was du verlangst. Nur schaffe recht bald etwas zu essen!«
Er setzte sich nieder, und wir entfernten uns und huschten am Waldesrande nach der Spitze des Sumpfes. Ich drang vorsichtig in das Schilf ein und sah zwei Kronenkraniche im Wasser stehen. Die schönen grauen Vögel nahmen sich mit ihren hohen Kopfbüschen prächtig aus, waren aber alt, also nicht zu essen. Dagegen bemerkte ich weiter oben eine Gesellschaft von Sporengänsen, nämlich am jenseitigen Ufer, während am diesseitigen Ufer ein Sporenkibitzpaar im Wasser hockte. Der Sudanese nennt diese letzteren, sehr wachsamen Vögel nach ihrer Stimme Siksak. Da eine Gans einen besseren Braten als ein Kibitz giebt und auch leichter zum Schusse kommt als dieser, wendeten wir uns um die Spitze des Maijeh hinum dem andern Ufer zu, an welchem wir in gebückter Stellung hinter dem Schilfe entlang schlichen. Da klang es plötzlich und ängstlich »Sik-sak, sik-sak!« Die Kibitze hatten sich drüben erhoben, kamen über den Maijeh herüber und flogen über uns hinweg.
»Was ist das?« fragte ich leise, indem ich stehen blieb. »Die Kibitze sind drüben aufgescheucht worden. Von wem?«
»Von uns,« meinte Ben Nil. »Sie haben uns gesehen.«
»O nein. Das Schilf deckte uns ja. Wären wir es gewesen, vor denen sie flohen, so wären sie doch nicht herüber nach unserer Seite gekommen.«
»Sie werden Selim bemerkt haben.«
»Das ist allerdings möglich. Komm also weiter!«
Als wir die Stelle erreichten, wo ich jenseits des Schilfes die Gänse gesehen hatte, drangen wir langsam und leise in das letztere ein. Es gelang uns, die Gesellschaft zu sehen, ohne selbst bemerkt zu werden.
»Nimm die junge, fette links!« flüsterte ich Ben Nil zu, indem ich meinen Lauf auf eine andere richtete. Die beiden Schüsse krachten fast zu gleicher Zeit; die Schar stob schnatternd auseinander; die beiden Opfer aber waren so gut getroffen, daß sie sich kaum noch bewegten. Wir drangen vollends durch das Schilf und langten sie mit unseren Gewehren aus dem Wasser.
»So, jetzt giebt‘s zu essen,« lachte Ben Nil befriedigt. »Nun wird Selim wohl nicht mehr wimmern.«
Jeder seine Gans in der Hand, kehrten wir um den Maijeh nach der andern Seite zurück. Es war, seit wir Selim verlassen hatten, doch über eine Viertelstunde vergangen. Als wir den Sumpf umschritten hatten und ich am schnurgeraden Waldesrande hinblickte, sah ich Selim nicht. Auch Ben Nil vermißte ihn, denn er sagte:
»Dieser Mensch ist doch nicht da geblieben, wo er bleiben sollte! Er wird auch nach dem Maijeh gegangen sein. Jedenfalls war er es, der die Kibitze vertrieb.«
Da dies sehr leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich war, fühlte ich, der ich sonst so vorsichtig bin, mich nicht beunruhigt, und so schritten wir langsam der Stelle zu, an welcher Selim gesessen hatte. Dort angekommen, sah ich zunächst, daß keine Spur von hier aus nach dem Sumpfe führte. Er war also nicht dort; aber mehrere Zweige des Gebüsches waren abgebrochen.
»Er ist wieder in den Wald gegangen,« sagte ich. »Warum, wozu?«
Kaum hatte ich diese Frage ausgesprochen, so bekam ich die Antwort, aber auf eine ganz und gar unerwartete Weise. Es richteten sich nämlich jenseits des Strauches mehrere Gestalten auf, welche mit den Kolben ihrer Gewehre zum Schlage ausholten. Ich wollte zurückspringen, aber es war bereits zu spät. Ein Hieb streckte mich nieder; ich versuchte, mich aufzurichten, bekam aber einen zweiten Hieb, der mir die Besinnung raubte.
Als ich später erwachte, war es mir ganz eigentümlich vor den Augen. Ich sah wie durch einen dichten Nebel, hinter welchem Gestalten saßen. Mein Kopf that entsetzlich weh. Ich wollte nach demselben greifen, konnte aber nicht, denn meine Arme waren fest an den Leib gebunden.
»Der Hund hat die Augen offen,« ertönte es gerade vor mir. »Er lebt also noch. Welch eine Freude für uns!«
Auch diese Stimme klang wie durch einen Nebel, wie aus der Ferne oder vielmehr wie durch eine Wand an mein Ohr. Dennoch kam sie mir bekannt vor. Ich sann und sann, wo ich sie schon gehört haben mochte – vergeblich; meine Sinne waren noch halb gelähmt von den zwei Kolbenhieben.
»Hättet ihr ihn gegen meinen Befehl zu Tode getroffen,« hörte ich dieselbe Stimme wieder, »so wäre uns ein großer Genuß entgangen. Nun er aber lebt, werden ihm endlich, endlich die Qualen werden, die ich ihm schon oft vergeblich angedroht habe. Dieses Mal entkommt & uns nicht wieder!«
Jetzt, ja jetzt wußte ich, wer der Sprecher war. Ibn Asl, mein Todfeind! In seiner Hand befand ich mich! Ich schloß die Augen, nicht etwa vor Angst, vor Entsetzen, o nein! Es giebt keine Lage, in welcher der Mensch zu verzweifeln braucht. Aber mir war vor allen Dingen Ruhe nötig, Ruhe, damit meine Sinne vollständig erwachen, mein Denkvermögen sich erholen könne. Und kaum hatte ich die Augen zu, so wußte ich nichts mehr von mir. War es tiefer Schlaf, in den ich verfiel, oder eine abermalige Bewußtlosigkeit, die mich erfaßte, ich weiß es nicht; aber als ich zum zweiten Male erwachte, schmerzte mich mein Kopf zwar noch ebenso, übrigens jedoch fühlte ich mich äußerlich so kräftig und innerlich so klar, als ob vorher gar nichts geschehen sei.
Ich öffnete die Wimpern ein klein wenig, um verstohlen hindurchzublicken. Was ich sah, konnte keineswegs tröstlich genannt werden. Es war noch Tag. Ich lag am Waldesrande, genau an der Stelle, an welcher ich niedergeschlagen worden war. Neben mir lagen rechts Ben Nil und links Selim, beide mit offenen Augen und beide ebenso an Händen und Füßen gebunden wie ich. Gerade vor mir saß Ibn Asl, welcher den Blick mit haßerfülltem Ausdrucke auf mich gerichtet hielt. Um ihn saßen die ihm Näherstehenden seiner Untergebenen, etwas entfernter die weißen Sklavenjäger. Weiter draußen folgten die Djangeh, welche teils auch ruhten und teils beschäftigt waren. Diese Beschäftigung bestand in dem Zäumen und Satteln der Ochsen, welche zwischen dem Walde und dem Sumpfe geweidet hatten. Eine ganze Anzahl dieser Tiere war dazu bestimmt, die Stricke, Ketten und Halsbäume zu tragen, mit denen die einzufangenden Sklaven gefesselt werden sollten. Von diesen Werkzeugen war eine Menge vorhanden.
»Mach die Augen weiter auf, du Hund!« fuhr mich Ibn Asl an. »Meinst du, ich sei blind, um nicht zu sehen, daß du durch deine verfluchten Wimpern blickst?«
Um ihn nicht zu weiteren, zwecklosen Beleidigungen zu veranlassen, hielt ich es für geraten, die Augen vollends zu öffnen. Er hatte eine Nilpferdpeitsche in der Hand, versetzte mir einen Hieb mit derselben und fuhr fort:
»Allah hat endlich mein Flehen erhört und dich in meine Hand gegeben, wo ich es gar nicht mehr für möglich hielt. Weißt du, was dich erwartet?«
»Ja,« antwortete ich ruhig. »Die Freiheit.«
»Hund, wagst du es, mich zu verhöhnen!« fuhr er auf, indem er mir einige weitere Hiebe gab. Ich hatte infolge der leichten, dünnen Kleidung die Schwielen derselben dann längere Zeit zu fühlen. »Die Qualen, welche dich erwarten, habe ich dir schon einige Male aufgezählt.
Es glückte dir, mir zu entkommen. Dieses Mal aber sollst du mir nicht entfliehen. Das erste wird sein, daß ich dir die Augenlider abschneiden lasse, damit du die Segnungen des Schlafes entbehrst und unter der Folter der Ruhelosigkeit langsam dahinstirbst!«
»Du wirst eher sterben als ich, und Allah wird deine Seele unter diejenigen Martern stellen, welche du für mich bestimmt hast und doch nicht an mir auszuführen vermagst.«
Ich sagte das, weil eine innere Stimme mir versicherte, daß ich auch dieses Mal entkommen werde. Ich verzweifelte keineswegs, sondern vertraute auf Gott, auf mein so oft erprobtes Glück, auf meinen Scharfsinn und meine Körperkraft. Uebrigens wußte ich, daß er sich hüten werde, schon jetzt meinen Körper zu verletzen. Eine Erkrankung meinerseits hätte seinen Marsch aufgehalten, und es lag doch jedenfalls in seiner Absicht, mich für längere Martern aufzubewahren.
»Nicht auszuführen?« schrie er mich an. »Es bedarf nur eines Wortes von mir, so wird mein Befehl erfüllt; aber ich habe jetzt weder Zeit noch Lust dazu. Zu allererst werde ich dich mit dem Anblicke derer peinigen, welche du zu retten gekommen bist. Ihre Schmerzen werden auch dich elend machen. Du meinst, ich werde eher sterben als du? Hüte dich, zu glauben, daß man dich befreien werde! Ich weiß, auf wen du rechnest; aber deine Hoffnungen werden zu schanden gemacht.«
»Nichts, gar nichts weißt du!« behauptete ich, um ihn zu reizen,