Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters


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ankünden, und wissen noch viel weniger, wie der Wachstum des Bösen könne gehemmt werden. Wenn der Fehler eines Nächsten sie reizt, so machen sie es wie ein einfältiger Mensch, dem ein Nagel in der Wand die Hand verwundet. Statt mit Vorsicht ihn herauszuziehen und ihn zu entfernen, schlägt er ihn zornig an und in die Wand; hat damit die Wand verdorben, sich die Hand verwundet und wird früher oder später den Nagel noch empfindlicher fühlen müssen. So denken die wenigsten Eltern daran, daß das ganze Thun und Lassen ihrer Kinder aus ihren Herzen entspringt und ganz nach dessen Beschaffenheit sich regelt; sie achten bloß auf das Thun und Lassen derselben. Und ein Thun und Lassen, das die Eltern selbst durch das Verderben der Kinderherzen erzeugt, meinen sie dann durch Schläge und Schimpfen züchtigen zu müssen und vertreiben zu können. Sie schlagen die Verdorbenheit nur in die Herzen hinein; Tücke und Verschlagenheit wölben sich als Rinde darüber; aber es kommt die Zeit, wo die Eltern ihre Thorheit büßen müssen. So hatte mein Vater von Neid gehört und gelesen; aber daß er selbst an ihm litt, wußte er nicht; daß er ihn in Weib und Kindern pflanze, dachte er nicht; daß er durch Schlagen und Schimpfen den Neid mehre, in Haß verwandle, merkte er nicht; daß er durch eigene Schuld täglich größern Ärger habe, fiel ihm nicht ein. Und doch war das so natürlich, daß man glauben sollte, ein Blinder hätte es sehen müssen. So wie die Mutter die Mädchen liebte, weil der Vater sie verfolgte, so war ich ihr zuwider, weil der Vater mich liebte. So wie er nur für mich Sinn und Sorgen hatte, so überwältigte sie der Neid, weil sie glaubte, sie verdiene doch eher ein weißes Brötchen oder einen Schluck Wein als ich. Und wenn sie meinetwegen noch mehr Verdruß haben sollte als sonst, so wollte sie, üse Herrgott nähme mich wieder, es ginge mir wohl und ihr noch besser. Die Schwestern, die an der Mutter hiengen, teilten natürlich ihre Meinung; und weil ich immer Sachen hatte, die sie entbehren mußten, so mußte der Neid in ihren Herzen groß werden, und dann noch alle Tage Schläge wegen mir, mußte den Neid in Haß verwandeln, mußte die Folge haben, daß der Vater oft mit Recht sie abstrafen mußte, weil sie wirklich sich gegen mich vergangen. Die Mutter schoß mich herum wie ein Kuderbützi, wenn der Vater es nicht sah. Die Schwestern stahlen mir, was sie konnten, oder die Mutter gab ihnen, was mir gehörte. Sie stießen mich; und war ich gefallen, so rissen sie mich mit einer Sanftheit empor, die viel weher that als der Fall. Da mein Geschrei in beiden Fällen ungefähr das gleiche war, so mochten sie denken: weil sie allweg Schläge kriegten, so sei es nichts als billig, daß ich doch auch wüßte warum. War mein Vater den ganzen Tag fort, so war das ein Herrentag für sie und ein Leidenstag für mich. Konnte ich doch so viel schreien als ich wollte, er hörte es nicht; mochten sie mir nur halb genug zu essen geben, er sah es nicht.

      Natürlich hing ich mich, getrieben durch angebornen Instinkt, an den Vater, und wollte nur bei ihm sein, und wenn ich im Webkeller bei ihm sein konnte, so war das meine größte Freude. Natürlich klagte ich dem Vater, sobald ich reden konnte, alle erlittenen Mißhandlungen, lief zu ihm, wenn eines mich nur sauer ansah. Natürlich hörte dies der Vater gerne und verleitete mich, all ihr Thun und Lassen zu verrätschen. Darum wollten sie mich auch nicht bei sich leiden, sondern jagten mich von all ihren Arbeiten weg, und ich lief zum Vater. Daher wollte auch niemand mit mir lernen in den Namenbüchern, welche der Vater mir schon im dritten Jahre kramte und immer eines schöner als das andere. Die Mutter wollte nicht Zeit finden, mit den Schwestern gab es Krieg, und da die Lehrenden immer den Kürzern zogen, so kam der Lernende nicht weit und strengte sich nicht besonders an; er wollte lieber die goldenen Elefanten und Affen außer dem Buche als die Buchstaben im Buche betrachten. Da aber dieses nicht Lernen hieß, so kamen die Schwestern und ich hintereinander und die Schule endigte mit beiderseitigem Heulen, Der Vater mußte Lehrmeister werden, weil er absolut mich geschickt haben und zu einem großen Manne machen wollte. Er war ein wunderlicher Lehrmeister, der, wie sich von selbst versteht, keine Ahnung mehr davon hatte, wie lange das A-B-C-Lernen bei einem Kinde geht, wenn es nicht an bestimmte Anschauungen mit Bewußtsein gewohnt ist, sondern zum ersten Male an den Buchstaben, die zudem nicht besonders auffallende Merkmale haben, sie nicht nur üben, sondern alsobald die Folgen des gebildeten Anschauungsvermögens, eine schnelle Auffassungskraft bewähren soll. Er war, außer bei seinem Webstuhle, wo er mit dem schlechtesten Garn die größte Geduld haben konnte, äußerst ungeduldig, und reizbar, und konnte daher gar nicht begreifen, warum ich, da ich den ersten Buchstaben doch alsobald gekannt, die andern immer wieder vergaß und verwechselte. Er schrie mit mir, kratzte in den Haaren, lief fort; aber schlagen that er mich doch nicht. Und weil ich gerne bei ihm war und, um bei ihm sein zu können, den Vormund brauchte, lernen zu wollen und, damit er nicht fortlief oder mich fortschickte, mit aller Anstrengung Achtung gab: so kam ich bald glücklich durch das A-B-C in die Büscheli, und auch schnell durch diese. Da ich aber nicht immer lernen konnte, so nahm ich fast von selbst das Spulen für, und machte es bald so ordentlich, daß der Vater mich für ein Weltwunder hielt und allen Menschen rühmte: er hätte einen Bueben daheim, e settige gäb‘s unter tusige nicht. Diesen Ruhm spendete er mir auch in meiner Gegenwart bei jeder Gelegenheit, so daß ich selbst nicht wenig auf mir hielt und wirklich glaubte, ich sei ein Ausbund.

      Sobald ich größer wurde, plagte mich der Gwunder, wohin der Vater Dienstags oder Donnstags gehe und woher er mir den schönen Kram bringe? Lange hielt ich ihm an, mich mitzunehmen. Er hätte es längst gethan, denn er freute sich selbst darauf wie ein Kind, und mochte nicht warten, zu vernehmen, was man z. B. in Burgdorf von mir sagen und wie man allgemein über mich staunen werde, indem er überzeugt war, daß man dort noch nie einen solchen Knaben gesehen. Allein er fürchtete, ich möchte nicht laufen und sparte daher mir und ihm die Freude auf, bis ich das sechste Jahr zurückgelegt hatte. Endlich versprach er mir einmal zur Herbstzeit, mich an den Markt nach Burgdorf zu nehmen, wenn ich das Namenbuch noch einmal auslerne und ihm fleißig spule. Wie ich des Tages lernte und spulte, und dann des Nachts träumte von dem Märit und der Stadt und allem dem, was mir der Vater sagte, das man da sehen könne; wie ich in einem beständigen Fieber war und an den Fingern Tag und Stunden abzählte und des Tages hundertmal sagte: ›Vater, wenn wir noch viermal oder dreimal geschlafen haben, dann ist der Märit, nicht wahr?‹ kann man sich denken.

      Endlich brach der ersehnte Tag an. Er traf mich schon erwacht und ungeduldig, weil die Mutter expreß mit dem z‘Morgenessen zu zaudern schien und die Schwestern mir meine Schuhe auch nicht salbten so geschwind ich wünschte. Da verklagte ich sie beim Vater; dafür haareten sie mich, als sie mir das Halstuch umbanden. Daß ich z‘Märit konnte und das ganze Jahr sonst niemand, das wollte Mutter und Schwestern fast das Herz abdrücken.

      Endlich wanderten wir fort, der Vater mit einem Tuch zum Abliefern auf der Achsel, einem Korbe mit einem Bälli Anken am Arm und ich mit einem Stecken in der Hand, der wenigstens eben so groß war als ich. Wie bei einem tüchtigen Landregen aus allen Winkeln Bächlein fließen, zusammenströmen, zu Bächen werden und, endlich in den Fluß sich mündend, diesen anschwellen zum gewaltigen Strom: so sendet in weiter Umgegend fast jedes Haus seine Stellvertreter aus an einen schönen Burgdorfer Märittag zu Lust und Kauf. Jeder trägt zu Markte, was er hat, viele nur den eigenen Leib. Auf allen Fußwegen sieht man Eilende. Sie sammeln sich schon zu Truppen in den Sträßchen und werden zu einer unabsehbaren Menge, wenn die Hauptstraße sie aufnimmt. Da wogt es dann wild durcheinander von Menschen und Vieh, und rasselnd schnurren die Bernerwägeli mitten durch, daß die Schafe nicht wissen wohin und die plaudernden Fußgänger auseinander fahren, als ob eine Bombe unter sie gefallen wäre, und aus einzelnen Chaisen und Charabanken schauen breite Gesichter wohlbehaglich auf die Menge nieder und fahren rasch durch sie hin, als ob sie das Ordinäri schon in der Nase hätten. Was war da für einen Buben, der noch nie auf der großen Straße und an einem Märit gewesen war, nicht alles zu sehen! Das Vieh zog mich mehr an als die Menschen; und bei den kleinen lieben Lämmchen mußte ich alle Augenblicke stille stehen. Je näher wir der Stadt kamen, desto schwerer hing ich an des Vaters Kuttentäsche; denn immer mehr hatte ich zu sehen. Als erst das Städtchen und das schöne Schloß so stolz sich mir darstellten, da wäre ich fast am Boden festgewurzelt, so große und so viele und so schöne Häuser bei einander zu sehen. Sobald ich mich von dem ersten Eindruck erholt, machte ich, um bald dort zu sein, so geschwinde Beine, daß der Vater kaum nach konnte. Als wir in die Stadt kamen, gab es wieder Halt, und zwar bei jedem Kramladen: ›Nei lue doch, Aetti, chum doch da zue,‹ schrie ich bei jedem Schritt und zerrte an der Kuttentäsche, daß sie krachte. Aber der Vater hatte nicht Zeit; er mußte das Tuch abliefern. Der Herr war gar ein exakter und schnauzte die Weber, die ihm nicht zu der Zeit