Hugo Bettauer

Die Stadt ohne Juden: Ein Roman von übermorgen


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können im Lande bleiben. Dies ist aber auch die absolut einzige Konzession, die das Gesetz macht. Andere Ausnahmen sind nicht zulässig. Von vielen Seiten wurde uns nahegelegt, gewisse Ausnahmen gelten zu lassen. So sollte das Gesetz Leute über ein gewisses Alter hinaus, Kranke, Schwächliche und solche Juden, die besondere Verdienste um den Staat haben, nicht treffen.

      Meine Damen und Herren! Hätte ich diesen Ratgebern nachgegeben, so würde das ganze Gesetz zur Posse geworden sein. Das jüdische Geld, jüdischer Einfluß hätten Tag und Nacht gearbeitet, zehntausende von Ausnahmsfällen würden konstruiert werden und in fünfzig Jahren wären wir genau so weit wie heute. Nein, es gibt keine Ausnahme, es gibt keine Protektion, es gibt kein Mitleid und kein Augenzudrücken! Für Hinfällige und Kranke wird die Regierung prachtvolle Spitalzüge zur Verfügung stellen, und nur solche Juden, die nach gerichtsärztlichem Gutachten absolut nicht transportfähig sind, werden hier ihre Genesung oder ihren Tod abwarten dürfen.«

      Doktor Schwertfeger verbeugte sich leicht und ließ sich schwerfällig auf seinem Sitz nieder. Die Wirkung seiner letzten Eröffnung war aber ganz eigenartig gewesen. Nur vereinzelte Bravo-Rufe waren laut geworden, eine gewisse Beklommenheit machte sich fast körperlich fühlbar, auf vielen Gesichtern malte sich deutlich Schrecken und Angst, auf der Galerie entstand Unruhe, eine Frau fiel mit dem Ruf: »Meine Kinder!« ohnmächtig zusammen, und als der Kanzler geendet, erdröhnte zwar starker Beifall, aber die kleine Gruppe der Sozialdemokraten schrie unisono »Unerhört! Pfui! Skandal!«

      Und nun erteilte der Präsident mit dem roten Bart dem Finanzminister Professor Trumm das Wort. Trumm war klein, verhuzelt wie eine halbgedörrte Pflaume, er sprach im Diskant und mußte sich jedesmal unterbrechen, wenn seine Zunge zwischen dem Gaumen und dem oberen Rand des falschen Gebisses stecken blieb. Unter großer Spannung erörterte er die finanzielle Seite des Ausweisungsgesetzes. Natürlich würde die Ablösung der jüdischen Geschäfte und Immobilien nicht nur das christliche Privatkapital, sondern auch die Mittel des Staates stark in Anspruch nehmen. Hunderte von Milliarden Kronen würden kaum ausreichen, und man dürfe sich nicht verhehlen, daß die Ausweisung der Juden zunächst allerlei finanzielle Schwierigkeiten im Gefolge haben werde.

      »Aber, gottlob,« – der Finanzminister bekreuzigte sich – »wir werden in den kommenden schweren Tagen nicht allein stehen! Ich kann dem hohen Hause die erfreuliche Mitteilung machen, daß sich das echte wahre Christentum der ganzen Welt gesammelt hat, um uns zu helfen. Nicht nur, daß die österreichische Regierung seit Monaten internationale Verhandlungen führt, auch der Piusverein hat in aller Stille eine mächtige Agitation entfaltet, die glänzende Früchte trägt. Der Verband des erwachten Christentums der skandinavischen Länder, dem viele große Bankiers und Kaufleute angehören, stellt uns einen gewaltigen Kredit in dänischer, schwedischer und norwegischer Valuta zur Verfügung, der amerikanische Industriekönig Jonathan Huxtable, einer der reichsten Männer der Welt und ein begeisterter Streiter in Christo, hat sich bereit erklärt, zwanzig Millionen Dollars in Oesterreich anzulegen, der französische Christenbund macht hundert Millionen Francs mobil – kurzum, es werden Milliarden Kronen ins Ausland wandern müssen und dafür Milliarden in Gold einströmen!«

      Riesige Begeisterung im ganzen Hause. Einige Dutzend Abgeordnete verließen fluchtartig den Sitzungssaal und stürmten die Telephone, um ihren Banken Verkaufsorders für fremde Valuten zu geben. Die Hauszentrale konnte das stürmische Begehren nach Verbindungen mit »Karpeles & Co.«, »Veilchenfeld & Sohn«, »Rosenstrauch & Butterfaß«, »Kohn, Cohn & Kohen« und wie alle die großen Bankhäuser hießen, kaum bewältigen. Während aber der Finanzminister, der eine volle Minute gebraucht hatte, um seine eingeklemmte Zunge zu befreien, fortfuhr, erzählte der Engländer Holborn in der Journalistenloge grinsend:

      »Jonathan Huxtable ist ein frommer Kerl! Er spuckt Gift und Galle gegen die Juden, seitdem ihm seine Frau mit einem jüdischen Preisboxer durchgegangen ist. Er ist ein strenger Temperenzler, aber er besauft sich jeden Tag mit Magentropfen, die er aus der Apotheke bezieht. Einmal hat man gesehen, wie er eine ganze Flasche Eau de Cologne auf einen Zug austrank. Und wenn er hier zwanzig Millionen investieren wird, will er sicher fünfzig daran verdienen.«

      Doktor Wiesel schnitt ein abweisendes Gesicht, während die jüdischen Journalisten sich rasch Notizen machten, um letzte Bosheiten zu publizieren.

      Die Pro- und Kontra-Redner meldeten sich zum Wort. Die Sozialdemokraten sprachen gegen das Gesetz. Als aber ihr Führer Weitherz in ruhigen und sachlichen Worten seiner Entrüstung Ausdruck gab und den Gesetzentwurf als ein Dokument menschlicher Schmach bezeichnete, entstand ein furchtbarer Tumult, die Galerie warf mit Schlüsseln und Papierknäueln nach den Sozialdemokraten, es kam zu einer Prügelei und die kleine Opposition verließ unter Protest den Saal. Der christlichsoziale Abgeordnete Pfarrer Zweibacher pries Doktor Schwertfeger als modernen Apostel, der würdig sei, dereinst heilig gesprochen zu werden, die großdeutschen Abgeordneten Wondratschek und Jiratschek aber beleuchteten das Gesetz lediglich vom Rassenstandpunkt, und Jiratschek, der stark mit böhmischem Akzent sprach, schluchzte vor Ergriffenheit und schloß mit den Worten:

      »Wotan weilt unter uns!«

      Als letzter Redner ergriff unter Hepp! Hepp! – Rufen und höhnischem Aih-Wai! – Geschrei der einzige zionistische Abgeordnete, Ingenieur Minkus Wassertrilling, das Wort. Der schlanke, große und hübsche junge Mann wartete mit verschränkten Armen ab, bis Ruhe eintrat, dann sagte er:

      »Verehrte Jünger jenes Juden, der sich, um die Menschheit zu erlösen, törichterweise ans Kreuz hatte schlagen lassen!«

      Stürmische Unterbrechung: »Hinaus mit den Juden!«

      »Jawohl, meine Herren, ich stimme mit Ihnen in den Ruf: »Hinaus mit den Juden!« ein und werde mit freudigem Herzen dem Gesetz meine Stimme geben. Wir Zionisten begrüßen dieses Gesetz, das ganz unseren Zielen und Tendenzen entspricht. Von der halben Million Juden, die das Gesetz trifft, wird sich wohl die Hälfte unter dem zionistischen Banner vereinigen, die anderen werden, wie ich weiß, in Frankreich und England, in Italien und Amerika, in Spanien und den Balkanländern willig Aufnahme finden. Mir ist um das Schicksal meines Volkes nicht bange, zum Segen wird das werden, was hier gehässige Bosheit und Dummheit als Fluch gedacht hat.«

      Der Tumult, der sich erhob, verschlang die weiteren Worte und schließlich wurde auch der Zionist aus dem Saal gedrängt.

      So ergab denn die Abstimmung, die namentlich erfolgte, die einstimmige Annahme des Gesetzes, das noch am selben Tag durch den Ausschuß und die zweite und dritte Lesung gepeitscht wurde.

      Als die Abgeordneten spät abends endlich das Haus verlassen konnten, sahen sie ein festlich beleuchtetes Wien. Von allen öffentlichen Gebäuden wehten die weiß-roten Fahnen, Feuerwerke wurden abgebrannt, bis lange nach Mitternacht dauerten die Umzüge der Menschenmassen, die immer vor das Kanzlerpalais marschierten, um Doktor Schwertfeger hoch leben zu lassen und als Befreier Oesterreichs zu preisen –

* * *

      Als der Nationalrat, Gemeinderat, Armenrat und Gewerberat Antonius Schneuzel am nächsten Vormittag – es war ein Sonntag – infolge der endlosen Siegesfeier arg verkatert am häuslichen Frühstückstisch erschien, fand er eine recht unbehagliche Stimmung vor. Seine Gattin hatte eine nadelspitze Nase, was auf Sturm deutete, seine Tochter, Frau Corroni, saß mit verquollenen Augen da, ihr Gatte, der Prokurist Alois Corroni, lächelte den Schwiegervater impertinent und verächtlich an, und die beiden Enkelkinder Lintschi und Hansl stießen ein furchtbares Geheul aus, als Herr Schneuzel seine kleinen Aeuglein verwirrt und ängstlich um den Tisch kreisen ließ.

      »Ja, was is denn da los?«

      Frau Schneuzel stemmte die Arme in die Seite.

      »Was los is, du Fallot, du? Gar nichts is los, als daß du alter Tepp geholfen hast, deine Tochter und die Enkelkinder aus dem Land zu treiben!«

      »Ja, wieso denn?« stammelte Herr Schneuzel, aber schon dämmerte ihm grauenhafte Wahrheit. Richtig, er hatte im Laufe der Jahrzehnte total vergessen, daß sein Schwiegersohn, Herr Alois Corroni, in frühester Jugend Sami Cohn geheißen und erst stehend und aufrecht die Taufe empfangen. Also mußte er ja hinaus und mit ihm die beiden Kinder, die Judenstämmlinge waren!

      »So eine Gemeinheit,« schluchzte Frau Corroni in ihr Taschentuch hinein, »was soll ich jetzt mit den Kindern anfangen?