Karl May

Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1


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und sagte dann:

      »Es stimmt; es ist mein Portefeuille. Hast du diese Zeilen gelesen?« – »Nein; ich verstehe nicht Spanisch.« – »Donnerwetter, aber du weißt, daß es Spanisch ist!« – »Er sagte es mir, da er Spanisch versteht.« – »Wirklich?« fragte der Graf erbleichend. – »Ja; er hat in Spanien als Kaufmann konditioniert.« – »Alle Teufel! Das ist verdammt unangenehm!«

      Alfonzo zerknitterte das Papier in der geballten Faust und trat an das Fenster. Seine Mienen bewegten sich in der Reihenfolge der Gedanken und Gefühle, die über sein Gesicht gingen.

      »Wie heißt er?« fragte er, sich endlich wieder umdrehend. – »Das kann ich nicht sagen, denn ein Kamerad verrät den anderen nicht.« – »Und wenn er nun im Weg ist?« – »Gute Kameraden sind sich nie im Weg.« – »Aber einem anderen?« fragte der Graf mit eigentümlicher Betonung.

      Gerard verstand ihn sofort, tat aber so, als ob er ihn nicht begriffen habe.

      »Das geht mich nichts an«, sagte er. – »Aber, wenn er nun mir im Weg wäre und du tausend Franken erhieltest, wenn …«

      Erst jetzt warf Gerard dem Grafen einen verständnisvollen Blick zu und fragte:

      »Dieser Mann, der Ihr Taschenbuch in der Hand hat, ist Ihnen im Weg?« – »Ja, und zwar dieses Taschenbuchs wegen.« – »So enthält es Dinge, die Ihnen schaden können, und mein Kamerad hat recht gehabt, als er von der Polizei sprach …« – »Hm, ja, vielleicht. Ich denke, daß ich dir mein Vertrauen schenken darf!« – »Ganz gewiß, Monsieur. Mein Kamerad hat Ihr Notizbuch durchgelesen.« – »Ich kann es mir denken. Also dir hat er nur wenig davon gesagt? Sei aufrichtig!« – »Er sagte, wenn das Buch Ihnen gehöre, so könnten Sie unmöglich der Marchese d‘Acrozza sein.« – »Wer sonst?« – »Das sagte er nicht.« – »Ah«, meinte der Graf mit einem Atemzug der Erleichterung, »er ist verschwiegen gewesen.« – »Ferner sagte er, daß Sie aus Spanien kommen.« – »Sagte er weiter gar nichts?« – »Kein Wort.« – »Und tausend Franken will er dafür? Das stellt mich aber nicht sicher. Jetzt zahle ich die Summe, und später plaudert er dennoch.« – »Er wird mir Verschwiegenheit geloben müssen!« – »Das ist noch keine Bürgschaft. Kann ich ihn einmal sehen?« – »Nein, er hat es verboten.« – »Dann kenne ich nur ein Mittel, mir Sicherheit zu verschaffen, und dies ist sein Tod.« – »Alle Teufel! Er wird keine Lust haben, Ihnen zuliebe zu sterben!« – »Ich glaube es. Aber du wirst Lust haben, dir tausend Franken zu verdienen.« – »Das ist wahr. Es fragt sich, wofür ich diese Summe erhalten soll.« – »Nun, für sein Leben.« – »Ah, Sie scherzen, Monsieur!« lachte der Schmied. – »Es ist mein voller Ernst« – »Das glaube ich nicht, weil Sie mir, wenn es Ihr Ernst wäre, etwas mehr bieten würden, als tausend Franken.« – »Schlingel!« – »Rechnen Sie nach, Monsieur! Tausend Franken geben Sie diesem Mann für seinen Raub, mir aber wollen Sie dieselbe Summe für diesen Raub und für sein Leben geben. Das ist sehr unverhältnismäßig.« – »Nun gut wieviel verlangst du?« – »Es ist ein Kamerad von mir, unter zweitausend tue ich es nicht« – »Mensch, du wirst ja ein reicher Mann durch mich; fünfzehnhundert gebe ich dir.« – »Zweitausend, anders nicht. Sonst sprechen wir gar nicht mehr davon.« – »Gut, ich will nachgeben. Wann kann es geschehen?« – »Sobald es paßt.« – »Es muß sofort geschehen. Ich muß sonst gewärtig sein, er mißbraucht meine Notizen.« – »So will ich sehen, ob ich ihn treffe.«

      Gerard wandte sich zum Gehen, aber der Graf rief ihn zurück.

      »Halt!« sagte er. »Welche Sicherheit bringst du mir, daß du ihn getötet hast?« – »Ihr Portefeuille.« – »Das ist keine Bürgschaft, daß er getötet ist.« – »Doch jedenfalls, Monsieur. Oder glauben Sie, daß er mir das Buch freiwillig gibt?« – »Ja, ich glaube es. Ihr seid Kameraden. Ihr teilt die zweitausend Franken!« – »Ah, Ihr Vertrauen zur mir ist kein sehr großes!« – »Das kannst du nicht übelnehmen.« – »So dürfen auch Sie es nicht übelnehmen, wenn mein Vertrauen zu Ihnen schwindet.« – »Was soll das heißen?« – »Wer garantiert mir meine zweitausend Franken, wenn ich meinen Auftrag ausführe?« – »Mein Wort!« – »Und wenn ich diesem Wort nicht glaube?« – »Mensch, ich bin ein Edelmann.« – »Ah, schön«, sagte Gerard mit versteckter Ironie. »Und von mir verlangen Sie Garantie?« – »Ja, ein Glied seines Leibes.« – »Alle Teufel! Welches Glied?« – »Den Kopf.« – »Das geht nicht, Monsieur. Es ist mir zu gefährlich, den Kopf eines Gemordeten zu transportieren.« – »Gut, so bringe die rechte Hand.«

      Der Schmied sann nach.

      »Hm«, sagte er endlich, »das würde weniger gefährlich sein. Eine Hand läßt sich eher verstecken als ein Kopf. Also, wenn ich diese Hand bringe und Ihr Portefeuille, so erhalte ich zweitausend Franken?« – »Sofort!« – »Gut, ich will mich auf Ihr Edelmannswort verlassen. Wo finde ich Sie, wenn Sie nicht hier sind, Monsieur?« – »Ich gehe gar nicht aus.« – »Dann adieu, Monsieur le Marchese.«

      Gerard ließ den Grafen in banger Erwartung zurück und schritt der Cité zu. Sein Gesicht hatte einen außerordentlich pfiffigen Ausdruck, als er vor sich hinmurmelte:

      »Ein Kunststück, ein wahres Kunststück; ich soll einen umbringen, der gar nicht lebt, den es gar nicht gibt. Wie fange ich das an? Pah, für zweitausend Franken wird es fertiggebracht.«

      Indem er die lange Rue de Faubourg St. Denis hinabging, griff er in die Tasche und zog sein Messer heraus, öffnete es und probierte die Schärfe an dem Nagel seines Fingers.

      »Es geht«, murmelte er. »Die Schärfe ist gut; sie geht durch die Flechsen und Sehnen wie durch Butter, und der Rücken ist auch stark, die Klinge wird also nicht abbrechen.«

      Nun steckte er das Messer wieder ein und wanderte nach der Morgue.

      Die Morgue ist ein Haus, in dem die Leichen von Verunglückten oder Selbstmördern aufbewahrt bleiben, um rekognosziert zu werden. Dieses Haus ist jedermann geöffnet.

      Als Gerard den Türschließer stehen sah, sagte er:

      »Ist hier heute ein Mädchen eingeliefert worden, Monsieur?« – »Ein Mädchen? Wie alt?« – »Sechzehn Jahre, die Haare sind blond und die Gestalt voll und lang.« – »Das dürfte stimmen. Suchen Sie ein solches Mädchen?« – »Leider. Es ist eine Cousine von mir, seit gestern verschwunden.« – »So gehen Sie hinein. Es ist gerade jetzt kein Mensch zugegen, und ich warte auf jemand. Nehmen Sie sich die Tücher gefälligst selbst hinweg.«

      Das war dem Schmied sehr lieb. Er betrat den schauerlichen Raum, in welchem sechzehn mit weißen Tüchern bedeckte Leichen lagen, lüftete diese Tücher und erblickte bald einen Mann, der seinem Zweck geeignet war. Im Nu hatte er sein Messer gezogen, und ebenso schnell löste er der Leiche die rechte Hand vom Arm, steckte rasch die Hand und das Messer in die Tasche und zog den Ärmel des Toten weiter herab, damit man die Amputation so spät wie möglich bemerke. Hierauf verließ er die Morgue, um sich einige Stunden lang in der Stadt herumzutreiben und dann zu dem Grafen zurückzukehren. Dieser hatte ihn kommen sehen und kam ihm bis zur Zimmertür entgegen.

      »Nun?« fragte er. »Wie steht es?« – »Schlecht!« antwortete Gerard. »Es war gefährlich, weil ich beinahe erwischt worden wäre; der Kerl schrie wie ein Spatz und wehrte sich wie ein Bär.« – »So verstehst du dein Handwerk nicht« – »Pah! Ich hatte es mit einem Garotteur zu tun.« – »Du hast die Hand?«

      Der Gauner zog sie hervor und zeigte sie dem Grafen; derselbe betrachtete sie ohne Grauen und sagte:

      »Das ist ein starker Kerl gewesen! Aber ich sehe nicht die mindeste Blutspur!« – »Das fehlte auch noch! Sollte ich mich verraten?« – »Du hast die Hand wohl abgewaschen?« – »Ja, im Waschtisch.« – »Gescheit! Aber mein Portefeuille?« – »Wo haben Sie die zweitausend Franken?«

      Der Bandit zog das Portefeuille hervor und hielt es dem Grafen entgegen, dieser wollte zugreifen, aber der Schmied zog die Hand schnell zurück und sagte:

      »Sachte, Monsieur, ist es Ihre Brieftasche?« – »Ja.« – »So erbitte ich mir das Geld.« – »Aber ich muß doch sehen, ob alles vorhanden ist« – »Das heißt, wenn etwas fehlt erhalte ich mein Geld nicht?« – »Allerdings.« – »Das wurde