Max Buchner

Reise durch den Stillen Ozean


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entlang. Das Leuchtfeuer auf Somes Island, meiner ehemaligen Domäne, brannte noch. Trüb stieg der Morgen hinter schwarzen Bergen und dunklen Wolken herauf, und eine zu früh erwachte Möve strich einsam über die kaltschimmernde Wasserfläche.

      Steilansteigender Busch, stellenweise durch Feuer gelichtet, wo dann die schwarzverkohlten kahlen Baumstämme emporstarren, erhebt sich zur Linken. Durch einen Thaleinschnitt kommt ein Bächlein herab. Wir biegen hinein mitten ins Innere des Gebirges, und wie mit einem Schlag verändert sich die Szenerie.

      Jede Spur von Ansiedelungen ist verschwunden, die üppige Pracht eines jungfräulichen Neuseeländischen Forstes umfängt uns. Die Strasse wird enger, so eng, dass kaum ein Fussgänger dem Wagen ausweichen kann, und bald auf dieser bald auf jener Seite des murmelnden Bächleins leitet der Rosselenker das Viergespann nach links und nach rechts um scharfe Felsenkanten. Die Biegungen sind so zahlreich und kurz, dass man keine hundert Schritt weit den Weg vor sich sieht und jede Minute glaubt, an der nächsten senkrechten Wand müsse er aufhören. Hohe majestätische Bäume, im Morgenthau glänzendes Strauchwerk und elegante hellgrüne Farne neigen sich über die Strasse, und blaue Eisvögel schwirren vor uns eiligen Fluges ins Dickicht. Einmal tauchen etliche Holzhütten, von kleinen Gärten umgeben, überraschend aus der romantischen Abgeschiedenheit des Busches. Hunde springen bellend an den Zaun und ärgern sich nur noch mehr, wenn unser Kutscher Zeitungen oder Briefe hinüberwirft.

      In dem Dorf Johnsonville war die Wasserscheide erreicht, und ein anderes Bächlein schloss sich alsbald an uns an, um in gleicher Richtung mit uns weiterzureisen. Schulkinder, welche nach der Schule wanderten, baten den Kutscher eine Strecke fahren zu dürfen, und wir hielten um sie mitzunehmen. Die Umgebung wurde nun weiter, der Busch wich zurück, und auf einem sumpfigen See schwammen scheue Kormorane und fischten. Eisvögel sassen auf dem die Strasse begleitenden Telegraphendraht wie zu Hause im Herbst die Schwalben.

      Eine halbe Stunde später kam Pahantanui4, eine grössere Farm mit Wirthshaus, wo wir frühstückten. Ein grosses Orchestrion stand im Zimmer, und der Wirth gab uns damit, während wir assen, ein Konzert zum Besten. Selbst die fernsten Erdenwinkel macht bereits diese abscheuliche Maschine unsicher. Zum Glück war das Instrument nicht bei Stimme, und seine Melodien drangen nur leise und gedämpft wie ferne Jahrmarktsmusik durch den plumpen Glaskasten.

      Die Strasse, auf der wir kaum merklich ansteigend jene durch Port Nicholson aus der Südwestecke der Provinz Wellington geschnittene Halbinsel durchkreuzten, steht plötzlich vor einem jähen Absturz von 200 Meter, unter welchem gegen einen schmalen Dünensaum der Indische Ozean in langen langsam anrückenden Wogen donnert. Zwei duftig von der Morgensonne verschleierte Inseln sind in die blaue Fläche gebettet, die von unserem erhöhten Standpunkt aus trichterförmig zum Horizont emporgespannt zu sein scheint, Mana Island im Süden und Kapiti Island im Norden. Schnurgerade zieht sich die weisse Schaumlinie der Brandung und der glänzend gelbe Streifen des Ufersandes bis in die allmälig verschwimmende Ferne. Zwei kleine schwarze Pünktchen bewegen sich auf ihr näher. Es sind Maorireiter, die auf dem Strand, der einzigen Verkehrsstrasse dieser Gegend, ihre struppigen Pferde entlang hetzen.

      Auch wir mussten dort hinunter. Unheimlich steil klettert die schmale und schlechte Strasse, ängstlich sich an alle Krümmungen der schroffen Bergwand drückend, in die Tiefe. Kein Geländer schützt vor dem drohenden Abgrund, und an den Ecken ist der Rand so schadhaft und nahe, dass die von den Pferdehufen losgeschlagenen Steine unmittelbar in die grüne Schlucht hinabkollern, in der unser Bächlein halbversteckt von Felsblock zu Felsblock hüpft.

      Im Innern des Wagens sassen zwei Frauenzimmer, und kaum hatten sie bemerkt, um was es sich handelte, als sie zu jammern begannen und flehten, man möge sie aussteigen lassen. Aber es war zu spät, und maliziös lächelnd trieb der Kutscher das Viergespann bald im Trab bald im Schritt über den gefährlichen Weg. Der Mann flösste mir Respekt ein, und ich begriff jetzt, warum man in Wellington immer, wenn von Postkutschen die Rede war, sich wunderte, dass noch nie eine in den Abgrund gestürzt sei, und wann dies wohl zuerst geschehen würde. Sehr angenehm war es mir, dass uns dieses interessante, mit so grosser Spannung erwartete Ereigniss nicht traf, obwohl die beiden Weiber durch ihr Gekreisch beinahe die Pferde scheu machten, so oft die Kutsche sich nach aussen statt nach der Felswand neigte.

      Unten wurden die Pferde gewechselt, und zwar auf einer Station Namens Paikekariki. Dann gings auf die muschelbesäte Beach hinaus, deren nasser Sand 40 Meilen lang eine so vortreffliche feste und glatte Strasse abgiebt, wie man sie nicht besser wünschen kann. Wir bogen rechts und nach Norden. Die Berge wichen zurück, das flache Vorland wurde breiter und überzog sich mit einer fremdartigen Vegetation von wogendem Schilf, von Phormiumgebüsch und von einzeln stehenden Kohlpalmen. Hinter uns tauchten die Konturen der Südinsel aus dem Wasser. Donnernd brach sich zur Linken in endloser Linie die Brandung und goss zuweilen über die sanfte Böschung unseres Pfades breite schaumige Zungen, welche ohnmächtig unter den Hufen und Rädern zerspritzten. Wild und malerisch zerlumpte braune Maoris zu Pferd begegneten uns und frugen nach Briefen. Möven watschelten auf ihren dünnen Beinen im seichten Wasser herum, sahen uns misstrauisch an, unentschieden ob sie auffliegen sollten oder nicht, und thaten es schliesslich doch, als wir sie eigentlich schon überholt hatten.

      Brücken giebt es auf dieser Naturstrasse nicht, wenn auch mehrere Flussmündungen sie quer unterbrechen. Wir fuhren einfach durch ihr kiesiges Bett, und unsere Damen im Wagen wurden ersucht, die Beine und das Gepäck auf die Sitze zu nehmen.

      An einer der vielen Fuhrten, die sich durch die Regengüsse der letzten Tage verändert haben mochte, bogen wir nach einem weiter innen liegenden Gehöft, um einen Lootsen zu holen. Das Gehöft, mehrere altersschwache Gebäude im Verandastyl, stand in einem ehemaligen Maori-Pa, dessen niedriger Wall und Graben noch deutlich zu erkennen war. Die eine Ecke der Befestigung bildete ein ansehnlicher wenigstens 8 Meter hoher Hügel von weissgewitterten Muschelschalen, den Mahlzeitresten mehrerer Generationen, ein neuseeländischer Kjökkenmödding. Schweine und Hunde bummelten auf dem freien Platze. Drei Maoriweiber sassen vor der Thüre, in grellrothe Decken gewickelt, schwarzgeräucherte Thonpfeifen im Munde, und sonnten sich, zwischen ihnen ein nackter fünfjähriger Junge, der ungestüm mit der Faust auf seine Mutter schlug, bis sie ihm die Brust zum Saugen reichte.

      In Otaki, der bedeutendsten Maori-Ortschaft der Strecke, wartete unser im Wirthshaus, dem einzigen von einem Weissen gehaltenen Anwesen, das Dinner. Schon ehe wir Otaki erreichten, wurde die Umgebung kultivirter. Wiesen von kurzem aus England hieher verpflanzten Gras, mit zahlreichen Kohlpalmen, die sich noch nicht hatten verdrängen lassen, besetzt und dazwischen Kartoffelfelder traten auf, als wir die Beach landeinwärts verliessen und nach etlichen Terrainschwierigkeiten mit einmal wieder eine richtige Strasse befuhren, die sich durchs Dorf zog.

      Nach einem ziemlich kalten Morgen sandte die Mittagssonne wohlthätig warme Strahlen herab, und die ganze Bevölkerung war aus den Hütten gekrochen. Hübsche braune Mädchen, die tiefschwarzen Haare ungekämmt ins Gesicht hereinhängend, roth und gelbkarrirte Schaltücher nachlässig umgeworfen, lungerten schäkernd herum. Dem Wirthshaus gegenüber hockte eine Gruppe Männer auf dem Boden und war so eifrig in ein Kartenspiel vertieft, dass sie selbst von der Ankunft der Postkutsche keine Notiz nahmen, die doch sonst nicht uninteressant zu sein schien.

      Otaki besitzt eine Kirche im modernen Maoristyl, und ich beschleunigte mein Mahl, um für sie noch einige Minuten zu erübrigen. Wie bei allen christianisirten Polynesiern haben sich die Formelemente der alten Architektur im Wesentlichen erhalten, und nur die Dimensionen der Höhe sind bedeutend vergrössert worden, so dass man die jetzigen Bauten aufrecht betreten kann, während man früher nicht anders als auf allen Vieren hinein und drinnen herumkriechen konnte.

      Bei der Kirche von Otaki ist das Giebeldach, welches bei Maorihütten flach zu sein pflegt, so spitzig in die Höhe gezogen, dass es den Eindruck eines gothischen macht. Drei roh zugehauene vierseitige Pfeiler stützen in der Mittellinie des Inneren den Giebelbaum. Senkrechte Streifen von massiven Brettern und Schilfgeflecht bilden abwechselnd sowohl die niedrigen Seitenwände als auch das steile Dach. Das Geflecht ist weissgetüncht, und die Holztheile tragen auf rothem Grund ebenfalls weissgemalte groteske und eigenartige Ornamente. Ausser einem Tisch und mehreren Bänken findet sich keinerlei Geräth für den Gottesdienst. Das vorspringende Dach beschirmt den Eingang wie eine Veranda, in der fünfeckigen Frontwand