Karl May

Ardistan und Dschirnistan I


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blau und wie mit einem überaus feinen Blumen-oder Schmetterlingsstaub bedeckt, der metallisch silbern glänzte. Etwas stärker war das Leder der naturfarbenen Schuhe. Diese, in höchst kunstvoller Weise aus einem einzigen Stück geschnitten, erhielten durch Zug und Riemen die Form der wohlgestalteten Füße, welche in ihrem Verhältnisse zur Körpergröße als klein und niedlich zu bezeichnen waren. Verhältnismäßig noch kleiner waren die Hände. Ich hatte später noch oft Gelegenheit, zu sehen, wie sorgfältig gepflegt, wie blüteweiß und rosig überhaupt sie waren. Das Haar der Frau war fein, dünn und goldig blond, weder aschfarben noch rötlich, sondern von jenem mittelfarbigen, lebenden Gold, welches echt und edel ist. Es hing hinten und vorn bis über den Gürtel herab, in leisen Wellen rieselnd, die vermuten ließen, daß es häufig in Zöpfe geflochten wurde. Und diese goldig schimmernde Flut war mit den Federn des Paradiesvogels geschmückt, so einfach, so natürlich, so ungesucht, daß ich mit dem Worte Schmuck nicht eigentlich das treffe, was ich bezeichnen will. Obgleich wir uns mitten in der Wildnis befanden, sah man an der hohen Gestalt dieses Weibes nicht das kleinste Fleckchen und nicht die geringste Spur von Schmutz und Unsauberkeit. Frisch, rein, unbefleckt, natürlich, lauter, so war der Eindruck, den ich gleich beim ersten Blick auf sie von ihr erhielt, und da kam mir der Vergleich, der in ihrem Namen lag, gar nicht unpassend vor. Ihr Auge erschien nur infolge der Behaarung klein. In Wahrheit war es groß und von einem Blau, welches für diese so weit entlegene Gegend des Orients eine große Seltenheit zu nennen war. Später bemerkte ich, daß ein leiser, feiner, wohltuender Duft von dieser Frau ausging, ein Duft der Gesundheit, der Lebenskraft, der immerwährenden Verjüngung, ein seelischer Zwang, in ihrer Gegenwart alles, was nicht gut ist, zu vermeiden. Es war, als ob ich diesen Duft schon jetzt, aus der Entfernung, mit den Augen spüre, denn es tat mir wohl, sie vor mir stehen zu sehen, ganz abgesehen davon, daß die Fremdartigkeit ihrer Erscheinung meine Augen und mein Interesse auf sich zog.

      Sie war nach der Stelle des Ufers geschritten, wohin der Lauf unsers Bootes gerichtet gewesen war. Da stand sie jetzt, nur der Zauberer neben ihr, einige Schritte hinter ihnen die fünf Männer, die ich als eigentliche, wirkliche Haarmenschen bezeichnet habe, und die übrigen noch weiter seitwärts oder zurück. Hierin lag für mich der Beweis, daß die Frau, wenigstens in Abwesenheit des Scheiks, die Gebieterin war, wenn auch unter Beihilfe des Zauberpriesters. Später erfuhr ich, daß sie auch den Scheik zu beherrschen wußte und daß dieser nichts tat, ohne sich vorher mit ihr besprochen zu haben. Sie war geliebt und verehrt als eine Art höheres und besseres Wesen und genoß den Ruf, nur das Gute zu wollen und nie etwas Böses getan zu haben. Die fünf Haarmänner aber gehörten den berühmtesten Familien des Stammes an, in denen diese vollständige Hypertrichosis universalis erblich war, und bildeten das, was man bei uns daheim >die Großen des Reiches< nennen würde. Es hat auch in Europa derartige Haarmenschen gegeben und gibt sie noch. Ich erinnere an Felix Platter am Hofe Heinrichs II¨ von Frankreich, an die Mexikanerin Pastrana, welche durch Europa reiste und in Rußland starb, an Adrian Feodor Jestichew, an die Familie Ambras und an die Böhmin Marietta Schöbl. Besonders berühmt sind die Siamesin Krao und der Lao-the Schwe Maong mit seiner Tochter und ihren beiden Söhnen. Aber diese Haarmenschen, die man auch als Hunde-oder Bärenmenschen zu bezeichnen pflegte, waren Ausnahmen, während die Ussul, die ich hier vor mir stehen sah, die Regel zu bilden schienen. Ich war im hohen Grade gespannt darauf, wie unser Zusammentreffen mit ihnen sich entwickeln werde.

      Als wir unser Boot anhielten, wechselten der Sahahr und Taldscha einige leise und unverständliche Worte miteinander. Wahrscheinlich hatte sie die Unterredung oder Untersuchung nicht beginnen wollen, sondern ihn aufgefordert, es zu tun, denn er tat einen kleinen Schritt vor und fragte zu uns herüber:

      »Warum zögert Ihr? Ihr habt vollends heranzukommen und auszusteigen!«

      »Warum?«

      »Weil ich es Euch befehle!« antwortete er.

      »Es gibt keinen einzigen Menschen, der uns etwas zu befehlen hat! Wer bist Du?«

      »Ich bin der Zauberpriester des Riesenvolkes der Ussul. Und hier, neben mir, steht Taldscha, die Frau unsers Scheiks!«

      »Und der Scheik selbst? Wo befindet er sich?«

      »Er ist nicht hier, wird aber bald kommen. Also, ich befehle Euch, jetzt auszusteigen! Ich habe Euch zu verhören.«

      »Ich sagte Dir bereits, daß wir keinem Menschen Gehorsam schuldig sind; da seid auch Ihr mit inbegriffen. Aber ich bin gewohnt, jeder Person, die man mir als Priester bezeichnet, mit Achtung zu begegnen, und in dem fernen Lande, wo ich geboren bin, ist es Sitte aller guten Menschen, die Frauen zu ehren und allen ihren Wünschen, wenn sie vernünftig sind, entgegenzukommen. Ich bin also mit dem Verhöre, das Du wünschest, vollständig einverstanden, muß aber, bevor es beginnt, einen Irrtum berichtigen, in dem Du Dich befindest.«

      »Eine Irrtum? Ich weiß keinen!«

      »Wenn Du ihn wüßtest, wäre es kein Irrtum, sondern Betrug oder Lüge!«

      »Dann weiß ich ihn sicherlich nicht,« fuhr er auf; »denn bei den Ussul gibt es keine Lüge. Sage ihn mir!«

      »Du hältst Dich für den, der das Verhör vorzunehmen hat. Das ist falsch. Ich bin es! Ich habe Euch zu verhören, nicht aber Du uns.«

      Da lachte er, und die anderen lachten mit.

      »Er ist verrückt!« rief er aus, und: »Er ist verrückt, er ist verrückt!« riefen auch die übrigen, indem sie ihr Lachen zum schallenden Gelächter steigerten.

      Da wendete Taldscha sich halb nach ihnen um und hob die Hand. Das Gelächter verstummte sofort.

      »Dieser Fremde ist nicht verrückt,« sagte sie. »Seht ihm in das Gesicht, und seht ihm in die Augen! Der weiß sehr wohl, was er sagt und was er will. Sprich weiter mit ihm, doch ohne ihn zu beleidigen!«

      Dieser Befehl galt dem Zauberer. Taldschas Stimme klang wohllautend und kräftig. Sie hatte etwas von jenem bestimmten und zugleich milden Klange an sich, den man beim Kirchengeläut an der Alt-oder Mittelglocke zu beobachten pflegt. Der Klang einer Menschenstimme ist auch psychologisch von großer Wichtigkeit. Der Zauberer fuhr, wieder ernst geworden, zu uns gewendet fort:

      »Also Du willst uns verhören? Wer gibt Dir das Recht dazu?«

      »Euer Scheik.«

      »Unser Scheik?« fragte er erstaunt. »Kennst Du ihn?«

      »Ja.«

      »Seit wann?«

      »Seit einer Stunde.«

      »Nicht länger? Und da gibt er Dir schon das Recht, uns zu verhören? Ich würde jetzt wieder lachen und Dich für verrückt halten; aber Taldscha hat uns dies verboten, und so muß ich ernst und höflich bleiben. Du hast ihn also gesehen? Du hast mit ihm gesprochen? Warum ist er nicht da? Warum kam er nicht mit Dir? Wo befindet er sich?«

      »Er ist mein Gefangener.«

      »Dein – — Dein – — Dein Gefangener!« wiederholte er meine Worte in einem Tone, als ob er seinen Ohren nicht traue. »Habe ich recht gehört?«

      »Du hörtest ganz richtig. Amihn, der Scheik der Ussul, ist mein Gefangener.«

      Ich sah, daß er wieder mit dem Lachen kämpfte; aber er beherrschte sich und fragte:

      »Wie soll er denn in Deine Gefangenschaft gekommen sein?«

      »Ich habe ihn vom Pferd gerissen und gebunden.«

      »Gebunden? Womit?«

      »Mit seinen eigenen Riemen.«

      »Mit – — – eigenen – — —? Und vorher vom Pferd gerissen? Du – — —?«

      Er kämpfte schon wieder mit dem Lachen, und diesmal wollte ihm der Sieg nicht gelingen. Er warf einen Blick auf mich, auf den ich ganz und gar nicht stolz zu sein brauchte, drehte sich dann nach seinen Leuten um und fragte:

      »Glaubt Ihr das? Er – er – — er – — – dieser Knabe von Gestalt, will unsern Scheik vom Pferd gerissen haben und mit seinen eigenen – — —«

      Er kam nicht weiter; es brach ein brausendes Gelächter los. Da hob die Frau zum zweiten Male die Hand empor, und wieder wurde es augenblicklich still.

      »Schweigt!«