Karl May

In den Schluchten des Balkan


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am Eingang des Ortes wohnt mein Bruder, Schimin, der Schmied, welcher dich mit Freuden aufnehmen wird.«

      Vielleicht konnte dieses Anerbieten von Nutzen sein. Darum antwortete ich:

      »Ich danke dir! Ich werde deinen Bruder wenigstens im Vorüberreiten von dir grüßen.«

      »Nein, nicht so! Du mußt wirklich bei ihm bleiben. Du hast mir von deinem – w‘Allah! Welch ein Duft! Wie aus der Kaaba der heiligen Stadt Mekka!«

      Er hatte nämlich, während wir sprachen, eine kurze Pfeife hervorgezogen und sie gestopft. Jetzt sog er den ersten Rauch durch das Rohr und brach dabei in den Ausruf des Entzückens aus.

      »Mundet er dir?« fragte ich.

      »Munden? Munden? Er geht durch die Nase wie das Sonnenlicht durch die Röte des Morgens. So schwebt die Seele des Gerechten in die sieben Himmel ein. Effendi, warte, ich werde dir etwas holen!«

      Er schien nicht nur ent-, sondern verzückt zu sein. Er rannte, so schnell seine alten Beine es ihm erlaubten, davon, kam aber sehr bald wieder zwischen den Rosensträuchern zum Vorschein.

      »Effendi, rate einmal, was ich hier in meiner Hand halte!« sagte er, noch bevor er den Zaun erreicht hatte.

      »Ich sehe nichts.«

      »O, es ist klein, aber fast auch so viel wert wie dein Dschebeli. Willst du es sehen?«

      »Zeige es mir!«

      »Hier! Was ist es?«

      Er hielt mir ein kleines, wohlverschlossenes Fläschchen entgegen und fragte abermals:

      »Was ist in diesem Fläschchen? Sage es, Effendi!«

      »Wird es wohl Rosenwasser sein?«

      Ich konnte ihm, dem armen Hüter, doch nur dieses zutrauen; er aber antwortete in gekränktem Tone:

      »Rosenwasser? O, Effendi, willst du mich beleidigen? Rosenöl ist es, echtes Rosenöl, so wie du in deinem Leben noch keins gesehen hast!«

      »Von wem ist es?«

      »Von wem? Von mir!«

      »Du bist doch nur der Hüter dieses Gartens!«

      »Ja, das bin ich, nur der Hüter; du hast recht, aber mein Herr erlaubte mir, die eine Ecke des Gartens zu bepflanzen. Ich suchte mir die beste Sorte aus und habe gespart seit langer, langer Zeit. Zwei solcher Fläschchen habe ich zusammengebracht. Das eine wollte ich heute verkaufen; man hat mich darum betrogen. Das andere ist dein. Ich schenke es dir.«

      »Mann, was sagst du?«

      »Es ist dein.«

      »Höre einmal, wie ist dein Name?«

      »Jafiz heiße ich.«

      »Nun, Jafiz, du bist toll!«

      »Warum?«

      »Weil du dieses Oel verschenken willst.«

      »Oel? Oel? O, sage nicht dieses Wort! Essenz ist‘s, aber kein gewöhnliches Oel. In diesem kleinen Fläschchen wohnen die Seelen von zehntausend Rosen. Willst du es verschmähen, Effendi ?«

      »Ich kann es nicht annehmen.«

      »Warum nicht?«

      »Du bist arm; ich darf dich nicht berauben.«

      »Wie kannst du mich berauben, da ich es dir ja schenke? Dein Dschebeli ist ebenso kostbar wie diese Essenz.«

      Um nur eine Unze gutes Oel zu gewinnen, bedarf man sechshundert Pfund der besten Rosenblätter. Ich wußte das. Darum sagte ich:

      »Und dennoch darf ich dieses Geschenk nicht annehmen.«

      »Willst du mich betrüben, Effendi?«

      »Nein.«

      »Oder beleidigen?«

      »Auch nicht.«

      »Nun, ich sage dir: wenn du es nicht annimmst, so schütte ich das Oel jetzt auf die Erde!«

      Ich sah, daß es ihm Ernst war.

      »Halt!« bat ich. »Du hast das Oel destilliert, um es zu verkaufen?«

      »Ja.«

      »Nun gut; ich kaufe es dir ab.«

      Er lächelte mich sehr überlegen an und fragte:

      »Wie viel würdest du mir bieten?«

      Ich zog so viel, wie ich nach meinen Kräften zu geben vermochte, hervor und hielt es ihm hin.

      »Das gebe ich dafür.«

      Er nahm es in die Hand, zählte und sagte, indem er unter einem bezeichnenden Lächeln den Kopf auf die Seite legte:

      »Effendi, deine Güte ist größer als dein Beutel!«

      »Darum bitte ich dich, dein Oel zu behalten. Du bist zu arm, um es mir zu schenken, und ich bin nicht reich genug, es zu kaufen.«

      Er lachte und antwortete:

      »Ich bin reich genug, es zu verschenken, denn ich habe deinen Tabak, und du bist arm genug, es von mir annehmen zu können. Hier hast du das Geld zurück!«

      Diese Freigebigkeit war zu groß, als daß ich sie hätte annehmen können. Ich konnte mir denken, daß das Sümmchen, welches ich ihm gegeben hatte, für ihn denn doch nicht ohne Wert war. Ebenso sah ich, daß er das Fläschchen nicht wieder nehmen werde. Darum wies ich das Geld zurück, indem ich in bestimmtem Tone ihm erklärte:

      »Wir beide wollen uns beschenken, ohne reich zu sein; darum ist es besser, wir behalten, was wir voneinander bekommen haben. Wenn ich mein Vaterland glücklich erreiche, werde ich den schönen Frauen, die sich an dem Wohlgeruche deines Oeles erfreuen, von dem Rosengärtner Jafiz erzählen, welcher so freundlich gegen mich gewesen ist.«

      Dies schien ihn zu erfreuen. Sein Auge begann zu glänzen. Er nickte mir befriedigt zu und fragte:

      »Sind die Frauen deines Landes Freundinnen der Wohlgerüche, Effendi?«

      »Ja; sie lieben die Blumen, die ihre Schwestern sind.«

      »Und hast du noch lange Zeit zu reiten, ehe du zu ihnen kommst?«

      »Vielleicht noch wochenlang. Und dann, wenn ich vom Pferde steige, habe ich noch tagelang auf dem Schiff und auf der Eisenbahn zu fahren.«

      »Das ist weit, sehr weit. Kommst du da vielleicht in gefährlichen Gegenden zu bösen Leuten?«

      »Das ist sehr möglich. Ich muß durch das Land derjenigen, die in die Berge gegangen sind.«

      Er blickte erst sinnend vor sich nieder; dann musterte er mich aufmerksam und endlich sagte er:

      »Effendi, des Menschen Angesicht ist wie die Oberfläche des Wassers. Das eine Wasser ist rein, hell und klar, und seinem leuchtenden Spiegel vertraut sich der Badende gern an. Das andere Wasser aber ist finster, dick und schmutzig; wer es erblickt, der ahnt Gefahr und geht eiligst vorüber. Das erstere gleicht dem Antlitz des guten und das zweite demjenigen des bösen Menschen, des Bösewichtes. Deine Seele ist freundlich und hell; dein Auge ist klar, und in deinem Herzen lauert weder Gefahr noch Verrat. Ich möchte dir etwas sagen, was ich sehr selten einem Bekannten mitgeteilt habe. Und du bist doch ein Fremder.«

      Diese Worte mußten mich erfreuen, obgleich ich keine Ahnung von der Natur seiner Mitteilung haben konnte. Ich antwortete:

      »Deine Worte sind warm und sonnig wie Strahlen, welche auf das Wasser fallen. Sprich weiter!«

      »In welcher Richtung wirst du von Mastanly aus reiten?«

      »Nach Menlik zunächst. Dort aber wird es sich entscheiden, welche Richtung ich einschlage. Vielleicht muß ich nach Uskub und von da hinauf in die Berge von Kostendil.«

      »Wullack – wehe dir!« entfuhr es ihm.

      »Hältst du diesen Weg für schlimm?«

      »Für sehr schlimm. Bist du in Kostendil und willst an das Meer, so mußt du über den Schar-Dagh nach Perserin, und da haben sich die Skipetars und Flüchtlinge versteckt. Sie sind arm; sie haben nur ihre Waffen; sie müssen vom Raube leben.