Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg


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verlassen es fett.

      Herr Someiner eilte rasch auf den Fürsten zu; aber es gelang ihm nicht sogleich, die geladene Kammerbüchse seines Amtszornes zu entladen. Denn einer der Novizen, ein junges, feines, weltlich gekleidetes Bürschlein in Schnabelschuhen, mit klingenden Schellen am Gürtel und an den seidenen Ärmelfahnen — der Domizellar Sigwart zu Hundswieben — kam aus dem Innenhof des Klosters gelaufen, faßte das Pferd des Propstes am Zügel und sprach sehr flehentlich zu dem Fürsten hinauf.

      Der Amtmann blieb in höfischer Entfernung stehen.

      Herr Pienzenauer sah auf das modische, fast mädchenhafte Bürschlein hinunter mit einem Blick, in dem sich Wohlgefallen seltsam mit Geringschätzung mischte. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein!« Seine sonore Stimme war weithin zu vernehmen. »Für heut soll’s genug sein. Mit dieser Knallerei vergrämt ihr mir den Rehbock. Und das Pulver ist teuer. Man weiß nicht, wie bald man’s brauchen kann zu ernsteren Dingen als zum Niederbummern meines besten Hirsches im Graben. Ihr seid wie die Kinder.«

      Ein neues Gebettel unter leisem Klingeling der silbernen Schellchen.

      Per Propst blieb unerbittlich. »Nein! Wenn ich meinen Rehbock habe, morgen, meinethalben. Heute nicht mehr.« Er hob den Zügel und brachte das Pferd in Gang.

      Sigwart von Hundswieben sah ihm auf eine Weise nach, die wenig Ehrfurcht verriet.

      Da trat Herr Someiner auf den Fürsten zu.

      »Ruppert? Was gibt’s? Lang hab ich nicht Zeit. Sonst versäum ich die Pirsch.«

      Der Amtmann sprach. Und als er seine Darlegung beendet hatte, fragte er: »Was soll geschehen, gnädigster Herr?«

      »Was verständig ist und dem Recht entspricht.« Propst Peter lächelte. »Auf dich kann ich mich verlassen.« Dann ritt er davon.

      Der Amtmann nickte. Jetzt war die Sache klar erledigt. Ohne einen Blick für die Menge des lärmenden Volkes zu haben, das sich drunten bei der Mauer des Hirschgrabens drängte und auf eine Fortsetzung dieser ebenso lustigen wie erstaunlichen Donnersache wartete, suchte Herr Someiner eilfertig den Vogt des Stiftes auf und beorderte ihn zur Pfändung der siebzehn siegelwidrigen Kühe auf dem Hängmoos, pünktlich zur Mittagsstunde des kommenden Tages.

      Doch auf dem Heimweg zur guten Suppe wurde der Amtmann nachdenklich. Wie war das nur? Hatte der Fürst gesagt: »Was Verstand hat und dem Recht entspricht?« Und hatte er den Nachdruck auf das Recht gelegt? Oder sagte er: »Was dem Recht entspricht und Verstand hat?« Und meinte er als wesentliche Sache den Verstand?

      Daß aber auch die hohen Herren immer so zwiespältig reden! Man weiß da nie mit Sicherheit, wie man dran ist.

      Doch so oder so, jetzt war die Sache in Gang. Der amtliche Karren, der keine Deichsel zum Umkehren hat, mußte laufen. Los! In Gottes Namen!

      Zu Hause, als Herr Someiner allein und ungestört die warmgehaltene Suppe aß, war in ihm ein ruheloses Wechselspiel von vernunftgemäßer Zufriedenheit und unerklärlicher Besorgnis. Schließlich wollten ihm die boves hengismosiani gar nicht mehr aus dem Sinn. Und neben den ruhigen Pendelschlägen in dem alten Uhrkasten — »Bau! Bau!« — wurde Herrn Someiners Unsicherheit in der Deutung jenes delphischen Fürstenwortes vom Verstand und vom Rechte immer qualvoller.

      Inzwischen dachte der edle Herr Peter Pienzenauer schon lange nicht mehr an die siegelwidrigen Ochsen oder Küh. Er freute sich des schönen Pirschabends, der da kommen wollte, ritt ohne Eile den Waldschlägen des Totenmannes zu und überließ seinem Roß die Zügel zu behaglichem Schreiten.

      Um die gleiche Stunde mußte ein andres Rößlein rennen, schnaufen und schwitzen. Als der Schimmel vor des Richtmanns Hagtor in der Ramsau mit pumpenden Flanken stehenblieb, fielen handgroße Schaumflocken von ihm herunter.

      »Ich muß gleich wieder davon«, sagte der Runotter zu Heiner, »führ den Schimmel umeinand, daß er sich nit verkühlt.« Er ging zum Haus und zog am Küraß die Schnallen auf. Vor der Schwelle drehte er das erhitzte Gesicht. »Weißt nit, ist der Soldknecht noch im Leuthaus drüben?«

      »Schon lang nimmer. Die Rauschigen sind all davongetorkelt. Und den Malimmes hab ich lustig singen hören, weit über die Straß hinaus.«

      »Ist er’s gewesen? Wahrhaftig? Der Malimmes vom Taubensee?«

      »Wohl, Bauer!«

      Runotter trat ins Haus. Gleich kam er wieder, des Eisens ledig, nur mit einem festen Meser am Gürtel. »Kann sein, ich komm über Nacht nit heim.« Er zog die Lederkappe in die Stirn, sprang auf den Schimmel hinauf und ließ ihn am Brunnen trinken.

      Im Trab die Straße hin gegen den Taubensee.

      Bei einem Haus, das neben der Straße auf einem kleinen Hügel stand, rief Runotter: »Höi! Ist der Albmeister daheim?«

      Der wäre beim Heuen, gleich da drüben über dem Bach.

      Die Ache machte mehr Lärm, als sie Wasser hatte. Leicht kam der Schimmel hinüber und kletterte über die steilen Wiesen hinauf.

      Ein neunzigjähriger Bauer, dürr und gebeugt, kahlköpfig und mit weißen Bartstoppeln, wendete das am Morgen gemähte Heu — Seppi Ruechsam, der Albmeister der Ramsauer Gnotschaft. Sein Hausname kam wohl davon, daß einer seiner Vorfahren ein besonders Sparsamer gewesen war. Wie für die Fähigkeiten des Propstes sein früheres Amt als Kellermeister, so sprach für den Seppi Ruechsam die Tatsache, daß er Albmeister war. Um Albmeister zu werden, mußte man zumindest siebzig Jahre hinter sich haben, mußte das Vergangene wissen und mußte ein Makelloser, einer von den Besten der Gemeinde sein. Der Albmeister war halb wie ein Heiliger, weil er den grünen Speisbrunnen und das wertvollste Lebensrecht des Bergdorfes hütete.

      Ehe noch der Schimmel den Seppi Ruechsam erreichte, fragte Runotter schon: »Seppi? Du? Wie ist das mit dem Hängmoos? Seit wann ist der Käser droben? Seit wann treibt man das Milchvieh hinauf?«

      Langsam streckte sich der Greis. »Das ist, seit die Salzburger den Propsten Kunrad vertrieben und das Stift in Pfand genommen haben. Ist gewesen im dreiundneunziger Jahr.«

      »Ist Melkvieh und Käser mit Rechten auf der Alb?«

      »Was denn sonst? Albmeister ist der Seppi Ruechsam. Der wird wohl wissen, was recht ist.« Für den Greis in seiner steinernen Ruhe schien das ein Zwiefaches zu sein: er als Mensch und er als Albmeister.

      »Ist unser Recht verbrieft?«

      »Was denn sonst?«

      Runotter atmete auf. »Der Brief ist weisbar?«

      »Was denn sonst? Liegt bei mir in der Truchen, ist gut geschrieben ist gewächsnet mit des Herrn Kunrad Fürstenring.«

      Der Richtmann verlangte nicht, den Brief zu sehen. Er wußte: Der Albmeister hat die Truhe mit den Rechtsbriefen, der Ältestmann der Gnotschaft hat den Schlüssel, und Schloß und Schlüssel dürfen nur Hochzeit halten, wenn fünf spruchbare Männer der Gnotschaft als Zeugen dabei sind.

      »Sie sagen im Amt, es war kein Brief nit da als bloß der alte von den Ochsen.«

      »Die sagen viel.« Der Greis fing wieder zu heuen an.

      »Und der Amtmann will die Milchkuh pfänden lassen, morgen.«

      Seppi Ruechsam hob langsam das Gesicht. »So?« Er sprach dieses kleine Wort, als hätte ihm einer an schönem Tage gesagt, es regnet. »Was tust da, Richtmann?«

      »Ich steh beim Recht. Und treib nit ab. Die Küh müssen bleiben.«

      »Was denn sonst?«

      »In der Nacht reit ich um und ruf die Leut für morgen zum Taiding.«

      Der Greis nickte. »Ist hart, in der Heuzeit einen Tag verlieren. Aber mehr als Heu ist die Kuh, mehr als die Kuh ist das Recht.«

      »Das Taiding ruf ich zu deinem Haus.«

      »Was denn sonst? Es geht ums Weidrecht. Der Seppi Ruechsam ist morgen daheim, wo die Truchen steht. Aber Pfändleut hin oder her, einem Spießknecht gibt der Seppi Ruechsam