Karl May

Der blaurote Methusalem


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Wu-kuan.«

      »Wu, Wu, Wu, Wu-kuan! Nun werde ich das Wu wohl im Kopfe haben, wenn ich dabei nur das Kuan nicht wieder vergesse. Es ist ein sehr schlechtes Chinesisch. Die richtige Endung fehlt; es muß ein ng hintenan, also Wung-Kuang. Das wäre hochchinesisch. Haben Sie vielleicht einen Bleistift bei sich?«

      »Ja. Hier ist er.«

      »Danke! Will mir dieses Wu-kuan, zu welcher Sekte ich doch nun einmal gehöre, doch lieber aufschreiben, und zwar hierher auf den Fächer, wo ich es stets vor Augen habe. Fällt mir es nicht gleich bei, so öffne ich den Fächer und fächle mir meine Kriegerklasse zu. Prächtiger Gedanke! Man sollte sich eigentlich jedes chinesische Wort, welches man leicht vergessen könnte, auf den Fächer notieren.«

      »Wie groß müßte er dann bei Ihnen sein?«

      »Wie groß? Ah, Sie wollen mich wohl foppen? Ich denke, mein Kopf faßt ebensoviel wie der Ihrige!«

      »O, noch weit mehr. Ihr Zopf beweist das ja.«

      »Wieso? Machen Sie sich wirklich über mich zum Lachen?«

      »Nein, Kapitän. Wie heißt Zopf in chinesischer Sprache?«

      »Jedenfalls Zopfing oder Zopfeng.«

      »Nein. Dieses Mal sind Sie leider falsch unterrichtet.«

      »Wie denn?«

      »Pen-tse, zu deutsch Sohn des Gehirnes. Die Chinesen gehen von der Ansicht aus, daß aus einem gesunden Kopfe auch ein gesunder, also recht langer Zopf wachsen müsse. Demzufolge muß also ein langer Zopf das sichere Zeichen eines guten Gehirnes, eines klugen Mannes sein. Daher lachen sie über unser geschorenes Haar und halten uns für Dummköpfe. Je höher ein Chinese steht, desto länger und dicker wird sein Zopf sein, ob Natur oder Kunst, das ist Nebensache. Da Sie nun so einen gewaltigen Zopf besitzen, während ich leider keinen Pen-tse habe, so müssen Sie mir geistig ungeheuer überlegen sein.«

      »Das ist auch gewiß sehr richtig. Wart, den Zopf muß ich mir auch sofort notieren. Also Pen-dse?«

      »Nein, denn dse heißt ‚vier‘.«

      »Also Pen-ße?«

      »Auch nicht, denn ße oder sse bedeutet den akademischen Grad eines Doktors.«

      »Wohl Pen-se?«

      »Bewahre, denn se heißt Liebe, Farbe, Figur, Malerei. Sie müssen ein hartes t vor das s setzen.«

      »Folglich Pen-tße?«

      »Unmöglich; tße bedeutet nämlich: sich, selbst, Eigenart, innere Beschaulichkeit, Identität und auch Identifikation.«

      Turnerstick hielt den Fächer in der Linken und den Bleistift in der Rechten zum Schreiben erhoben; aber er schrieb nicht, sondern zog ein ganz merkwürdiges Gesicht und rief erbost:

      »Jetzt hören Sie nun mal auf, Sie Deutschverderber! Es braust mir ja um die Ohren, als ob ich den Niagarafall im Kopfe hätte!«

      »Ja, mein Lieber, Sie müssen die beiden Konsonanten genau und scharf unterscheiden. Im Chinesischen ist ein großer Unterschied zwischen se, sse, sze, tse, tze, dse und dze.«

      »Ihr Unterschied kann mir gestohlen werden! Warum bringen Sie mir lauter Worte ohne eine meiner Endungen! Peng tseng wäre richtig; warum soll ich da Pen-tse sagen! Ich schreibe mir den unglückseligen Zopf gar nicht auf. Hier haben Sie Ihr Stückchen Bleistift zurück. Mir brauchen Sie mit Ihrem hölzernen Pantoffelchinesisch nicht zu kommen. Da hat das meinige doch mehr Saft und Kraft. Pang, peng, ping, pong und pung, das ist der wahre Jakob; das klingt wie Glockengeläute! Was würden Sie sagen, Mijnheer van Aardappelenbosch, wenn einer von Ihnen verlangte, sieben- oder achterlei dse und tse zu unterscheiden?«

      »lk zoude ihm sagen: Gij zijt een ongelukkige Nijlpaard!« antwortete der Dicke, indem er so tief und ängstlich Atem holte, als ob an ihn das Verlangen gestellt worden sei, den malefikanten Pen-tse zu deklinieren.

      »Ja, ein Nilpferd sondergleichen wäre dieser Kerl. Merken Sie sich das, mein bester Methusalem, und sündigen Sie hinfort nicht mehr, sonst zwingen Sie mich, Sie einmal in die linguistische Wäsche zu nehmen. Jetzt aber wollen wir endlich an Bord. Vorwärts!«

      Die fünf sonderbaren Personen hatten durch ihr längeres Verweilen an dieser Stelle eine große Anzahl von Neugierigen herbeigezogen. Dennoch zeigte sich oben auf dem Deck der Dschunke kein Mensch. Unser Kapitän schob seinen Fächer zusammen und wendete sich nach der Treppe.

      »Vergessen Sie das Tsing-tsing nicht!« ermahnte ihn der Blaurote noch. »Wir wollen höflich sein und grüßen.«

      »Soll geschehen! Tsing ist doch wenigstens chinesisch; es hat eine von meinen fünf Endungen und klingt viel peking-, nanking- und kantongähnlicher als Ihr trauriges Tse-dse-sse, welches sich so anhört, wie wenn Ihr Gottfried in seine Oboe fiebt. Mich laßt aus damit!«

      Er stieg die Treppe empor. Hinter ihm folgten Richard Stein, der Wichsier, der Dicke und zuletzt der Methusalem. Diese Ordnung der Personen hatte für den dicken Holländer eine kleine Belästigung zur Folge. Da Gottfried den Kopf der Hukah, trug und der Methusalem die Spitze des Schlauches im Munde hatte, so führte der letztere an Mijnheer van Aardappelenbosch vorüber und machte ihm das Emporsteigen schwieriger, zumal die Treppe für seine volle Gestalt viel zu schmal war. Er blieb auf der vierten oder fünften Stufe halten, um wenigstens seinen Riesenschirrn, welcher ihm sehr beschwerlich wurde, zuzumachen, verwickelte sich aber dabei in den langen Pfeifenschlauch. Der Schirm entging seiner Hand. Um denselben zu ergreifen, machte er eine schnelle Bewegung, verlor den Halt und rutschte von der Leitersprosse ab.

      »Gottfried, halte die Pfeife fest!« rief der Methusalem, indem er die Spitze derselben fahren ließ.

      Der Dicke stürzte auf ihn, und zwar mit solchem Gewichte, daß der Blaurote sich und ihn nicht zu halten vermochte; beide krachten von der Treppenleiter herab und auf die Erde nieder.

      Der Methusalem raffte sich augenblicklich wieder auf; der Dicke aber blieb liegen, hielt die Hände und Füße empor, spreizte alle zehn Finger auseinander und schrie:

      »Mijn God, mijn hemel, o mijn rug en mijne neus! Daar ligg ik hoe een walvisch in de fontein! Ik ben dood. Goede nacht, gij boose wereld – mein Gott, mein Himmel, o mein Rücken und meine Nase! Da lieg ich wie ein Walfisch im Springbrunnen! Ich bin tot. Gute Nacht, du böse Welt!«

      Gottfried hatte die Pfeife fest gehalten, so daß sie ihm nicht entrissen worden war. Er kam herabgestiegen, um den beschmutzten Anzug seines Herrn mit dem Taschentuche zu reinigen. Dabei fragte er denselben:

      »Wie nennt man eigentlich im Holländischen das Parterre?«

      »Gelykvloers,« antwortete der Bemooste.

      »Und Strohsack?«

      »Stroozak.«

      »Danke!«

      Sich nun an den Holländer, welcher noch immer alle vier Extremitäten von sich streckte und die Augen geschlossen hielt, wendend, rief er:

      »Mijnheer, wollen Sie hier gelykvloers liegen bleiben wie ein Stroozak? Erheben Sie sich doch in Ihre janze Herrlichkeit!«

      »Ik kan niet!« antwortete der Aufgeforderte im kläglichsten Tone.

      »Warum nicht?«

      »Ik ben dood, muisdood. Ik sterv in deze oogenblik. Ik ben een ongelukkige nijlpaard. Wij worden afschied nemen!«

      »Wat, so mausetot sind Sie, dat Sie Abschied nehmen wollen?« lachte der Wichsier. »Wer so weich fällt wie Sie, der kann sich jar nie zu Tode fallen. Sollten Sie aber dennoch bereits nach dem Jenseits hinüberjeschlummert sein, so habe ich da meine Posaune des letzten Jerichtes, mit welcher ich Ihnen aus dat Erbbejräbnis blasen werde. Wollen Sie jefälligst auf ?«

      »Neen! Ik kan niet.«

      »Dann werde ich nachhelfen.«

      Er hielt ihm die Oboe an das Ohr und blies. Es kam ein so entsetzlicher, lang gezogener Mißton zum Vorscheine, daß sich der Holländer sofort in sitzende Stellung aufrichtete und beide Ohren mit den Händen verschloß.

      »Dat hilft! Nicht