Karl May

Old Surehand II


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die Dachräume, da er keinen Menschen fand, dem er sie abmieten konnte, einfach mit Beschlag belegte. Er war ein praktischer Mann, der recht gut wußte, daß in diesem Lande das Recht des gegenwärtig Besitzenden nur schwer anzutasten war.

      Schon am nächsten Tage traf eine Anzahl von Maultieren mit wollenen Decken und Matratzen ein, hinter welchen eine Schar von Mexikanern die nötigen eisernen Bettstellen herbeitrug. Noch vor Abend standen zwanzig Betten dort oben unter dem alten, defekten Ziegeldache auf dem offenen Boden, durch den der oft stürmische Wind nach allen Richtungen hin seinen Durchzug hatte und auf dem es zur Regenzeit eine ganz heillose, perennierende Ueberschwemmung gab. Das war nun das Hospital, welches seiner unglücklichen Patienten harrte.

      Diese stellten sich auch nur zu bald ein.

      So gesund das Klima in Kalifornien an und für sich auch ist, in den Minen giebt es doch stets der Kranken mehr als genug. Die wilde, unregelmäßige Lebensart trägt ebensoviel wie die schwere, für Tausende ungewohnte Arbeit und die vielen Regengüsse dazu bei, viele, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu bringen, die für den davon Betroffenen aus Mangel an Pflege und ärztlicher Behandlung nur zu oft einen schlimmen und tödlichen Ausgang nehmen.

      Da waren diejenigen noch glücklich zu preisen, welche die Krankheit nicht allein und in der Wildnis traf, sondern welche Freunde fanden, um sie aus den Bergen und Schluchten wieder in den Bereich der Civilisation und ordentlichen Pflege zu bringen. Die meisten freilich fanden bei den Minen nichts als sechs Fuß Erde über sich und einen armen Ring von Steinen um das enge Grab. Viele starben unterwegs oder lebten gerade lange genug, um mit dem letzten brechenden Blicke eine menschliche Niederlassung zu erfassen, und nur wenigen gelang es, wieder hergestellt zu werden, um mit gekräftigtem Körper ihre Arbeit aufs neue beginnen zu können.

      Eines aber büßte jeder Kranke sicher ein: das mitgebrachte Gold.

      In damaliger Zeit wurde die Arznei geradezu mit Gold aufgewogen, und ein tüchtiger Arzt hatte seine einträglichste Mine in den Krankheiten seiner Patienten.

      Und wie viele Quacksalber gab es, die dies zu benutzen verstanden und bei denen vielleicht gar mancher Kranke nur deshalb starb, weil er Gold besaß, welches er im Falle der Genesung wieder mitgenommen hätte!« – —

      Der Erzähler machte jetzt eine Kunstpause und zeigte dabei eine so verheißungsvolle Miene, daß ich im stillen annahm, er werde nun als »Schriftsteller« sein Erzählertalent leuchten lassen. Ich hatte mich auch nicht geirrt, denn er gab dem Folgenden die Form einer Novelle, welche ganz gut hatte gedruckt werden können. Er fuhr nämlich fort:

      »Die Anhöhe zur Mission herauf schritt ein kräftig gebauter Jüngling, dessen lichtem Haare, regelmäßigen Gesichtszügen und von der Gesundheit roten Wangen man die germanische Abstammung sofort ansah, trotzdem er die bequeme mexikanische Kleidung trug.

      An den Mezquitebüschen, welche die Mission umzogen, blieb er stehen und wandte sich nach Westen.

      Der Abend nahte, und die Sonne tauchte ihre funkelnden Gluten in die strahlende Flut; vor ihm lag die Stadt, von brillantenem Lichte übergossen, und die Fenster des alten Gemäuers warfen blitzende Reflexe in die Ferne hinaus.

      Er ließ sich auf den weichen Rasen nieder und versank so tief in den Anblick, daß er die leichten Schritte nicht vernahm, die sich von seitwärts her ihm näherten.

      Ein kleines Händchen legte sich auf seine Schulter, und ein Köpfchen bog sich zu ihm herab. Er hörte die Worte:

      »Willkommen auf der Mission, Sennor! Warum seid Ihr so lange Zeit nicht hier bei uns gewesen?«

      »Ich war in San Francisco, Sennorita, wo ich allerlei Geschäfte hatte,« antwortete er.

      »Und wo Ihr den Sennor Carlos mitsamt seiner armen, kleinen Anitta vollständig vergessen habt!«

      »Vergessen? Per dios, nein, und tausendmal nein! Anitta, wie könnte ich jemals Euer vergessen?«

      Sie ließ sich ohne Ziererei an seiner Seite nieder.

      »Habt Ihr wirklich an mich gedacht, Sennor Edouardo?«

      »Bitte, Anitta, sprecht meinen Namen deutsch aus; ich höre ihn dann so gerne aus Eurem Munde! Und fragt nicht erst, ob ich an Euch denke! Wer hat sich meiner angenommen, als ich, durch böse Menschen um Hab und Gut gebracht, hier ankam, als Euer Vater? Und wer hat dann, als mich die Entbehrung und die erlittenen Strapazen auf das Krankenlager warfen, mich gepflegt wie einen Sohn oder einen Bruder? Ihr und Eure Mutter! Und wen habe ich hier im fremden Lande, zu dem ich gehen und mir Rats erholen kann, als Euch? Anitta, ich werde Euch nie vergessen!«

      »Ist das wahr, Eduard?«

      »Ja,« antwortete er einfach, indem er ihre Hand ergriff und ihr voll und offen in die Augen blickte,

      »Auch dann nicht, wenn Ihr wieder in die Heimat kommt?«

      »Auch dann nicht! Ich habe Euch ja gesagt, Anitta, daß ich nicht ohne Euch in die Heimat zurückkehren werde; habt Ihr das vergessen?«

      »Nein,« antwortete sie.

      »Oder leuchtet jetzt die Sonne Eurer Teilnahme für einen andern?«

      »Für einen andern? Wer ist das? Oder darf ich auch das nicht wissen?«

      »Es ist der Arzt da droben, der Doktor White.«

      »Der —?« frug sie gedehnt. »Wer möchte wohl die Sonne dieses dürren Master Chinarindo sein! Wenigstens meinetwegen könnte er im Dunkeln bleiben, so lange es ihm gefällt!«

      »Anitta, ist das wahr?« rief der junge Mann.

      »Warum möchtet Ihr meinen Worten keinen Glauben schenken?«

      »Weil ich weiß, daß er Euch nachgeht auf Schritt und Tritt und bei Euren Eltern gern gesehen ist.«

      »Daß er mir nachgeht, kann ich nicht leugnen, aber daß ich ihm ausweiche, so viel nur möglich, ist ebenso sicher. Auch das ist wahr, daß ihm Vater nicht gram ist; er hat ihm viel von einem großen Vermögen vorgeschwatzt und will mit uns hinüber in die Heimat, nach Deutschland gehen, wenn er genug erworben hat.«

      »Nach Deutschland? Will denn Euer Vater hinüber in die Heimat?«

      »Ja. Seit die Mission zur Kaserne für jedermann geworden ist, gefällt es ihm nicht mehr. Aber wir sind arm und Vater ist zu alt, um noch so viel zu erwerben, daß wir fortkönnten, und da – —«

      »Und da – —?«

      »Und da denkt er, daß ein wohlhabender Schwiergersohn ihm diesen Wunsch erfüllen könne.«

      Eduard schwieg eine Weile. Dann fragte er:

      »Und Euer Vater würde Eure Hand dem Doktor geben?«

      »Ja. Doch ich mag ihn nicht leiden, und die Mutter auch nicht.«

      »Aber mich könntet ihr wohl leiden?«

      Sie nickte. Er ergriff jetzt auch ihre andre Hand und sagte:

      »Mir ist immer so gewesen, als ob wir zusammengehörten für das ganze Leben. Du bist so fromm, so gut, und ich möchte immer, immer bei dir sein. Darf ich das deiner Mutter sagen, die den Arzt da oben nicht leiden kann?«

      »Ja.«

      »Und auch deinem Vater?«

      »Ja.«

      »Jetzt gleich?«

      »Jetzt gleich!«

      »So komm!«

      Er erhob sich, und sie folgte ihm. Sie gingen miteinander durch das Portal und schritten über den Hof weg der Thür zu, welche zur Wohnung Werners führte. Im Flur vernahmen sie eine harte, spitze Stimme, welche in der Wohnstube in eindringlichem Tone sprach,

      »Der Doktor ist drin!« meinte Anitta.

      »Komm; wir treten in die Küche und warten, bis er sich entfernt hat!«

      Sie thaten es und vernahmen nun jedes Wort des zwischen White und den Eltern geführten Gespräches.

      »Damn it, Master Carlos, meint Ihr etwa, daß ich den Beutel nicht offen zu halten verstehe?« fragte der erstere. »Die Medizin ist mehr wert als das beste Placement