von Kinderhand geschrieben, groß, breit und ungeschickt hingemalt, so wie ich ihn an Großvaters Scheunentor geübt hatte. Ich konnte damals den U-Bogen nicht schreiben, und auch hier stand der U-Bogen verkehrt.
Und gleich neben meinem Namen stand das kleine Mariechen eingeschrieben, Müllers kleines, süßes Mariechen, das von den Schilfnixen in den Fluß gezogen wurde, als wir am Ufer spielten und ach, nicht wiederkam.
Es wurde Tag in meiner Seele, und eine lange Vergessenheit wich. Mit Müllers Mariechen war ich zuerst im Märchenlande gewesen!
Die Augen wurden mir heiß im Andenken an meinen kleinen, blonden Schatz; ich legte die Hand auf das Buch und strich leise über meinen und ihren Kindernamen. Wie eine Liebkosung war das oder auch, wie man einen heiligen, geweihten Gegenstand berührt, um sich einen Segen zu holen.
Als wir weiterzogen, war ich wie von einem Traum befangen und blickte kaum um mich. Aber dann sah ich ein seltsames Licht, das mich aufschauen ließ.
Eine Brücke spannte sich über einen breiten Strom. Eine goldene Mauer faßte sie auf der rechten Seite ein, eine graue Steinmauer auf der linken. Rechts hielt ein lachender Engel mit ausgebreiteten Armen die Brückenwacht, links stand eine schwarze Frauengestalt mit verschleiertem Kopf. Das Wasser, das in leuchtenden Wogen und sprudelnden Katarakten gegen die goldene Mauer geflossen kam, war lichtgrün und silberglänzend; die Flut, die unter der grauen Mauer herausströmte, war trüb und träge, von blumigen Höhen kam der Strom herab, zwischen kahlen, starren Ufern floß er jenseits der Brücke weiter und mündete nach wenigen Schritten in ein dunkles, düsteres Felsentor.
Ich erschrak, als ich diese Brücke sah, denn ich wußte, es war die Brücke des Lebens und des Todes.
Gerade an der Brücke kam uns ein Menschenzug entgegen. Ein strahlender Jüngling mit einem Federhut auf dem Kopf und einer goldenen Kette um den Hals ritt auf einem schönen weißen Tier Lächelnd erwiderte er unseren Gruß, lachend wandte er sein Gesicht nach dem lichtgrünen Wasser.
Ich sah dem Jüngling, der stark schien wie ein Held und fröhlich war wie ein Kind, ein paar Augenblicke nach.
»Es ist der Prinz Juvento,« sagte ein Mann, der neben mir stand, »der Erbprinz aus unserem Nachbarlande.«
Herididasufoturanische Hoftypen
Herr von Stimpekrex hatte mich in seinem verschwenderisch ausgestatteten Heim gastlich aufgenommen, und ich hatte mich ein paar Stunden ausgeruht. Aber meine große Aufregung legte sich nicht, und über all meinem Staunen fühlte ich mich schwach und elend. Einen armen Kerl macht eine glänzende Umgebung immer traurig und noch viel ärmer, als er schon ist.
Der Freund erbarmte sich meines Zustandes. Er brachte ein Leinentuch, tauchte es ins Wasser und legte es mir auf die Stirn. Dabei sprach er:
»Staunen ist ungesund! Dieses Tuch ist ein Wundertuch. Eine alte Waldhexe hat es gesponnen. Sie war ihr ganzes Leben lang als Dienstmagd in vornehmen Häusern, bei Königen, Grafen, Gelehrten und Künstlern. Das Staunen machte sie krank. Als sie aber älter wurde, verlernte sie das Staunen; sie verkroch sich in einm öden Wald, fing an zu lachen, laut und grimmig zu lachen, jahrelang zu lachen, und als sie sich endlich ausgelacht hatte, spann sie dieses Tuch. Wer es ins Wasser taucht und es sich auf die Stirn legt, der wird vom Staunen kuriert.«
Ich dachte über diese kleine Geschichte nach, während das kühle Tuch um meine Schläfe lag, und es wurde mir leicht und fröhlich dabei. Die Hexe hatte gut gesponnen.
Die Kur war für mich notwendig, denn bald darauf führte mich Herr von Stimpekrex nach dem Königspalast, da ich bei der Neujahrs-Gratulationscour Sr. Majestät vorgestellt werden sollte. Und es ereignete sich, daß ich über der Wunderpracht, die sich vor mir auftat, nicht närrisch wurde. Ja, als mir Herr von Stimpekrex erklärte, selbst die Wände seien aus massivem, l4karätigem Gold, machte ich ein ungläubiges Gesicht, und erst als er mir mitteilte, gleich links unten neben dem Eingang sei der Goldstempel, glaubte ich es.
In dem großen Warteraum, in dem wir standen, waren nur Herren zugegen; die Damen hatten eine besondere Anticamera. Herren in allen Lebensaltern und in sehr bunten Gewandungen, obwohl eigentliche . Uniformen selten waren, vorherrschend war der lange, bis an die Waden reichende, von einem Gürtel um die Hüften zusammengehaltene Staatsrock aus Sammet. Ich trug auch einen solchen Rock, und zwar von blauer Farbe. Alle Gelehrten von Beruf in Herididasufoturanien tragen sich blau, und ein Zeitungsredakteur ist dort unten auch ein Gelehrter von Beruf. Herr von Stimpekrex gab mir leise einige Erklärungen:
»Passen Sie auf die Farben auf, die Farben sind wichtig: Hofleute grün, Gelehrte blau, Geistliche braun, Juristen rot, Künstler weiß, Ärzte schwarz, Parlamentarier scheckig.«
»Warum sind die Ärzte schwarz?« fragte ich.
»Strafbestimmung aus alter Zeit! Früher mußten sie auch noch einen Totenkopf als Kokarde tragen. Das ist aber durch einen Gnadenakt neuerdings aufgehoben. Die Kerls hatten mal bei einer Epidemie eine falsche Diagnose gestellt, da ist eine ganze Provinz ausgestorben. Sehen Sie, da kommt schon einer auf uns zu, der ist mein Onkel.«
Ein Schwarzer schob sich an uns heran. Ein kleines Männlein mit einem verrunzelten, verschobenen, verschrobenen, zerstobenen Gesicht, in dem eine sanftrote Nase glänzte.
»Dr. Schnugu,« stellte er sich vor, »Waldarzt!«
»Hofarzt,« verbesserte Stimpekrex.
»Waldarzt,« wiederholte Dr. Schnugu grimmig. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Herr, denn ich hoffe, daß Sie das Volk über gesundheitliche Fragen aufklären werden.«
»Jawohl,« fiel Stimpekrex höhnisch ein, »er wird einen Leitartikel gegen die Ärzte schreiben.«
Dr. Schnugus Gesicht verschob und verschrob sich noch mehr, und seine Nase glimmte auf.
»Mein lieber Neffe,« sagte er, »gegen die Reserveleutnants etwas zu schreiben, ist allerdings nicht erst nötig. Hab die Ehre! Mein Herr, ich werde Sie zu sprechen suchen, wenn dieser – dieser unreife Mensch nicht bei Ihnen ist.«
Und er stampfte von dannen. Stimpekrex lachte ihm nach.
»Mein lieber Onkel! Wir müssen ihn besuchen, wir müssen ihn bestimmt besuchen, denn ich sage Ihnen, er ist ein Unikum.«
Ein steinaltes Männlein trat vor mich und legte mir die Hand auf den Arm. Ganz gebückt stützte es sich auf einen Stock mit silbernem Knauf und versuchte, die roten, blöden Äuglein zu mir aufzuheben.
»Ähähä, ähähä!« begann das Männlein mit meckriger Stimme, »der Fremde! Der fremde junge Herr von droben! Kenne die Menschen, – o ja, kenne sie! Da muß ich Ihnen was erzählen. Also wir waren doch damals droben – Erz hacken, – ja, wir sieben, – und als wir heimkamen, – ich spürte es ja gleich, daß jemand aus meinem Becherlein getrunken hatte, – ja, und die anderen schrien, daß eine Dälle in ihrem Bettchen wäre. Ähähä, zum Lachen! Eine Dälle! In meinem Bettchen war eine sehr große Dälle. Da lag sie selbst! O, Gott, ein schönes Mädchen! Ein liebes Mädchen! Gerade in meinem Bettchen! Das paßte ihr. Na, also schlief ich bei den anderen und –«
Hier benutzte ich ein Gedränge, um von dem Alten, den ich für blödsinnig hielt, loszukommen. Herr von Stimpekrex lachte.
»Also sie kneifen auch schon aus? Schon beim ersten Male? Und ich hab' die Geschichte schon hundertmal anhören müssen, wirklich, schon hundertmal.«
»Erbarmen Sie sich,« sagte ich, »und erklären Sie mir wenigstens, was eine Dälle ist.«
»Eine Dälle ist eine Grube die man in ein Federbett gedrückt hat. Und der Alte ist das siebente Zwerglein, in dessen Bettchen vor uralter Zeit das Schneewittchen geschlafen hat.«
»Aaaah! Sie hat aus seinem Becherlein getrunken und in seinem Bettchen geschlafen?«
»So ist es! Aus seinem ganzen langen Leben hat er sich nur dieses eine Abenteuer gemerkt, alles andere hat er vergessen. Aber vom Schneewittchen erzählt er jedem zehnmal, hundertmal, kurz, solange, bis der andere ausreißt.«
»Er