Karl May

Winnetou 4


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rühren konnte.

      Nun sah man sie laufen, alle, alle. Voran die Fliehenden, hinter ihnen her ihre Verfolger. Die Ersteren erreichten ihre Pferde, schwangen sich auf und jagten davon, indem sie das vierte Maultier und auch das Pferd ihres von uns überwältigten Kameraden mitnahmen.

      »Schurken!« rief dieser zornig aus, als er das sah. »Was wird nun aus mir!«

      »Das kommt auf dich an«, antwortete ich.

      »Wieso?« fragte er.

      »Warte!«

      Meine Aufmerksamkeit wurde nämlich durch die fast drollige Szene, die sich jetzt da draußen entwickelte, angezogen. Es hatten sich nicht etwa nur einige, sondern alle Anwesenden an der Verfolgung beteiligt. Ausgenommen waren nur Pappermann, der Wirt mit seinen Leuten, der Indianer, meine Frau und ich. Auch die Nachbarn mit ihren Zaun- oder vielmehr Mauergästen waren herübergesprungen und den Flüchtlingen nachgerannt. Es fiel ihnen jetzt, da diese davonritten, gar nicht etwa ein, stehenzubleiben oder gar umzukehren, sondern wir hörten den Corregidor rufen:

      »Schnell nach den Corrals! Und dann hinter ihnen her!«

      Corrals sind umzäunte, freie Plätze, in denen man die Pferde unterbringt. Solcher Plätze gab es für die Bewohner von Trinidad mehrere. Ihnen eilte man jetzt zu, um sich schleunigst auch beritten zu machen und dann den Spuren der so schnell Verschwundenen zu folgen. Nun waren wir allein, und ich wendete mich an den Gefangenen, der von Pappermann noch immer festgehalten wurde:

      »Steh auf, Bursche! Und höre, was ich dir sage!«

      Da ließ Pappermann ihn halb los, so daß er sich erheben konnte. Ich fuhr fort: »Wenn du mir meine Fragen aufrichtig und wahr beantwortest, geben wir dich frei.«

      »So daß ich fort kann, wohin ich will?« fragte er schnell.

      »Ja.«

      Er sah mich prüfend an; dann sagte er:

      »Ihr seht nicht wie ein Lügner aus. Ich hoffe, daß ihr Wort halten werdet. Also gebt mir an, was Ihr wissen wollt!«

      »Von wem sind die drei Fliegenschimmelhengste!«

      »Von der Farm eines gewissen Old Surehand.«

      »Und die Maultiere?«

      »Von eben daher.«

      »Gestohlen?«

      »Nein, eigentlich nicht. Es war nur Betrug, ein kleiner, allerliebster Betrug. Corner hatte erfahren, daß die besten Pferde und Maultiere Old Surehands für einen Deutschen bereitgestellt waren, der mit seiner Frau erwartet wurde. Auch erwartete man einige junge Maler und Bildhauer, die ausgerüstet werden sollten – — —« »Ausgerüstet? Wozu?« unterbrach ich ihn.

      »In das Apatschenland zu einer großen Schaustellung zu reiten. Der junge Surehand hatte sie dazu eingeladen, war aber, ebenso wie sein Vater, längst vorangereist. Da stellten wir uns ein. Es gab eine Art von Maskerade, von Fastnachtsspiel. Der Verwalter glaubte uns und gab alles, was wir verlangten, her.

      »Ah! Darum seid Ihr auch jetzt noch Bildhauer und Maler!«

      »So ist es!« lachte er. »Fragt weiter!«

      »Ich bin fertig. Wenn ich weiter in Eure Geheimnisse eindringen würde es mir wohl sehr schwer oder gar unmöglich sein, Euch mein Wort halten zu können. Ich mag also weiter nichts wissen.«

      »Und ich darf fort?«

      »Ja.«

      »Ich danke! Ihr seid ein Ehrenmann, Sir! Aber ich bin ohne Pferd!«

      »Da kann ich Euch nicht helfen.«

      »Könnt Ihr mir nicht wenigstens eines der Maultiere geben?«

      »Gestohlenes Gut ? – Nein!«

      »Aber, nun Ihr wißt, daß die Tiere eigentlich gar nicht unser sind, dürft auch Ihr sie nicht behalten!«

      »Will ich auch nicht. Ich kenne Old und auch Young Surehand. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß er wiederbekommt, um was er von Euch bestohlen worden ist, wenigstens so viel, wie ich retten konnte. Auch das Zelt behalte ich.«

      »Well! Mir egal! Aber ohne Pferd kann ich nicht fort. Ihr werdet heut erfahren, daß hier irgendwo und irgendwem eines abhanden gekommen ist. Wird das Euer Gewissen nicht beschweren?«

      »Nicht im geringsten. Denn es fällt mir gar nicht ein, es für das, was Andere tun, mit herzugeben. Also geht!«

      »Gut! Fertig! Lebt wohl!«

      Er wendete sich, zu gehen. Da sagte der Wirt, welcher zugehört hatte, zu ihm:

      »Wenn Ihr partout ein fremdes Gewissen zu Rate ziehen wollt, so stelle ich Euch das meinige zur Verfügung. Ich werde sofort dafür sorgen, daß heute und hier kein Pferd abhanden kommt! Nicht irgendwo und auch nicht irgendwem! In zehn Minuten wird die ganze Stadt es wissen, daß Ihr uns ausgerissen seid und Pferde stehlen wollt. Fort mit Euch!«

      Schon wollte der Mensch dieser Weisung Folge leisten, da nahm Pappermann ihn noch einmal beim Arm und sprach:

      »Noch auf ein Wort! Diese beiden Gentlemen, die Euch laufen lassen wollen, haben die Hauptsache vergessen. Ihr habt doch Geld?«

      »Soviel, wie ich brauche, ja.«

      »Wo?«

      »Hier in der Tasche.«

      Er zog einen wohlgefüllten Beutel. heraus, um ihn uns prahlerisch zu zeigen, und fügte hinzu: »Warum fragt Ihr nach meinem Geld?«

      »Der Zeche wegen!« antwortete Pappermann, indem er ihm in das Gesicht lachte. »Ich heiße nämlich Maksch Pappermann und lasse mich von solchen Kerls, wie Ihr seid, nicht an der Nase führen, Ihr werdet die Zeche zahlen, für Euch und Eure Genossen!«

      »Für mich, meinetwegen! Aber auch für die anderen, fällt mir gar nicht ein!«

      »Das wird Euch gar wohl einfallen! Her mit dem Beutel 1

      Er riß ihn ihm aus der Hand, gab ihn mir schnell und sagte:

      »Habt Ihr die Güte, zu bezahlen, Sir! Ich halte den Halunken einstweilen fest.«

      Wie gesagt, so getan. Der neue Wirt machte die Rechnung; ich bezahlte sie und gab dem Mann dann den Beutel mit dem übrigen Geld zurück. Hierauf verschwand er, zwar fluchend und wetternd, aber doch so schnell wie möglich. – — —

      Drittes Kapitel. Am Ohr des Manitou

      Nachdem der Pferdedieb sich entfernt hatte, gab ich den Häuptlingsschmuck und die Revolver in den Koffer zurück. Dann konnten wir endlich, endlich essen. Der »junge Adler« hatte wieder Lebensfarbe bekommen. Es war ihm sichtlich höchst unangenehm, daß wir Zeugen seiner Schwäche gewesen waren. Es lag ihm daran, von uns geachtet zu werden. Darum teilte er uns mit, daß ihm vor nun fast vier Tagen unten am Carriso-Creek sein Pferd gestohlen worden sei, und zwar mit dem ganzen Inhalt der Satteltaschen. Unterwegs gab es zu seiner Nahrung nur einige eßbare Wurzeln oder Beeren, weiter nichts. Er hatte sein schweres Paket nun selbst zu tragen, und so war es kein Wunder, daß er in so großer Übermüdung hier eingetroffen war. Er erfuhr, daß sein Lederanzug unangetastet bereit für ihn liege. jetzt nun aß er mit uns, langsam und in der Weise eines Mannes, der sich in gebildeten Kreisen bewegt. Das Herzle sieht es außerordentlich gern, daß es ihren Gästen schmeckt. Ihr Gesicht strahlte jetzt vor Vergnügen.

      Ich hatte so meine eigenen Gedanken über ihn, sagte aber nichts. Auch Pappermann hätte wohl gar zu gern etwas Näheres über ihn erfahren; aber der Indianer machte trotz seiner Jugend einen derartigen Eindruck auf ihn, daß er es nicht wagte, ihn mit Fragen zu belästigen. Aber meine Frau, meine Frau! Der ist jede Unklarheit zuwider! Die muß in allen Dingen genau wissen, woran sie ist. Von indianischer Geduld und Zurückhaltung ist sie äußerst wenig entzückt. Sie beobachtete den »jungen Adler«. Ich sah es ihr an, daß er ihr außerordentlich gefiel. Und wehe dem, der ihr gefällt! Sie klopft ihm an das Herz, und was da drin ist, muß heraus, er mag wollen oder nicht. Nicht etwa, daß sie neugierig oder gar zudringlich ist; nicht im geringsten. Aber wenn sie jemand in Verlegenheit sieht und ihm helfen will, so hat sie eine ganz eigene Art, zu erfahren, in welcher Art und Weise das am