ist draußen?« frug Toska.
»Ich bin es, Komtesse. Bitte, öffnen Sie!«
»Wer denn?«
»Die Kastellanin!« flüsterte es.
»Ich öffne während der Nacht keinem Menschen.«
»So sind Sie verloren. Haben Sie Vertrauen zu mir?«
»Was wollen Sie?«
»Ich will Sie retten.«
Toska war überrascht. Die Kastellanin war ihr nie als ein Weib erschienen, zu dem man ein besonderes Vertrauen haben konnte. Sollte sie etwa nur hinausgelockt oder durch eine so plumpe List vermocht werden die Thür zu öffnen? Aber wenn es wirklich Rettung sein sollte, die einzige Rettung aus den Händen dieses verhaßten gewissenlosen Menschen, war es dann klug sie zurückzuweisen? Sie bot sich ganz sicher nicht so bald oder vielleicht gar niemals wieder.
»Mich retten? Womit?«
»Ich führe Sie heimlich aus der Burg.«
»Wirklich? Wer gibt mir Sicherheit, daß Sie es ehrlich meinen?«
»Ich gebe Ihnen mein Wort. Sie haben mich schon längst gedauert, Sie armes junges Blut, und ich habe heute das Gelübde gethan Sie zu retten. Vertrauen Sie mir!«
Diese Worte klangen wohl gut und schön. Aber sollte die Kastellanin wirklich ein so mitleidiges, muthiges und entschlossenes Herz besitzen, die Stellung ihres Mannes und ihre eigene Sicherheit durch die Befreiung einer Gefangenen, die ihr noch gar nichts geboten hatte, auf das Spiel zu setzen?
»Sprechen Sie die Wahrheit?«
»Ich habe es der heiligen Mutter Gottes gelobt, Sie aus dem Schlosse zu bringen.«
»Schwören Sie es!«
»Ich schwöre es bei allen Heiligen und bei meiner Seligkeit! Ich habe einen Ihrer Anzüge bereits mitgebracht. Sie sollen ihn anlegen und werden mir heimlich folgen.«
»So treten Sie ein!«
Sie öffnete vorsichtig, so daß nur ein Raum für eine einzige Person blieb, und fühlte sich allerdings außerordentlich erleichtert, als sie bemerkte, daß die Kastellanin allein sei. Hinter derselben wurde die Thür wieder verschlossen.
»So ist es also doch Ihr Ernst mich von hier fortzubringen.«
»Ja, mein heiliger Ernst. Ich weiß, welche Gefahr ich laufe. Mein Mann wird wohl seine Stelle verlieren, aber ich denke, daß die gnädige Komtesse sich dann ein wenig unserer annehmen werden.«
»Ja, das werde ich thun, gute Frau; ich verspreche es Ihnen hiermit sowohl mit der Hand als auch mit dem Herzen. Ich bitte Sie auch um Verzeihung für den Mangel an Freundlichkeit und Vertrauen, den ich Ihnen stets gezeigt habe!«
»O, daran war ich selbst schuld! Ich durfte ja nicht zeigen, wie lieb ich Sie habe und wie gern ich Ihnen geholfen hätte.«
»Brave gute Frau. Aber wird man uns nicht bemerken und aufhalten?«
»Nein. Ich habe für Alles gesorgt. Bitte, wollen Sie sich ankleiden! Wir haben nicht viel Zeit. Licht dürfen wir leider nicht anbrennen.«
»O, es geht auch ohne Beleuchtung!« Und während sie die mitgebrachten Kleider anlegte, frug sie:
»Aber wo werden Sie mich hinbringen? Wohl nur bis auf die Straße? Denn länger können Sie das Schloß doch nicht verlassen.«
»Allerdings, und dies verursacht mir Bedenken.«
»Warum?«
»Sie können doch unmöglich allein fortgehen. Erstens wird man sie verfolgen, und zweitens sind Sie es ja Ihrem Namen und Stande schuldig, sich nicht so hilflos auf der Straße finden zu lassen. Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«
»Welchen?«
»Es sind nur wenige hundert Schritte bis hinunter zum Kloster der frommen Schwestern. Ich bin sehr viel bei ihnen, und die Frau Priorin ist stets sehr freundlich mit mir. Als ich heute bemerkte, welche Gefahr Ihnen droht, wollte ich meine Seele retten und ging zu ihr. Ich erzählte ihr Alles. Sie darf nichts davon verrathen, aber sie war bereit Ihnen zu helfen. Sie hat mir befohlen, Sie zu ihr zu bringen. Unter ihrem Schutze sollen Sie bleiben, bis nach zwei oder drei Tagen der Prinz in seinen Nachforschungen ermüdet ist, und dann wird sie Ihnen Alles bieten was nothwendig ist, in Sicherheit zu gelangen.«
Toska athmete bei dieser Kunde hoch und freudig auf.
»Ist das wahr, was Sie mir da sagen?«
»Ja. Hier, fühlen Sie den Schlüssel, den mir die Priorin gegeben hat. Er führt durch eine Nebenpforte in das Kloster. Sie sollen auch dort so wenig wie möglich gesehen werden Die Schwestern sind zwar schweigsam und kennen Sie wohl nicht; aber man muß immer vorsichtig sein. Die Frau Priorin meinte, es sei nothwendig Alles zu thun, damit es nicht bekannt werde, daß eine so hohe Dame so lange Zeit ganz allein bei dem Prinzen gewohnt habe.«
»Ich werde Ihnen und der Aebtissin dankbar sein so lange ich lebe. Aber wenn wir dennoch beobachtet und ergriffen werden?«
»Das ist unmöglich. Ich habe alle Thüren und Korridore verschlossen und das Thor bereits ein wenig geöffnet. Es kann Niemand zu uns, wir aber können sehr leicht in das Freie. Sind Sie bald fertig?«
»Nur noch dieses Tuch. So. jetzt bin ich bereit.«
»So bitte, kommen Sie!«
Die Vogtin schritt voran. In einer Anwandlung von Besorgniß ergriff Toska unbemerkt das Messer, welches sie vorhin auf den Tisch gelegt hatte, und steckte es zu sich; dann folgte sie.
Der Weg führte durch mehrere Gänge, welche sämmtlich unbeleuchtet waren. Dann gelangten sie in den vorderen Schloßhof, welchen Toska nur ein einziges Mal, nämlich bei ihrer Ankunft, und dann nicht wieder betreten hatte. Das Thor war wirklich um eine Lücke geöffnet, welche sehr leicht und ohne Geräusch erweitert werden konnte. Sie schlüpften hindurch. Draußen vor demselben holte Toska tief Athem und ergriff beide Hände ihrer Führerin.
»Gott sei Dank, ich fühle mich frei! Ich werde diesen Augenblick nie, niemals vergessen. Sie kennen meinen Namen und wissen auch wo ich zu finden bin. Ich kann Ihnen jetzt nicht lohnen, aber kommen Sie zu mir, und ich werde Ihnen Alles vergelten, was Sie jetzt an mir thun.«
»Ich bin davon überzeugt, gnädige Komtesse. Aber kommen Sie. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es könnte doch jemand erwachen und Argwohn schöpfen, und die Frau Priorin wartet bereits!«
Sie eilten vorwärts. Toska merkte nicht, daß zwei männliche Gestalten ihnen vorsichtig folgten und erst dann wieder umkehrten, als sie hinter dem Pförtchen und der Mauer des Nonnenklosters verschwunden war. Man hatte sie aus der Höhle des Fuchses in diejenige der Hyänen geführt. Sie sollte das Opfer von allen Beiden werden.
Drittes Kapitel: Im Zuchthaus
Die Maschine stieß einige gellende Pfiffe aus, die Räder kreischten unter dem Drucke der angezogenen Bremsen, und der Personenzug fuhr in den Bahnhof ein. Die Wagen kamen zum Halten, und einige Coupees wurden geöffnet.
»Station Hochberg. Fünf Minuten Aufenthalt!« ertönte der Ruf der Schaffner.
»Ihr Aufenthalt wird wohl etwas länger dauern,« meinte ein Passagier, der nebst noch einem andern in einem Einzelcoupee dritter Klasse gesessen hatte, in strengem Tone.
Er trug die Uniform eines Amtswachtmeisters und hielt den linken Arm in einer Binde.
»Geht Niemanden etwas an,« antwortete grob der Andere. »Es hat sich hier schon mancher, der erst gar aufgeblasen that, für längere Zeit vor Anker gelegt. Ich glaube gar, es sind auch schon Wachtmeisters hier geblieben, Wachtmeisters; merken Sie sich das!«
Der Sprecher war eine rohe untersetzte Gestalt, in ein sehr abgetragenes Gewand gekleidet. Er trug unter demselben ein rauhmaschenes Hemde; sein Gesicht war gewaschen und sein Haar gekämmt, aber diese Reinlichkeit wollte zu dem Manne nicht recht passen; es hatte ganz den Anschein, als ob sie ihm ungewohnt oder gar aufgedrungen worden sei. Was aber am meisten auffiel, war, daß er »geschlossen« war. Seine Hände waren in einer eisernen »Bretzel« vereinigt, welche