bei, nur der Menageriebesitzer nicht, welcher um den teuren Panther und seinen Tierbändiger gekommen war.
»Zwei Schüsse waren es,« antwortete die abenteuerliche Gestalt vom Flusse herauf. »In jedes Auge einer. Wohin geht dieser Steamer, wenn es nötig ist?«
»Soweit er genug Wasser findet,« antwortete der Kapitän.
»Wir wollten an Bord und haben uns deshalb drüben am Ufer dieses Floß gebaut. Wollt Ihr uns aufnehmen?«
»Könnt Ihr Passage zahlen, Ma‘am oder Sir? Ich weiß wirklich nicht, ob ich Euch als Mann oder als Frau heraufbefördern soll.«
»Als Tante, Sir. Ich bin nämlich Tante Droll, verstanden, wenn es nötig ist. Und was die Passage betrifft, so pflege ich mit gutem Gelde, oder gar mit Nuggets zu bezahlen.«
»So sollt Ihr die Strickleiter hinunter haben. Kommt also an Bord! Wir müssen machen, daß wir von dieser unglückseligen Stelle fortkommen.«
Die Strickleiter wurde herabgelassen. Erst stieg der Knabe hinauf, der auch mit einem Gewehre bewaffnet war; dann warf der andre das Gewehr über, erhob sich, ergriff die Leiter, stieß das Floß unter sich fort und turnte sich mit einer eichkätzchenartigen Geschicklichkeit an das Deck, wo er mit großen, ungemein erstaunten Blicken empfangen wurde.
Zweites Kapitel. Die Tramps
»Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind trotz oder vielmehr infolge ihrer freisinnigen Institutionen der Herd ganz eigenartiger sozialer Landplagen, welche in einem europäischen Staate vollständig unmöglich sein würden.«
Der Kenner der dortigen Zustände wird zugeben, daß diese Behauptung eines neueren Geographen ihre guten Gründe habe. Man könnte die Plagen, von denen er spricht, in chronische und akute einteilen. In ersterer Beziehung wären vor allen Dingen die händelsuchenden Loafers und Rowdies, und sodann die sogenannten Runners, welche es vorzugsweise auf die Einwanderer abgesehen haben, zu nennen. Das Runner-, Loafer- und Rowdytum ist stabil geworden und wird, wie es allen Anschein hat, noch verschiedene Jahrzehnte überdauern. Anders ist es bei der zweiten Art der Plagen, welche sich schneller entwickeln und von kürzerer Dauer sind. Dahin gehörten die rechtlosen Zustände des fernen Westens, infolge deren sich förmliche Räuber- und Mörderbanden bildeten, welche Master Lynch nur durch das energischeste Vorgehen zu vernichten vermochte. Ferner wären hier die Kukluxes zu erwähnen, welche während des Bürgerkrieges und auch noch nach demselben ihr Wesen trieben. Zur schlimmsten und gefährlichsten Landplage aber entwickelten sich die Tramps als Vertreter des rohesten und brutalsten Vagabundentums.
Als zu einer gewissen Zeit ein schwerer Druck auf Handel und Wandel lag, Tausende von Fabriken stillstanden und Zehntausende von Arbeitern beschäftigungslos wurden, begaben sich die Arbeitslosen auf die Wanderung, welche vorzugsweise in westlicher Richtung erfolgte. Die am und jenseits des Mississippi liegenden Staaten wurden von ihnen förmlich überschwemmt. Dort trat bald ein Scheideprozeß ein, indem die Ehrlichen unter ihnen Arbeit nahmen, wo sie dieselbe fanden, selbst wenn die Beschäftigung nur eine wenig lohnende und dabei anstrengende war. Sie traten meist auf Farmen an, um bei der Ernte zu helfen, und wurden deshalb gewöhnlich Harvesters, Erntearbeiter genannt.
Die arbeitsscheuen Elemente aber vereinigten sich zu Banden, welche von Raub, Mord und Brand ihr Leben fristeten. Die Mitglieder derselben sanken schnell auf die tiefste Stufe sittlicher Verkommenheit herab und wurden von Männern angeführt, welche die Zivilisation meiden mußten, weil die Faust des Strafgesetzes sich verlangend nach ihnen ausstreckte.
Diese Tramps erschienen gewöhnlich in größeren Haufen, zuweilen bis dreihundert Köpfe stark und darüber. Sie überfielen nicht bloß einzelne Farmen, sondern selbst kleinere Städte, um sie vollständig auszurauben. Sie bemächtigten sich sogar der Eisenbahnen, überwältigten die Beamten und bedienten sich der Züge, um schnell in ein andres Gebiet zu gelangen und dort dieselben Verbrechen zu wiederholen. Dieses Unwesen nahm so überhand, daß in einigen Staaten die Gouverneurs gezwungen waren, die Miliz einzuberufen, um den Strolchen förmliche Schlachten zu liefern. Für solche Tramps hatten der Kapitän und der Steuermann des »Dogfish«, wie bereits erwähnt, den Cornel Brinkley und seine Leute gehalten. Diese Vermutung konnte, selbst wenn sie richtig war, keinen Grund zu direkten Befürchtungen bieten. Die Gesellschaft war nur ungefähr zwanzig Mann stark und also viel zu schwach, um mit den übrigen Passagieren und der Schiffsbesatzung anzubinden, doch konnten Vorsicht und Aufmerksamkeit keineswegs als überflüssig gelten.
Der Cornel hatte seine Aufmerksamkeit natürlich auch auf die wunderliche Gestalt gerichtet, welche sich dem Schiffe auf so zerbrechlichem Flosse näherte und, nur so wie beiläufig, das mächtige Raubtier erlegte. Er hatte gelacht, als Tom den sonderbaren Namen Tante Droll aussprach. Aber jetzt, als der Fremde das Verdeck betrat und er das Gesicht desselben deutlicher erkennen konnte, zogen sich seine Brauen zusammen, und er wies seine Leute an, mit ihm zu kommen. Er führte sie nach der Spitze des Vorderdecks und antwortete, als man ihn nach dem Grunde dieses Rückzuges fragte: »Dieser Kerl ist gar nicht so lächerlich, wie er erscheinen will; ich sage euch sogar, daß wir uns vor ihm in acht zu nehmen haben.«
»Warum? Kennst du ihn? Ist er eine Frau oder ein Mann?« antwortete einer.
»Natürlich ein Mann.«
»Warum dann diese Maskerade?«
»Es ist keine Maskerade. Dieser Mensch ist in Wirklichkeit ein Original, dabei aber einer der gefährlichsten Polizeispione, die es geben kann.«
»Pshaw! Tante Droll und Polizeispion! Der Mann soll alles sein, was dir beliebt, ich will es glauben, aber nur Detektive nicht!«
»Und doch ist er es. Ich habe von Tante Droll gehört; sie soll ein halbverrückter Fallensteller sein, der mit allen Indianerstämmen seiner Lustigkeit wegen auf bestem Fuße steht. Nun ich sie aber jetzt gesehen habe, kenne ich sie besser. Dieser dicke Mensch ist ein Detektive, wie er im Buche steht. Ich bin ihm droben in Fort Sully am Missouri begegnet, wo er einen Kameraden mitten aus unsrer Gesellschaft holte und an den Strick lieferte, er allein, und wir waren über vierzig Mann!«
»Das ist unmöglich. Ihr konntet ihm doch wenigstens vierzig Löcher in den Leib stechen!«
»Nein, das konnten wir nicht. Er arbeitet mehr mit Verschlagenheit als mit Gewalt. Seht euch nur einmal seine kleinen, listigen Maulwurfsäuglein an! Denen entgeht keine Ameise im dicksten Grase. Er macht sich mit der größten, unwiderstehlichsten Freundlichkeit an sein Opfer und klappt die Falle zu, bevor es möglich ist, an eine Überrumpelung auch nur zu denken.«
»Kennt er denn dich?«
»Das halte ich für unmöglich. Er hat mich damals nicht beachten können; es ist eine lange Zeit her, und ich habe mich inzwischen sehr verändert. Dennoch bin ich der Meinung, daß es geraten ist, uns still und unbefangen zu verhalten, daß wir seine Aufmerksamkeit nicht erregen. Ich denke, daß wir hier einen guten Streich ausführen können, und möchte nicht haben, das er uns dabei im Wege steht. Old Firehand ist nebst Old Shatterhand der berühmteste Jäger des Westens. Der schwarze Tom hat sich auch als ein Mann gezeigt, mit dem man rechnen muß, aber weit gefährlicher noch als diese beiden ist Tante Droll. Nehmt euch vor ihr in acht, und thut lieber so, als ob ihr sie gar nicht bemerkt.«
So gefährlich, wie Droll von dem Cornel geschildert wurde, sah er freilich nicht aus, vielmehr mußten sich die Anwesenden alle Mühe geben, bei seinem Erscheinen nicht in ein verletzendes Gelächter auszubrechen. Nun, da er auf dem Decke stand, ließ sich erkennen und sagen, welcher Art seine Kleidung war.
Seine Kopfbedeckung war weder Hut noch Mütze noch Haube, und doch konnte man sie mit jedem dieser Worte bezeichnen. Sie bestand aus fünf verschieden geformten Lederstücken. Das mittlere, welches auf dem Kopfe saß, hatte die Gestalt eines umgestülpten Napfes; das vordere beschattete die Stirn, und sollte jedenfalls eine Art von Schirm oder Krempe sein; das vierte und fünfte waren breite Klappen, welche die Ohren bedeckten. Der Rock war sehr lang und außerordentlich weit. Er war aus lauter ledernen Flicken und Flecken zusammengesetzt, einer immer auf und über den andern genäht. Keiner dieser Flecken trug das gleiche Alter; man sah ihnen vielmehr an, daß sie so nach und nach, zu den verschiedensten Zeiten, vereinigt worden waren.