Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters


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sieht man, daß ich z‘sinne genug hatte, und dann hätte ich eigentlich nicht recht gewußt, was sinnen. Ich kannte das Schulhalten von Jugend auf gar wohl, und daß man auf menger Gattig Schule halten könne, wußte ich auch, d. h. ich wußte, ein Schulmeister könne fleißig oder faul, zornig oder gut sein, exakt oder nachlässig: aber daß man andere Dinge treiben oder die gewohnten Dinge nach einer andern Methode treiben könne, daß wußte ich nicht. Ich hatte freilich Konstruieren gelernt und Figuralmusik; aber niemand hatte mir gesagt, daß das in die Schule eingeführt werden müsse. Ich hatte geglaubt, das müsse einer wissen, wenn er Schulmeister sein wolle, so gut wie der Pfarrer hebräisch können sollte, ohne es jedoch die andern auch lehren zu müssen.

      Ich fing also an mit der Schule, wie es üblich war. Des Morgens, so wie die Kinder kamen, überhörte ich die größeren; dann las ich mit den Fragenbüchleren und buchstabierte mit den Namenbüchleren, und zum Schluß las ich auch mit den größern in der Kinderbibel. So ging es auch nachmittags wenigstens die ersten Wochen der Schulzeit. Aber wahr ist‘s: bsunderbar fleißig war ich. Schon zeitlich war ich in der Schule und wartete nicht erst, bis die Kinder Stühle und Bänke z‘unteroben hatten. So wie sie ankamen, fing ich an zu bhören und das war keine kleine Mühe. Denn die Kinder lernten ganze Fuder auswendig: die Fragen, Gellert, Psalmen, Historinen und sogar ganze Kapitel aus dem Neuen Testament. Ganze Bänke wetteiferten mit einander, welches mehr aufsagen könne. So mußte ich ganze Fuder überhören und durfte keinen Augenblick müßig sein, wenn ich des Tags zwei oder gar vier Mal zu den Namenbüchleren wollte. Manchmal blieb ein Kind eine ganze Woche zu Hause und lernte auswendig und wollte dann auf einmal überhört sein, was fast halbe Tage wegnahm. Darum sagten aber dann die Leute: »Gell, Schumeister, mr bruche üfes Ching nit geng z‘schicke; es lehrt daheim so viel as i dr Schuel.«

      Die Leute rühmten mich, wie ich ein Fleißiger sei, und die Sach chömm guet, sie hätte‘s nit glaubt; weder wohl freine sei ich. Das hatte ich mir allerdings in den zwei letzten Wintern angewöhnt, um mich wert zu machen, und fuhr so fort in der Meinung, ich könne es mit der Liebe machen zuerst. Wenn dann die Kinder an mich gewöhnt seien, so könne ich immer noch mit dem Ernst anfangen, wenn es dann noch nötig sei. Die Kinder hatten mich nicht ungern; aber kein Kind, und besonders ein roh erzogenes Kind, wird aus purer lauterer Liebe gehorchen, wird nicht auf einmal seinen Willen unterordnen, den es sonst frei walten läßt. Die Liebe wirkt nur da Gehorsam, wo sie mit der Achtung begleitet ist, und diese Achtung muß errungen werden dadurch, daß daß Kind fühlt, ein höherer, kräftigerer, stätigerer Wille stehe dem seinen entgegen; dieser Wille lasse sich nicht blenden, nicht umgehen, nicht einschläfern, sondern er sei gleich fest und bestimmt am Morgen wie am Abend. Da wird das Kind sich beugen, und kann man Liebe erzeugen zur Achtung, so wird erst der Gehorsam ein freiwilliger, freudiger. Als ich später Ordnung schaffen wollte, weil nicht mehr dabei zu sein war, und Rute und Stecken brauchte, da würkte ich nichts mehr, als daß ich bei den Kindern das Gefühl erzeugte, es geschehe ihnen Unrecht, und ich hätte gar nicht das Recht, ihnen etwas zu thun; d. h. so wie in ihrem Gemüt, in ihrer Vorstellung meine Natur sich abgebildet hatte, so konnte ich nicht schlagen, nicht fitzen, sie aber konnten machen was sie wollten. Schlug ich aber oder fitzte, so schien ihnen das unnatürlich von mir und ungerecht; denn ich hätte es ja schon hundertmal thun können, wenn es in meiner Natur gelegen oder recht gewesen wäre. Es schien ihnen nur eine böse Laune zu sein oder ein besonderer Groll gegen das Geschlagene oder seine Leute. Denn das nahm man als bekannt an, daß der Schulmeister an den Kindern auslasse, was er gegen die Eltern habe. Und die Eltern kamen wohl und fragten mich, was ich gegen sie habe und was sie mir zuwider dienet hätten, daß ich heute ihr Kind geschlagen oder nebenaus gestellt. Wenn ich dann sagte: gar nichts, aber es habe gar nicht gehorchen wollen, so sagten sie: sie hätten geglaubt, es müßte etwas appartigs sein, weil andere vielmals das Gleiche gethan, ohne daß sie gestraft worden wären. So machte jede Strafe einen bösen Eindruck.

      Darum vergesse man nicht die Wichtigkeit des ersten Eindruckes. Man zeige sich den Kindern ja nicht als ein Schaf, aber ebenso wenig als ein Tiger, sondern eben als ein Mann, der über den Kindern steht, sie liebt, aber geachtet sein will und Gehorsam fordert. Diese Lehre ist für Schulmeister gewiß sehr wichtig, allein sie wäre es noch für viel mehr Leute, und wer weiß, ob nicht auch für die Regierig?

      Siebzehntes Kapitel. Wie mir der Verstand gemacht wird

      Da die Leute mir immer mehr in die Kinderlehre liefen und sogar Meitscheni aus andern Gemeinden kamen, zwei, drei und vier mit einander, schön in einer Zylete, Hand in Hand, so dachte ich bei mir selbst, die ganze Kirchgemeinde werde gwunderig sein, den brühmten Schulmeister zu sehen, und es sei nichts als billig, daß ich mich einmal zeige. Wenn sie einmal wüßten, wie ich wäre, glaubte ich, es kämen noch viel mehr Leute in die Kinderlehre.

      An einem schönen Sonntag machte ich mich daher schön zweg, um z‘Chile z‘gah. Früh hatte ich angefangen zu waschen und zu strählen und wurde doch spät fertig; die Haare wollten nie recht schön vorume cho, wie ich sie auch netzen und drücken mochte. Es ist kurios, wie so viele Leute nie zur rechten Zeit fertig werden können zum Chilegah, sondern sich außer Atem und in Schweiß laufen müssen, daß man sie in der ganzen Kirche schnupen hört. Das thun sie sicher nicht aus dem Grunde, wie jener Herr, der immer auf sich warten läßt, immer zu spät und allein kömmt, damit man desto besser seinen stattlichen, majestätischen Gang, seine erlauchten Mienen und seine schönen Handschuhe an den groben, kurzen Fingern bemerken möchte. Nein, die Leute stehen viel zu gerne um die Kirche herum und erzählen sich, was sie wissen, und vernehmen Nahrung für den Gwunder auf eine ganze Woche hin. Aber es hängt ein eigenes Geschick über das z‘Predig-gah und das zu spät kommen. Es sind viele Leute, die in den Träumen oft und viel damit gequält werden. Sie träumen, es sei Sonntag und sie wollten z‘Chilche, aber sie können sich nicht anlegen, sie finden die Schuhe nicht, sie kommen nicht fort, wie sie auch springen möchten. Unterdessen verläutet es und immer neue Saumsteine legen sich in den Weg, so daß sie meist gar nicht zur Kirche kommen. Eine alte Frau deutete diese Träume echt christlich fromm also: »Üse Herrgott wott is mahne, daß es is mit em Himmel gah chönnt wie mit dr Predi, daß mr nit möchli gcho u z‘spät wäre, we mer is nit früeh zmeg u uf-e Weg mache.«

      Ich hatte mich besonders gefreut vor der Predi auf die Kirchmauer zu sitzen oder unter der Vorlaube zu stehen und die Leute fragen zu hören: »Isch ne äys? Lue! Gsehsch da dert, das hübsch Bürschli? Das isch dr neu Schuelmeister, wo so-n-e Gschichte-n-isch u so schön chingelehre cha.« So hatte ich die Sache mir ausspekuliert und im voraus schon herrlich wohl daran gelebt, und durch mein Dräye brachte ich mich nun selbst um dieses Herre- oder Schuelmeisterfresse. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf; ich machte lange Beine, holte noch den Zug der Wandelnden ein und wollte vorüber, aber sie sagten: »Schumeister, ume nit so pressiert, mr meu no geng gcho, es lütet no lang nit.« In meinem Kopfe war es vor lauter Blangen viel später, und wäre ich fertig geworden zu der Zeit, wie ich gewollt, ich wäre wahrscheinlich eine halbe Stunde alleine auf dem Kirchhof gestanden. Nun mußte ich Schritt halten mit dicken Weibern, die sich damit unterhielten, welches das beste Zeichen sei, den Kabis z‘bschütten und wer in der vergangenen Nacht bei diesem oder jenem Meitschi gelegen sei; mußte Schritt halten mit gsatzlichen Männern, von denen die einen prozedierten, die andern handelten, die dritten rühmten, wie viel sie melken, die vierten klagten, wie wenig sie dreschen; mußte das alles anhören und durfte nicht voraus. Jetzt wußte ich, wie es einem Roß zu Mute sein muß, das man zum ersten Male ins Leitseil nimmt.

      Endlich war der Kirchhof erreicht; es läutete noch nicht, aber schon viele Leute stunden auf demselben herum. Drei Männer stunden nicht weit vom Eingang, die Psalmenbücher unterem Arm (meines hatte ich vergessen). Einer derselben wandte sich nach mir um, bot mir die Hand und sagte, es düech ne, i syg dr neu Schumeister in der Schnabelweid? Auf die Bejahung vernahm ich, daß die drei andern Schulmeister der Gemeinde vor mir stünden. Meine Herren Kollegen, würde man heutigen Tages sagen. Diese fragten mich die üblichen Fragen, wie es gehe, wie es mir gefalle u.? Ich, ehrlich oder dumm, war Rühmens voll in jeglicher Beziehung über mich und andere. Darauf meinte einer, es gehe allen jungen Schulmeistern so, aber es werde schon anders kommen. Der andere meinte spöttisch: »Neu Bese wüsche wohl!« Der dritte sagte: je mehr man zuerst rühme, desto mehr habe man zuletzt zu klagen. Der eine fragte mich, ob ich nicht singen könne, daß ich kein Buch bei mir