Georg Brandes

Moderne Geister


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nach dem Meer; welche Last schwarzer Flechten im Nacken! Es leuchtet roth darin; ein Korallenschmuck – nein, frische Granatblüthen. Der Wind spielt mit dem lose angeknüpften Tuch; wie dunkel brennt die Wange, und wie viel dunkler das Auge!“18

      Es sind solche Bilder, plastische Figuren, einfache malerische Situationen, mit denen die Phantasie Heyse's von Anfang an operirt hat, und die ihren einen Ausgangspunkt bilden. Und ob man noch so sehr fühlt, wie viel vernünftiger es ist, einen Dichter zu schildern als ihn zu loben, so kann man doch nicht einen Ausbruch der Bewunderung darüber zurückhalten, wie vorzüglich es überall Heyse gelungen ist, seine Gestalten, freilich besonders die Frauengestalten, dem Auge darzustellen. Er gehört nicht zu der beschreibenden Schule, er charakterisirt nicht weitläufig wie Balzac noch sorgfältig wie Turgenjew, sondern schildert mit wenigen Zügen; aber seine Gestalten bleiben uns doch in der Erinnerung, aus dem sehr einfachen Grunde, weil sie alle Stil haben. Ein Bauernmädchen aus Neapel oder Tyrol, ein Dienstmädchen oder ein junges Fräulein aus Deutschland erhalten, von ihm gemalt, ein höheres, unwirkliches und doch unvergessliches Leben, weil sie alle durch die streng idealistische Methode und Kunst der Darstellung geadelt sind. Sie sind formvollendet wie Statuen, sie haben eine Haltung wie Königinnen. Niemand, ausser dem Maler Leopold Robert, an den einige von Heyse's italienischen Arbeiten erinnern, hat meines Wissens einen so bewussten Stil in der Zeichnung von Bauern und Fischern an den Tag gelegt. Und wie die Formen der äusseren Gestalt, so sind diejenigen des Gemüthslebens stilvoll. Wenn der Ausdruck nicht allzu gewagt wäre, möchte ich sagen, dass Heyse die Liebe plastisch schildert. Die Romantiker fassten sie immer lyrisch auf. Vergleicht man aber die Liebesnovellen Heyse's mit romantischen Liebesnovellen, so wird man finden, dass, während die Romantiker ihre Stärke darin haben, die romantische Entzücktheit als solche zu analysiren und den seltsamsten, sonst namenlosen Stimmungen Namen zu geben, sich bei Heyse gleich jedes psychologische Moment in einer Miene oder Geberde spiegelt; Alles wird bei ihm gleich Anschauung und sichtbares Leben.

      VI

      Ich bemerkte, dass die Fähigkeit, Gestalten festzuhalten und zu idealisiren, den einen Ausgangspunkt der Phantasie dieses Dichters bilde. Sie hat noch einen andern. Gewiss fast eben so ursprünglich wie seine Fähigkeit, Charaktere darzustellen, ist seine Lust „Abenteuer“ zu erleben und zu erdichten. Unter Abenteuern verstehe ich Begebenheiten eigenthümlicher, ungewöhnlicher Art, die – was bei wirklichen Abenteuern fast nie der Fall ist – eine sichere Kontur, einen so bestimmten Anfang, Mitte und Schluss haben, dass sie der Phantasie wie ein von einem Rahmen umschlossenes Kunstwerk erscheinen. Aus irgend einer äusseren oder inneren Beobachtung – dem Bruchstück eines Traumes, einer Begegnung auf der Strasse, dem Anblick der mittelalterlichen Thürme einer alten Stadt im Abendsonnenschein – entspringt ihm durch die rapideste Ideenassociation eine Geschichte, eine Verkettung von Begebenheiten, und da er so streng künstlerisch angelegt ist, nimmt diese Begebenheitsreihe stets eine rhythmische Form an. Sie hat deutliche, feste Umrisse und inneres Gleichgewicht wie die Gestalten. Sie hat ihr Knochengerüst, ihre Fleischesfülle, vor Allem ihre wohlmarkirte und schlanke Taille. Die Fähigkeit, eine Geschichte in knapper und geschlossener Form mitzutheilen, sie so zu sagen harmonisch zu rhythmisiren, entspringt unmittelbar aus Heyse's durch und durch harmonischer Natur. Die Novellenform, wie er sie zugeschnitten und ciselirt hat, ist eine völlig originale und selbständige Schöpfung, sein wahres Eigenthum. Darum ist er auch besonders durch die Prosanovelle populär geworden. Seine Novelle hat immer äusserst wenige und einfache Factoren, die Anzahl der Personen ist gering, die Handlung gedrängt und mit einem einzigen Blick überschaubar. Aber die Fabel ist nicht allein um der Personen willen da, wie in den modernen französischen Novellen, die nur ein psychologisches oder physiologisches Interesse befriedigen wollen; sie hat ihren eigenthümlichen Entwicklungsgang und ihr selbständiges Interesse. Eine Novelle wie die durch die altväterliche Anmuth des Stils so reizende „Abendscene“ Christian Winther's19 hat den Mangel, dass nichts in ihr geschieht. Die Novelle ist bei Heyse nicht ein kleines Zeitbild oder Genrebild; es geschieht Etwas, und es geschieht immer etwas Unerwartetes. Die Handlung ist in der Regel so angelegt, dass an einem gewissen Punkt ein unvorhergesehener Umschlag eintritt, eine Ueberraschung, die, wenn der Leser zurückdenkt, sich immer als in dem Vorhergehenden gründlich und sorgfältig motivirt erweist. An diesem Punkt spitzt sich die Handlung zu; hier laufen ihre Fäden in einen Knoten zusammen, aus welchem sie in entgegengesetzter Richtung sich weiter spinnen. Der Genuss des Lesers beruht auf der Kunst, womit der Zweck, den die Handlung erstrebt, gradweise immer mehr und mehr verschleiert und verdeckt wird, bis die Hülle plötzlich fällt. Seine Ueberraschung beruht auf der Gewandtheit, mit welcher er anscheinend mehr und mehr von dem gerade über dem Ausgangspunkt liegenden Endpunkte entfernt wird, bis er schliesslich entdeckt, dass er in einer Spirallinie geführt worden ist und sich direkt über dem Punkte befindet, wo die Erzählung anfing.

      Heyse hat selbst in der Einleitung zu seinem „Deutschen Novellenschatz“ sich über das Princip ausgesprochen, dem er in der Novellencomposition huldigt. Hier wie in der Einleitung zur „Stickerin von Treviso“, macht er denen gegenüber, die das ganze Gewicht auf Stil und Vortrag legen wollen, darauf aufmerksam, dass die Erzählung als Erzählung, was Kinder die Geschichte nennen, doch die nothwendige Grundlage der Novelle ist und bleibt und ihre eigenartige Schönheit hat. Er betont, dass er nach seiner Aesthetik der Novelle den Vorzug gebe, deren Grundmotiv sich am deutlichsten abrundet und – mehr oder weniger gehaltvoll – etwas Eigenartiges, Specifisches schon in der ersten Anlage verräth. „Eine starke Silhouette“, fährt er fort, „dürfte dem, was wir im eigentlichen Sinn Novelle nennen, nicht fehlen“.20 Mit dem Ausdruck Silhouette meint Heyse den Grundriss der Geschichte, wie eine gedrängte Inhaltsangabe ihn nachweist, und er veranschaulicht durch ein treffendes Beispiel und eine treffende Bezeichnung seinen Gedanken. Er führt die Inhaltsangabe einer Novelle Boccaccio's an:

      „Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden; in ritterlicher Werbung verschwendet er all' seine Habe und behält nur noch einen einzigen Falken; diesen, da die von ihm geliebte Dame zufällig sein Haus besucht und er sonst nichts hat, ihr ein Mahl zu bereiten, setzt er ihr bei Tische vor. Sie erfährt, was er gethan, ändert plötzlich ihren Sinn und belohnt seine Liebe, indem sie ihn zum Herrn ihrer Hand und ihres Vermögens macht“.

      Heyse hebt hervor, dass in diesen wenigen Zeilen alle Elemente einer rührenden und erfreulichen Novelle liegen, in der das Schicksal zweier Menschen durch eine äussere Zufallswendung, die aber die Charaktere tiefer entwickelt, auf's liebenswürdigste sich vollendet, und er fordert darum auch den modernen Erzähler auf, selbst bei dem innerlichsten oder reichhaltigsten Stoffe sich zuerst zu fragen, wo „der Falke“ sei, das Specifische, das diese Geschichte von tausend andern unterscheidet.

      Er hat in der Forderung, die er an die Novelle richtet, insbesondere die Aufgabe charakterisirt, die er sich selbst gestellt und die er erfüllt hat. Er zieht den bizarren Fall dem typisch alltäglichen vor. Man kann in der Regel so sicher sein in seinen Prosaerzählungen einen „Falken“ zu finden, wie jener Untersuchungsrichter es war, hinter jedem Verbrechen eine Frau zu entdecken. In „L'Arrabbiata“ ist der Biss in die Hand der „Falke“, im „Bild der Mutter“ die Entführung, in „Vetter Gabriel“ der aus dem „Briefsteller für Liebende“ abgeschriebene Brief. Der Leser kann, wenn er selbst bei Heyse nach besagtem wilden Vogel suchen will, sich einen Einblick in die Compositionsweise des Dichters verschaffen. Nicht immer ist er so leicht zu fangen, wie in den angeführten Fällen. Mit einer Erfindsamkeit, einer behenden Grazie, die bei einem Nicht-Romanen äusserst selten ist, hat Heyse es verstanden, den Knoten der Ereignisse zu schürzen und zu entwirren, das psychologische Problem zu stellen und zu lösen, das er in der Novelle isolirt. Er vermag den einzelnen eigenthümlichen Fall rein und scharf novellistisch von dem allgemeinen Cultur- und Gesellschaftszustande, in welchem er ein Glied ist, abzuheben, ohne wie die romantischen Novellendichter, den Vorgang ins Unwirkliche und Märchenhafte hinüberspielen und ohne ihn jemals in eine blos epigrammatische Pointe auslaufen zu lassen. Seine Novellen sind weder kurze Romane, noch lange Anekdoten. Sie haben zugleich Fülle und streng geschlossene Form. Und so knapp diese Form auch ist, hat sie sich geschmeidig genug erwiesen, um den verschiedenartigsten Stoff in sich aufnehmen zu können. Die Novelle Heyse's schlägt viele