Karl May

Old Surehand III


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im Stiche läßt, so macht er seinen eigenen Richter, indem er seinen Gegner lyncht oder Vereinigungen von Leuten gründet, Komitees genannt, welche heimlich und gegen die Gesetze Hilfe schaffen, wenn öffentlich und durch die Gesetze keine zu finden ist. Warum soll nicht auch der rote Mann thun dürfen, was der weiße thut? Ihr sagt Lynch, wir sagen Rache; ihr sagt Komitee, wir sagen Beratung der Alten; es ist ganz dasselbe. Aber wenn ihr euch dann selbst geholfen habt, so nennt ihr das erzwungene Gerechtigkeit, und wenn wir uns selbst geholfen haben, so wird es von euch Raub und Plünderung genannt. Die richtige Wahrheit lautet folgendermaßen: Der Weiße ist der Ehrenmann, welcher den Roten unaufhörlich betrügt und bestiehlt, und der Rote ist der Dieb, der Räuber, welchem von dem Weißen stets das Fell über die Ohren gezogen wird. Dabei sprecht ihr ohne Unterlaß von Glaube und von Frömmigkeit, von Liebe und von Güte! Man hat uns kürzlich wieder um das Fleisch, das Pulver und um vieles andere betrogen, was wir zu bekommen hatten. Als wir zum Agenten kamen, ihn um seine Hilfe zu bitten, fanden wir nur höhnisch lachende Gesichter und drohend auf uns gerichtete Flintenläufe. Da holten wir uns Fleisch, Pulver und Blei, wo wir es fanden, denn wir brauchen es, wir können ohne es nicht leben. Man verfolgte uns und tötete viele unserer Krieger. Wenn wir nun jetzt ausgezogen sind, den Tod dieser Krieger zu rächen, wer ist schuld daran? Wer ist der Betrogene und wer der Betrüger? Wer ist der Beraubte und wer der Räuber? Wer ist der Angegriffene und wer der Feind? Old Shatterhand mag mir auf diese Fragen die richtige Antwort geben!«

      Er richtete den Blick erwartungsvoll auf mich. Was sollte und was konnte ich ihm antworten, nämlich als ehrlicher Mann antworten? Winnetou entzog mich dieser heiklen Lage, indem er, der bis jetzt Schweigsame, das Wort ergriff:

      »Winnetou ist der oberste Häuptling sämtlicher Stämme der Apatschen. Keinem Häuptlinge kann das Wohl seiner Leute mehr am Herzen liegen als mir das Glück meines Volkes. Was Schahko Matto jetzt sagte, ist mir nichts Neues; ich habe es selbst schon viele, viele Male gegen die Bleichgesichter vorgebracht – — ohne allen und jeden Erfolg! Aber muß denn jeder Fisch eines Gewässers, in dem es viele Raubfische giebt, vom Fleische anderer Fische leben? Muß jedes Tier eines Waldes, eines Gehölzes, in welchem Skunks hausen, notwendig auch ein Stinktier sein? Warum macht der Häuptling der Osagen keinen Unterschied? Er verlangt Gerechtigkeit und handelt doch selbst höchst ungerecht, indem er Personen befeindet, welche nicht die mindeste Schuld an der Ungerechtigkeit tragen, die an ihm und den Seinen verübt worden ist! Kann er uns nur einen Fall, einen einzigen Fall sagen, daß Old Shatterhand und ich die Gegner eines Menschen gewesen sind, ohne daß wir vorher von ihm angegriffen wurden? Hat er nicht im Gegenteile oft und oft erfahren und gehört, daß wir selbst unsere ärgsten Feinde so sehr und so viel schonen, wie uns irgend möglich ist? Und wenn er das bis heut noch nicht gewußt hätte, so wäre es ihm vorhin vor seinen Augen und Ohren gesagt und bewiesen worden, als mein Freund und Bruder Shatterhand für ihn sprach, obgleich er ihm nach dem Leben getrachtet hatte! Was uns der Häuptling der Osagen mitteilen will, das wissen wir schon längst und so gut, daß er kein Wort darüber zu verlieren braucht; aber was wir ihm zu sagen haben, das scheint er noch nicht zu wissen und noch nie gehört zu haben, nämlich daß man nicht Ungerechtigkeit geben darf, wenn man Gerechtigkeit haben will! Er hatte uns für den Marterpfahl bestimmt, und er weiß, daß wir ihm jetzt den Skalp und das Leben nehmen könnten; er soll beides behalten; er wird sogar seine Freiheit wiederbekommen, wenn auch nicht gleich am heutigen Tag. Wir werden seine Feindschaft mit Güte, seinen Blutdurst mit Schonung vergelten, und wenn er dann noch behauptet, daß wir Feinde der Osagen seien, so ist er nicht wert, daß sein Name von einem roten oder weißen Krieger jemals wieder auf die Lippen genommen wird. Schahko Matto hat vorhin eine lange Rede gehalten, und ich bin seinem Beispiele gefolgt, obgleich weder seine noch meine Worte nötig waren. Nun habe ich gesprochen. Howgh!«

      Als er geendet hatte, trat eine lange, tiefe Stille ein. Nicht seine Rede allein, sondern noch vielmehr seine Person und seine Sprech- und Ausdrucksweise war es, welche diese Wirkung hervorbrachte. Ich war außer ihm wohl der einzige, welcher wußte, daß er nicht bloß zu dem Osagen gesprochen hatte. Seine Worte waren auch an die andern, besonders an Treskow gerichtet gewesen. Schahko Matto lag mit unbewegten Mienen da; ihm war nicht anzusehen, ob die Entgegnung des Apatschen überhaupt einen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Treskow hielt die Augen niedergeschlagen und den Blick wie in Verlegenheit zur Seite gerichtet. Endlich hob er ihn zu mir empor und sagte:

      »Es ist eine ganz eigene Sache um Euch und Winnetou, Mr. Shatterhand. Man mag wollen oder nicht, so muß man schließlich doch so denken, wie Ihr denkt. Wenn Ihr den Häuptling der Osagen mit seinen beiden Kerls jetzt ebenso laufen lassen wollt, wie Ihr Old Wabble freigegeben habt, so bin ich jetzt derjenige, der nichts dagegen hat! Ich befürchte nur, daß er uns dann mit seinem Volke nachgeritten kommt, um uns, falls er Glück hat, schließlich doch noch festzunehmen.«

      »Warten wir das ab! Wenn ich Euch recht verstehe, so haltet Ihr eine Beratung jetzt nicht mehr für notwendig?« fragte ich.

      »Ist nicht nötig. Thut, was Ihr wollt!«

      »Welk so mache ich es kurz! Hört also, was ich im Einvernehmen mit Winnetou bestimme! Schahko Matto reitet mit uns, bis wir annehmen, ihn freigeben zu dürfen; er wird zwar gefesselt sein, doch mit der Rücksicht behandelt werden, welcher jeder brave Westmann dem Häuptlinge eines tapfern Volkes schuldig ist. Seine beiden Krieger sind frei; sie mögen nach dem Wara-tu zurückkehren, um den Osagen zu erzählen, was geschehen ist. Sie mögen dort sagen, daß die Bleichgesichter gewarnt worden sind und daß, wenn der Ueberfall der Farmen trotzdem versucht werden sollte, der Häuptling von uns erschossen wird. Macht ihnen die Riemen auf!«

      Diese Aufforderung war an Hammerdull und Holbers gerichtet, welche ihr bereitwillig nachkamen. Als die beiden Osagen sich frei fühlten, sprangen sie auf und wollten schnell zu ihren Pferden; dem aber wehrte ich ebenso schnell ab:

      »Halt! Ihr werdet nach dem Wara-tu nicht reiten, sondern gehen. Eure Pferde und Gewehre nehmen wir mit. Ob ihr sie wiederbekommt, das hängt ganz von dem Verhalten Schahko Mattos ab. Also geht, und verkündet euern Brüdern, daß Old Shatterhand es gewesen ist, welcher gestern Apanatschka, den Häuptling der Naiini-Komantschen, befreit hat!«

      Es wurde ihnen schwer, diesem Befehle Gehorsam zu leisten. Sie sahen ihren Häuptling fragend an; er forderte sie auf:

      »Thut, was Old Shatterhand euch gesagt hat! Sollten die Krieger der Osagen dann im Zweifel darüber sein, wie sie sich zu verhalten haben, so mögen sie Honskeh Nonpeh[11] fragen, dem ich den Befehl übergebe. Er wird das Richtige treffen!«

      Als er diese Weisung erteilte, nahm ich sein Gesicht scharf in die Augen. Es war vollständig undurchdringlich; kein Zug desselben verriet, ob diese Abtretung des Kommandos an einen andern für uns später Kampf oder Frieden zu bedeuten haben werde. Die zwei Freigelassenen stiegen die Böschung hinan und entfernten sich in der Richtung, welche Old Wabble vorhin auch eingehalten hatte. Sie gingen auf seiner Spur, und es war vorauszusehen, daß sie ihn bald einholen würden.

      Daß ich ihre Pferde zurückbehalten hatte, war nicht aus nur einem Grunde geschehen. Wären sie beritten gewesen, so hätten sie das Wara-tu viel schneller als zu Fuße erreicht, und die zu erwartende Verfolgung hätte einige Stunden eher beginnen können; wir gewannen also Zeit. Ferner waren sie als Boten, welche schnell und weit zu reiten hatten, mit sehr guten Pferden versehen gewesen, und grad solche Tiere konnten wir brauchen. Auch ihre Waffen konnten uns von Nutzen sein. Apanatschka, welcher, wie bereits erwähnt, nur mit einem Messer versehen gewesen war, bekam das Gewehr Schahko Mattos, welches mit nicht ganz schlechten Eigenschaften behaftet zu sein schien. Es verstand sich von selbst, daß er sein ursprüngliches Vorhaben, nach den heiligen Steinbrüchen zu reiten, einstweilen aufgab und sich dafür entschloß, uns hinauf nach Colorado zu begleiten. Da wir fast mit Sicherheit annehmen konnten, daß die Osagen, sobald die zwei Boten sie benachrichtigten, daß ihr Häuptling unser Gefangener sei, sofort nach dem Kih-pe-ta-kih kommen und uns von da aus folgen würden, um ihn zu befreien, konnte unsers Verweilens hier nicht länger sein. Schahko Matto wurde auf sein Pferd gebunden, doch in so schonender Weise, wie die Verhältnisse es uns erlaubten. Pitt Holbers und Treskow bestiegen die zwei Osagenpferde; die andern wurden als Packtiere benutzt, und so verließen wir die »alte Frau« , bei welcher uns nur eine so kurze Rast vergönnt war.

      Der nun folgende Ritt mußte uns weit