Karl May

Am Jenseits


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des Paradieses. Der Islam sagt, das Weib sei nur zu dem Zwecke geschaffen, mit ihrem Körper Dienerin des Mannes zu sein, und darum habe mit dem Tode dieses Körpers für sie alles Leben aufgehört. Ich habe mit dir, Effendi, in jener Nacht hinter den Zeiten über diesen uns beleidigenden Mißglauben gesprochen, und du erfülltest mein Herz mit Trost und Beruhigung, indem du mir die Überzeugung gabst, daß wir Frauen auch eine Seele besitzen und also ebenso wie ihr zur Seligkeit berufen sind. Du hast meine damalige heiße Bitte erhört und auch Halef, den Begründer meines irdischen Glückes, zum Glauben an diese meine unsterbliche Seele gebracht, und nun du heut von der Seele deiner von dir so sehr geliebten Großmutter erzählst, muß auch bei alt den Männern, welche hier stehen und deine Worte gehört haben, der letzte Zweifel an unsere Unsterblichkeit schwinden. Ich danke dir! Ich möchte nun noch eins gern wissen. Wenn die Seele deiner Großmutter damals ihren Körper verlassen hat, so muß sie während der Zeit bis zu ihrer Wiederkehr an einem andem Ort gewesen sein. Weißt du, wo?«

      »Nein.«

      »Hast du sie nicht gefragt?«

      »Als Kind nie, weil mir die dazu nötige Einsicht fehlte; aber später, als ich nach den Geheimnissen des Glaubens zu forschen begann, die es für den, weicher wirklich glaubt, doch gar nicht gibt, weil die Erleuchtung die erstgeborene Tochter des wahren Glaubens ist, da erkundigte ich mich allerdings sehr oft und angelegentlich bei ihr, ob die zwischen dem Schwinden und der Wiederkehr ihres Bewußtseins liegende Lücke nicht vielleicht durch irgend eine wenigstens später erwachte Erinnerung auszufüllen sei. Sie wußte aber nichts.«

      »Das kann ich nicht begreifen. Nach dem, was ich von dir über die Menschenseele gehört habe, kann in ihrem Leben und in ihrem Bewußtsein niemals eine Pause eintreten.«

      »Pause? Das ist das richtige Wort! Du gibst mir da das Gleichnis in die Hand, welches dir, obgleich es nicht ganz treffend ist, doch wenigstens einigermaßen die Erklärung bringt. Du wirst mich verstehen, weil du die Uhteh (guitarreähnliches Saiteninstrument) zu spielen verstehst. Es waren während der Abwesenheit der Seele in dem Gehirn der Scheintoten Pausen entstanden, leere, unempfindlich gewordene Stellen, welche sich auch später unempfänglich für die Töne der Erinnerung zeigten. Aber wenn sie sich auch nicht klar entsinnen konnte, ein nach rückwärts gerichtetes heiliges Ahnen, das fromme Gefühl eines gehabten, seligen Schauens war geblieben, und infolgedessen sah ich die größte Hoffnung ihres Erdenlebens, weiches ein Leben in Armut und in Sorge war, auf das einstige Wiedererwachen der Herrlichkeit gerichtet, welche ihr schwaches, irdisches Gedächtnis nicht hatte festhalten können. Sie lebte bis zu ihrem Tode ein doppeltes Leben, indem sie in aufopfernder Treue und Selbstentsagung für die Ihren arbeitete und jeden von dieser Arbeit freien Augenblick dem Trachten nach der himmlischen Klarheit widmete. Diese ist ihr, wie ich überzeugt bin, nun schon längst geworden.«

      »Wie fest, wie fest du glaubst, Sihdi!« meinte Hanneh, indem sie in tiefer Rührung die Hände faltend ineinander legte. »Es gibt wohl nichts, gar nichts, was dich in diesem unerschütterlichen Glauben irremachen könnte?«

      »Nichts! Ich habe mit allen möglichen Unholden des äußeren und des Seelenlebens um ihn gerungen und bin auch jetzt noch in jedem Augenblicke bereit, für ihn zu kämpfen und mein Leben einzusetzen. Glaube mir, die in Menschengestalt sichtbaren Feinde sind nicht die stärksten und die schlimmsten Gegner dieser meiner seligmachenden Glaubenszuversicht; die heißesten Kämpfe werden vielmehr im verborgenen Innern ausgerungen, wo der Einfluß dunkler Mächte größer ist als im sichtbaren Leben, welches nur die Wirkungen dieses Einflusses zeigen kann. Wohl dir, meine liebe Hanneh, wenn deine Engel die Hände über dich breiten, um solche Mächte und solche Kämpfe von dir fernzuhalten! Nicht jeder besitzt die Oberzeugungskraft, welche erforderlich ist, siegreich aus ihnen hervorzugehen.«

      Da lächelte sie mich herzig an und sagte:

      »Sihdi, warum sollte ich kämpfen, also etwas so Schweres tun, was ich ja gar nicht nötig habe? Du hast mir deinen herrlichen Glauben gebracht und mir ihn in mein Herz gelegt. Was du mir gibst, ist gut. Da liegt er nun wie eine Sonne, die mich und mein ganzes Leben heil erleuchtet und erwärmt, und wo es eine solche Sonne gibt, da können finstere Mächte doch nicht sein. Wir haben jetzt hier eine irdische Kijahma erlebt, die Auferstehung eines Leibes von den Toten; du aber hast mir durch deinen Glauben schon längst eine schönere, eine herrlichere Kijahma gebracht, eine Auferstehung der Seele von dem Tode, ein Hervorsteigen aus dem Grabe des Irrtums, in welchem es für mich kein Wiedererwachen, sondern nur Verwesung gab. Diese Kijahma ist für dich im Buche des Lebens aufgezeichnet und wird für dich zeugen, wenn einst deine Taten, Worte und Gedanken abgemessen werden!«

      »Sie hat in Gottes Willen gelegen und ist das Geschenk seiner Liebe, die alle Menschen selig machen will; ich besitze kein Recht, mir einen Dank dafür anzumaßen. Es ist ja so leicht, den Glauben in ein Herz zu legen, welches ihm so sehnend, so willig und voll Vertrauen offen steht. Zwar ist dieses Sehnen in jede Menschenbrust gelegt, aber zugleich wohnen da auch die Geister des Hochmutes, der Selbstgefälligkeit, der Genußsucht, des Ungehorsams, der sich nicht strafen lassen will, und noch viele andere, die es nicht zu Worte kommen lassen.«

      Da nahm Omar Ben Sadek das Wort, indem er sagte:

      »Effendi, du sagst die Wahrheit, wenn du von diesen Geistern redest. Was war ich für ein Mann, als du mich kennen lerntest? Ein nach Rache, nach blutiger Vergeltung schnaubender Mensch, ein Anhänger des Islam, der nur sich selbst liebte, seine Feinde haßte und gegen alle andern Personen nichts als stolze Gleichgültigkeit empfand. Du warst der erste unter allen Leuten, der mich zur Achtung zwang. Darum wünschte ich, ebenso wie Hadschi Halef, unser jetziger Scheik, daß du Muhammedaner werden möchtest, denn wir hatten dir so viel zu verdanken und wollten dir den Himmel gönnen, den wir nur für die Anhänger des Propheten offen glaubten. Wir arbeiteten an dir ohne Unterlaß, zu jeder Zeit; du sagtest nichts dazu; ein Lächeln war alles, was dir unsere Bemühungen entlocken konnten. Ein anderer an deiner Stelle hätte uns mit den Lehren des Christentums bekämpft, und es wäre ein unerquicklicher Wortstreit entstanden, der uns verfeindet und unsere schließliche Trennung herbeigeführt hätte. Du aber warst zu klug, in das Verhalten der Prediger zu verfallen, weiche, ohne unsere Lehren zu kennen, uns zumuten, die ihrigen als richtiger und besser anzunehmen. Du brachtest keine Lehren; du sagtest keine Worte, aber du sprachst in Taten. Du lebtest ein Leben, weiches eine hinreißende, eine überzeugende Predigt deines Glaubens war. Wir waren deine Begleiter und lebten also dieses dein Leben mit. Der Inhalt des deinigen war Liebe, nichts als Liebe. Wir lernten diese Liebe kennen und liebten zunächst auch dich, Wir konnten nicht von dir lassen und also auch nicht von ihr. Sie wurde größer und immer mächtiger in uns, sie umfaßte nicht bloß dich, sondern nach und nach auch alle, mit denen wir in Berührung kamen. Jetzt umfängt diese unsere Liebe die ganze Erde und alle Menschen, die auf ihr wohnen. Wir haben den Kuran vergessen; wir sind gleichgültig geworden für die Gesetze des Propheten, durch weiche die Geister, von denen du sprachst, ihre Macht über uns gewannen. Unser Stamm ist groß und berühmt geworden durch das Beispiel, welches wir befolgten, weil es uns von dir, den wir liebten, gegeben wurde. Wir sind unabhängig geworden durch dich; wir kennen keinen Scheik und keinen Stamm der Dschesireh, von dessen Willen wir uns bestimmen lassen. So haben wir uns auch von der Oberhand des Islam freigemacht. Wir wollten dich zu ihm bekehren, sind aber, ohne daß wir es nur merkten, durch die Predigt deiner Taten, welche nichts als Liebe lehrten, von Muhammed fort und auf das hohe Minareh (Gebetsturm) dieser Liebe hinaufgeleitet worden, von welchem aus es nur ein Gebot und eine Stimme gibt, nämlich die heiligen Worte, weiche wir von dir lernten: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm!‘ So hast du in uns den Geist der Selbstsucht, des Hasses, der Rache besiegt; so hast du aus uns Menschen gemacht, welche die Friedenspfade Allahs wandeln, und so bin auch ich durch dich aus einem nach Vergeltung schreienden, unerbittlichen Bluträcher ein gläubiger und folgsamer Anhänger des Gottessohnes geworden, der seine Lehre von der ewigen Macht der Liebe durch sein ganzes Leben, durch sein Leiden und dann durch seinen Tod besiegelt und bestätigt hat. Hanneh, die Beglückerin unsere ‚ s Scheikes, ist es nicht allein, welche von einer Kijahma sprechen kann, sondern wir alle haben eine Kijahma gehabt, eine Auferstehung, eine Befreiung, eine Rettung aus dem Reiche des Hasses in das Reich der Liebe und des Friedens. Das, Effendi, wollte und mußte ich dir sagen, weil mein Herz mich dazu treibt, jetzt, wo wir auch eine Kijahma vor uns haben, welche der Schärfe deines Auges zu verdanken