Karl May

Das Vermaechtnis des Inka


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Stube zurückzukehren. Da stand der Gast, welcher in der Hängematte gelegen hatte. Dieser betrachtete die beiden Kleinen mit neugierigen Augen, während sie ihn mit derselben Neugierde ansahen. Er war ebenso rot gekleidet wie sie und trug aber lange Stiefel, deren Schäfte seine Oberschenkel bedeckten. Sein Gesicht war so bärtig, daß man von demselben nur die Nase und die Augen sah. Sein Haar hing unter dem Hute, welcher auf dem schon beschriebenen Kopftuche saß, lang bis auf den Rücken herab. Dennoch machte er den Eindruck eines Menschen, vor dem man sich nicht zu hüten brauchte. Er verbeugte sich und sagte:

      »Señores, ich höre, daß Euer Gnaden nach dem Gran Chaco wollen, und kann Ihnen vielleicht mit meinem Rate dienen. Wo kommen Sie her?«

      »Von Buenos Ayres.«

      »Wohnen Sie dort?«

      »Nein. Ich bin fremd im Lande.«

      »Ein Fremder? Wo haben Sie Ihre Heimat?«

      »In Deutschland.«

      »Also ein Deutscher! Und was sind Sie? Nehmen Sie mir meine Fragen nicht übel! Ich habe eine gute Absicht dabei.«

      »Ich bin ein Privatgelehrter, ein Zoolog, und will nach dem Gran Chaco, um dort vorweltliche Tiere auszugraben.«

      »Ah! Vielleicht ein Mastodon?«

      »Hoffentlich!«

      »Oder ein Megatherium?«

      »Sie kennen die Namen dieser Tiere?«

      »Natürlich! Ich bin ein Kollege von Ihnen.«

      »Was? Auch ein Gelehrter?« fragte Morgenstern verwundert, denn dieser Mann sah wie ein echter Gaucho, nicht aber wie ein Gelehrter aus.

      »Allerdings bin ich einer,« antwortete er stolz, indem er sich in die Brust schlug.

      »Wohl auch Zoolog?«

      »Auch, denn ich habe alles studiert. Eigentlich aber bin ich Ciruiano (Chirurg), wenn Euer Gnaden gestatten.«

      »Also ein Arzt!«

      »Ja. Ich erlaube mir, mich Euer Gnaden vorzustellen. Man kennt mich überall, und Sie werden nur deshalb, weil Sie fremd sind, meinen berühmten Namen noch nicht gehört haben. Ich bin nämlich Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante.«

      »Danke! Ich heiße Doktor Morgenstern, und der Name meines Dieners ist Kiesewetter.«

      »Zwei schöne Namen, doch darf ich wohl behaupten, daß der meinige wohlklingender ist und sich auch viel leichter aussprechen läßt. Ich bin einer altkastilianischen Adelsfamilie entsprossen. Was sagen Sie zu einer Amputation des ganzen Beines, und zwar in der Weise, daß man erst die Weichteile abschneidet und dann den Kopf des Oberschenkelknochens sehr einfach aus dem Pfannengelenk des Beckens nimmt?«

      »Oberschenkelknochen, Os femoris genannt? Und Becken, Pelvis geheißen? Ich verstehe Sie nicht, Señor. Warum soll denn dem unglücklichen Manne das Bein amputiert werden? Ist er verwundet? Hat er schon den Brand darin?«

      »Keineswegs. Das Bein ist kerngesund.«

      »Aber weshalb soll es ihm da abgeschnitten werden?«

      »Weshalb? Cielo! Welche Frage! Der Mann ist ja ganz munter und wohl; es fehlt ihm nichts, gar nichts. Ich denke überhaupt gar nicht an einen bestimmten Menschen, sondern ich setze nur den Fall, verstehen Sie wohl, den Fall, daß ich ein Bein abzunehmen hätte. Würden Sie mir die nötige Geschicklichkeit zutrauen?«

      »Ganz gern, ganz gern, Señor. Aber dennoch bin ich herzensfroh, daß Sie nur den Fall setzen. Ich glaubte schon, ich sollte Ihnen helfen und das Bein des Unglücklichen halten.«

      »Das ist gar nicht notwendig, denn ich bedarf keiner Hilfe. Ich verfahre mit solchem Geschick und solcher Schnelligkeit, daß der Patient gar nichts davon empfindet. Erst dann, wenn er geheilt das Lager verläßt, bemerkt er, daß er nur noch ein Bein hat. Und das thue ich nicht nur beim Beine, sondern bei allen Gliedern. Ich sage Ihnen, Señor, ich säble alles, alles herunter!«

      Er machte dabei so energische Armbewegungen, daß der Doktor erschrocken ausrief:

      »Mein Himmel! Ich bin gesund, vollständig gesund!. Mir brauchen Sie nichts zu amputieren!«

      »Leider, leider! Es ist wirklich jammerschade, daß Sie nicht verwundet sind oder einen hübschen Knochenfraß haben. Sie würden sich königlich über die Kunst freuen, mit welcher ich Ihren Körper von dem betreffenden Gliede befreie. Ich habe meine Werkzeuge stets bei mir. Was meinen Sie wohl zum Beispiel vom Heraussägen des Ellenbogengelenkes? Haben Sie diese wunderbare Operation schon einmal gesehen?«

      »Nein. Und ich versichere Sie, daß sich meine beiden Ellbogen in vollster Ordnung befinden.«

      »O, was das betrifft, so würde es gar nichts schaden, wenn sie durch Schüsse zerschmettert worden oder durch eine komplizierte und veraltete Verrenkung unbrauchbar geworden wären. Ich sägte sie Ihnen zu Ihrem eigenen Entzücken heraus, und dann könnten Sie sich Ihrer Arme ganz leidlich wieder bedienen.«

      »Das will ich nicht bezweifeln, Señor; aber dennoch ist es mir lieber, gar nicht in die Lage zu kommen, sie mir heraussägen lassen zu müssen.«

      »So sind Sie zwar ein gelehrter Mann, besitzen aber nicht den Mut, der Wissenschaft ein Opfer zu bringen. Und das ist jammerschade, denn ich säble wirklich alles, alles herunter.«

      »Ich bewundere Ihre Geschicklichkeit,

      Señor, habe aber leider keine Zeit, mich weiter über dieses interessante Thema zu verbreiten. Ich suche Pferde für meine Reise, und da ich hier keine passenden gefunden habe, so muß ich jetzt weiter, um–«

      »Machen Sie sich keine Sorge,« unterbrach ihn der Chirurg. »Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung.«

      »Sie? Wissen Sie vielleicht, wo vier kräftige und ausdauernde Tiere zu haben sind?«

      »Ich weiß es nicht nur, sondern ich stehe selbst auch im Begriff, mir eins zu kaufen.«

      »Wo ist das?«

      »Auf einer kleinen Estancia, welche eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt.«

      »Wie kommt man da hinaus? Hier geht kein Mensch so weit zu Fuße.«

      »Wir borgen uns Pferde von dem Wirte, bei dem wir uns jetzt befinden. Diese kurze Strecke vermögen sie uns zu tragen. Er gibt uns einen Peon mit, welcher sie ihm zurückbringt.«

      »So lassen Sie uns aufbrechen, Señor!«

      »Bitte, das hat keine solche Eile. Wir können den Handel erst morgen früh machen. Ich habe mich erkundigt und da erfahren, daß der Estanciero verreist ist und erst heute abend wiederkommt.«

      »So muß ich mich nach einer andern Stelle umsehen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.«

      »Warum? Die vorsündflutlichen Skelette laufen Ihnen doch nicht fort.«

      »Nein; aber ich will eine Gesellschaft von Männern einholen, welche nach der Laguna Porongos vorausgeritten sind.«

      Der Chirurg horchte auf und erkundigte sich dann:

      »Wer ist das? Meinen Sie etwa den Vater Jaguar mit seinen Leuten?«

      »Ja, den meine ich. Kennen Sie ihn vielleicht?«

      »So genau wie mich selbst. Ich gehöre ja zu ihm. Wir hatten uns hier zu versammeln; ich wurde aber droben in Puerto Antonio unvermutet aufgehalten, so daß ich zu spät kam. Sie sind schon fort. Ich konnte mir freilich hier sofort ein Pferd kaufen, um ihnen nachzureiten; aber in dieser Stadt findet man kein brauchbares Tier. Darum warte ich lieber bis morgen früh, wo ich ein gutes bekomme und nicht Gefahr laufe, es unter mir zusammenbrechen zu sehen.«

      Doktor Morgenstern hatte ein gelindes Grauen vor diesem Manne gefühlt, der »alles, alles heruntersäbelte«; jetzt aber freute er sich, ihn getroffen zu haben. Darum fragte er:

      »Sie glauben, daß Sie den Vater Jaguar noch einholen werden?«

      »Natürlich! Ich kenne die Route, welche er einschlägt, ganz genau.«

      »Das freut mich außerordentlich. Würden Sie uns die Erlaubnis, lateinisch