begriffen, an deren Erklärung man gar nicht dachte, entweder weil der Lehrer sie nicht erklären konnte, oder weil er voraussetzte, wir wüßten es schon, so lernten wir auch die große Kunst nicht, bei den Kindern nichts vorauszusetzen, sondern alles Gegebene und Vorkommende klar zu machen. Und dieses leidige Voraussetzen von unbekannten Dingern als bekannt in den Kinderköpfchen und —Herzen hemmt jeden geregelten Unterricht, jede ordentliche Erziehung, und pflanzt ein gedankenloses Hinnehmen und ein gedankenloses Aussprechen von Worten, an deren Sinn man nie denkt. Dieses Voraussetzen ist ein Krebsschaden in unsern Schulen. Es ist freilich eine schwere Sache, sich selbst zu vergessen und so in ein Kindsköpfchen hinein sich zu denken, da sich umzuschauen, was alles darin und nicht darin sei. Aber wer es versteht, das Kinderherz sich offen zu erhalten, sieht auch in den Kopf hinein und erkennt, was der bedarf, und zu seiner Ausfüllung arbeitet er dann stetig vorsichtig, wie die Biene in ihrem Korbe, die mit bewunderungswürdiger Kunst erst die Waben anzuheften, dann die Zellen aufzubauen und dann endlich mit Honig sie anzufüllen versteht.

      Wenn ich beim Zurückdenken an diese Sachen wild werde, verzeiht es mir, liebe Leute. Ich will Euch jetzt auf die andere Seite des Bildes blicken lassen; vielleicht werde ich dann wieder weich, oder auch wieder wild; denn ich habe eine gar wundersame Natur; ich weiß nie, ob ich über eine Sache wild oder weich werde.

      Rührsam war sicher der Anblick der Lehrlinge und ihr Treiben. Alle hatten tief gefühlt, daß ihr Wissen Stückwerk sei, so viel sie sich auch auf dieses Stückwerk einbildeten, hatten gefühlt, daß es ihrer Bestimmung nicht genüge. Alle waren wahrhaft hungrig und durstig, lechzeten ordentlich nach Vervollständigung dieses Stückwerkes. Aber alle waren durchaus ohne Bildung, ohne Hülfsmittel; sie wußten, was sie wußten; aber von dem, was sie nicht wußten, was es sei und wie viel es sei, hatten sie keinen Begriff, also ebenso wenig von dem, was sie eigentlich bedurften außer einigen Namen, wie z. B. Konstruieren. Vor allem Wissen lag für sie ein undurchdringlicher Vorhang, wie für alle Menschen vor der Zukunft. Alle hatten mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen, um diese Normalschulen zu besuchen. Einige mußten ihren Familien den notwendigen Sommerverdienst entziehen, mußten ihre Sonntagskleider, die für einen Schulmeister manches Jahr halten müssen, abnutzen; sahen einem Winter entgegen, wo geschmalbartet werden mußte; sahen allemal, wenn sie heim kamen, der Frau saures Gesicht und hörten saure Klagen über Kinder und Nachbarsleute; sahen voraus, dieses saure Gesicht den ganzen Winter über sehen zu müssen, wenn der Schmutz in der Küche fehlte und fast das Salz auf dem Tisch. Aber sie kamen doch. Andere hatten ähnlichen Stand mit Vätern und Müttern, die das Geld für so etwas Neumodisches zu lernen nicht hergeben wollten; mußten von allen Geschwistern sich angrännen lassen, wenn sie das wöchentliche Kostgeld, mühselig erbettelt, endlich forttrugen. Andere brachten den sauren Verdienst von Jahren dar, alle aufgesparten Kreuzer seit ihrer Geburt, versagten sich das Notwendigste, um nur auszukommen, oder mußten, wie auch ich, jede Zwischenstunde, die zu ermüßigen war, zur Arbeit benutzen, mußten, an Leib und Seele ermüdet, ein Werkholz in die Finger nehmen, wenn auch die ermatteten Augen alle Augenblicke zufallen wollten.

      Alle diese sammelten sich des Morgens, wie die Spatzen auf einem Weizenfelde, auf den harten hölzernen Bänken und horchten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf die vorgetragene Weisheit. Sie schrieben mit einer Ängstlichkeit, als wenn sie Evangelien zu schreiben hätten, und auch das vergessene Komma ließ sie nicht ruhen, bis sie es ergänzt. Alles wollte man behalten und es konnte einen recht unglücklich machen, wenn man am Abend nicht alle Worte des Lehrers wieder hersagen konnte, wie die Fragen im Heidelberger. Denn das Auswendigbehalten hielt man natürlich für die Hauptsache; war es doch auch die Hauptsache in den Schulen. Man begnügte sich aber nicht nur mit den Lehrstunden, sondern auch in den Mittags- und Abendstunden schrieb man und trieb man, was zur Sache gehörte; kaum ließ man sich Zeit zum Essen. So wollte mir z. B. das Konstruieren nicht recht in Kopf. Wo ich stund, ging und arbeitete, hatte ich das Konstruieren im Kopf und repetierte das am Tage Vorgekommene. Ich konnte die meisten Geschichten auswendig; daher konnte ich mich allenthalben damit beschäftigen.

      So heißt es z. B. in der zweiten Geschichte des N. T.: Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus, daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden. Nun suchte ich das Zeitwort, fand es aber gewöhnlich lange nicht. Ich versuchte mit würden, mit jene, mit aufgeschrieben; aber alles ging nicht. Endlich probierte ich mit befahl. Es befahl! Wer befahl? Der befahl! Wer der befahl? Der Kaiser Augustus befahl! Was befahl er? Um jene Zeit. Ja, das war nicht recht; ich sann lange und fand endlich, daß ich fragen müsse, um alle Worte ordentlich zu bekommen: Wann befahl der Kaiser Augustus? Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus. Und was befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Was daß befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß (nun langes Besinnen und Irriges) würden. Was daß würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Daß wer (das was setzte mich lange in Verwirrung) aufgeschrieben würden, befahl um jene Zeit der Kaiser Augustus? Daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit.