Karl May

Winnetou 1


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Zeit so viel getrunken, daß er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter Mensch! Sein Blick war heimtückisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriffe schreiten will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben.

      Der Häuptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem ziemlich weiten Kreise beisammen.

      »Nun, haben meine weißen Brüder sich überlegt, ob sie hier bleiben oder fortgehen wollen?« fragte Intschu tschuna.

      Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete:

      »Wenn wir auch fortgehen wollten, so müssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen, welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa Fé senden und anfragen lassen; dann kann ich dir Antwort geben.«

      Das war gar nicht so übel ausgedacht, denn bis der Bote zurückkehrte, mußten wir mit unserer Arbeit fertig sein. Der Häuptling aber sagte in bestimmtem Tone:

      »So lange warte ich nicht. Meine weißen Brüder müssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.«

      Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefüllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge:

      »Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.«

      Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Gebärde zurück.

      »Was, du willst keinen Drink mit mir tun? Das ist eine verdammte Beleidigung. Hier hast du den Brandy ins Gesicht, verfluchte Rothaut. Lecke ihn dir ab, da du ihn nicht trinken willst!«

      Ehe es Einer von uns zu verhindern vermochte, schleuderte er dem jungen Apachen den Becher nebst Inhalt in das Gesicht. Das war nach indianischen Begriffen eine todeswürdige Beleidigung, welche auch sofort, wenn auch nicht so streng bestraft wurde, denn Winnetou schlug dem Frevler die Faust in das Gesicht, daß er zu Boden stürzte. Er raffte sich mühsam wieder auf. Schon machte ich mich zum Einschreiten gefaßt, denn ich glaubte, er werde zur Tätlichkeit schreiten; dies geschah aber nicht; er starrte den jungen Apachen nur drohend an und wankte dann fluchend wieder nach dem Wagen zurück.

      Winnetou trocknete sich ab und zeigte, grad wie sein Vater, eine starre, unbewegte Miene, der man nicht ansehen konnte, was im Innern vorging.

      »Ich frage noch einmal,« sagte der Häuptling; »dies ist das letzte Mal. Werden die Bleichgesichter noch heut dieses Tal verlassen?«

      »Wir dürfen nicht,« lautete die Antwort.

      »So verlassen aber wir es. Es ist kein Friede zwischen uns.«

      Ich machte noch einen Versuch der Vermittelung, doch vergeblich; die drei gingen zu ihren Pferden. Da erscholl vom Wagen her Rattlers Stimme:

      »Immer fort mit euch, ihr roten Hunde! Aber den Hieb ins Gesicht soll mir der Junge sofort bezahlen!«

      Zehnmal schneller, als man es ihm bei seinem Zustande zutrauen konnte, hatte er ein Gewehr aus dem Wagen genommen und schlug es auf Winnetou an. Dieser stand im Augenblicke frei und ohne Deckung; die Kugel mußte ihn treffen, denn es geschah alles so schnell, daß ihn keine Bewegung retten konnte. Da schrie Klekih-petra voller Angst auf:

      »Weg, Winnetou, schnell weg!«

      Zu gleicher Zeit sprang er hin, um sich schützend vor den jungen Apachen zu stellen. Der Schuß krachte; Klekih-petra fuhr sich, von der Gewalt des Kugelaufschlages halb umgedreht, mit der Hand nach der Brust, taumelte einige Augenblicke hin und her und fiel dann auf die Erde nieder. In diesem Augenblicke stürzte aber auch Rattler, von meiner Faust getroffen, zu Boden. Ich war, um den Schuß zu verhüten, rasch zu ihm hingesprungen, aber doch zu spät gekommen. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war erschollen; nur die beiden Apachen hatten keinen Laut von sich gegeben. Sie knieten bei ihrem Freunde, der sich für seinen Liebling aufgeopfert hatte, und untersuchten stumm seine Wunde. Er war ganz nahe am Herzen in die Brust getroffen; das Blut schoß mit Gewalt hervor. Ich eilte auch hinzu. Klekih-petra hielt die Augen geschlossen; sein Gesicht wurde mit rapider Schnelligkeit bleich und hohl.

      »Nimm seinen Kopf in deinen Schoß,« bat ich Winnetou. »Wenn er das Auge öffnet und dich erblickt, wird sein Tod ein froher sein.«

      Er kam dieser Aufforderung nach, ohne ein Wort zu sagen; keine seiner Wimpern zuckte; aber sein Blick hing unverwandt an dem Angesichte des Sterbenden. Da öffnete dieser langsam die Lider; er sah Winnetou über sich gebeugt; ein seliges Lächeln glitt über seine so schnell eingefallenen Züge, und er flüsterte:

      »Winnetou, schi ya Winnetou Winnetou, o mein Sohn Winnetou!«

      Dann schien es, als ob sein brechendes Auge noch jemanden suche. Es traf mich, und in deutscher Sprache bat er mich:

      »Bleiben Sie bei ihm ihm treu mein Werk fortführen !«

      »Ich tue es; ja, sicher, ich werde es tun!«

      Da nahm sein Gesicht einen fast überirdischen Ausdruck an, und er betete mit immer mehr ersterbender Stimme:

      »Da fällt mein Blatt abgeknickt nicht leise leicht es ist die letzte Sühne ich sterbe wie wie ich es gewünscht. Herrgott, vergieb vergieb! Gnade Gnade ! Ich komme komme Gnade.«

      Er faltete die Hände noch ein krampfhafter Bluterguß aus der Wunde, und sein Kopf sank zurück er war tot!

      Nun wußte ich, was ihn getrieben hatte, gegen mich sein Herz zu erleichtern Gottesfügung, hatte er gesagt. Er hatte gewünscht, für Winnetou sterben zu können; wie schnell war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen! Die letzte Sühne, die er bringen wollte, er hatte sie gebracht. Gott ist die Liebe, die Barmherzigkeit; er zürnt dem Reuigen nicht ewig.

      Winnetou bettete das Haupt des Toten in das Gras, stand langsam auf und sah seinen Vater fragend an.

      »Dort liegt der Mörder; ich habe ihn niedergeschlagen,« sagte ich. »Er mag Euer sein.«

      »Feuerwasser!«

      Nur diese kurze Antwort kam aus dem Munde des Häuptlings, doch in welchem grimmig verächtlichen Tone.

      »Ich will euer Freund, euer Bruder sein; ich gehe mit euch!« so drängte es sich mir über die Lippen.

      Da spuckte er mir in das Gesicht und sagte:

      »Räudiger Hund! Länderdieb für Geld! Stinkender Coyote! Wage es, uns zu folgen, so zermalme ich dich!«

      Hätte mir das ein Anderer getan und gesagt, ich hätte ihm mit der Faust geantwortet. Warum tat ich es nicht? Hatte ich als Eindringling in fremdes Eigentum diese Züchtigung vielleicht verdient? Es war mehr instinktiv, daß ich sie mir gefallen ließ, doch, mich etwa nochmals anbieten, das konnte ich trotz des Versprechens, welches ich dem Toten gegeben hatte, nicht.

      Die Weißen standen alle stumm dabei, voller Erwartung, was die beiden Apachen nun tun würden. Diese hatten keinen einzigen Blick mehr für uns. Sie hoben die Leiche auf das Pferd und banden sie da fest; dann stiegen sie auch in die Sättel, richteten den zusammensinkenden Körper Klekih-petras auf und ritten, ihn hüben und drüben stützend, langsam davon. Sie ließen kein Wort der Drohung, der Rache zurück; sie wendeten sich auch nicht einen einzigen Augenblick nach uns um; aber das war schlimmer, viel schlimmer, als wenn sie uns den fürchterlichsten Tod ganz offen geschworen hätten.

      »Das war ja schrecklich und kann leicht noch schrecklicher werden!« sagte Sam Hawkens. »Dort liegt der Schurke, noch immer leblos von Eurem Hiebe und vom Spiritus. Was tun wir nun mit ihm?«

      Ich antwortete nicht; ich sattelte mein Pferd und ritt fort; ich mußte allein sein, um diese fürchterliche halbe Stunde wenigstens äußerlich zu verwinden. Es war am späten Abend, als ich müd und matt, körperlich und seelisch wie zerschlagen, im Lager wieder eintraf.

      Winnetou in Fesseln

      Damit der Bär nicht weit geschleppt zu werden brauchte, war während meiner Abwesenheit das Lager bis in die Nähe der Stelle, wo ich ihn erlegt hatte, vorgerückt worden. Er war so schwer, daß die vereinte Anstrengung von