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Deutsche Humoristen, Zweiter Band
Vorwort
Der 3. Band der »Hausbücherei« (Deutsche Humoristen 1. Band) hat so überaus großen Anklang gefunden, daß kaum drei Monate nach Erscheinen die erste Auflage von 5000 Exemplaren auf die Neige ging, die Herstellung einer zweiten Auflage mithin sofort notwendig wurde. So hat denn die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung beschlossen, aus der deutschen humoristischen Literatur noch weitere Schätze in ihre »Hausbücherei« aufzunehmen und die Sammlung »Deutsche Humoristen« zunächst um zwei weitere Bände zu vermehren.
Der vorliegende 2. Band zieht drei schöne Stücke aus der Literatur des beginnenden 19. Jahrhunderts hervor, der 3. Band ist zeitgenössischen Dichtern gewidmet.
Clemens Brentano:
Die mehreren Wehmüller oder ungarische Nationalgesichter
Clemens Brentano wurde am 8. September 1778 in Ehrenbreitstein geboren, sollte wider Willen Kaufmann werden, besuchte später eine höhere Schule und führte von 1797 an ein Leben, das ihn unstät durch viele deutsche Lande trieb. Er starb am 28. Juli 1842 in Aschaffenburg.
Reiche dichterische Begabung, lebhafte Einbildungskraft, Gefühlstiefe verleihen seinen Werken einen eigenen Reiz, der nur zuweilen durch den Mangel an Beharrlichkeit beeinträchtigt wird, der manches schön Begonnene verflachen oder zerfließen läßt. Sein schönstes Werk ist die »Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl«, ein Vorbote unserer Dorfgeschichten. Auch das reizende Märchen »Gockel, Hinkel und Gackeleia« wird noch heute gern gelesen. Um die deutsche Literatur hat sich Brentano durch die gemeinschaftlich mit Achim von Arnim unternommene Herausgabe von »Des Knaben Wunderhorn«, einer Sammlung der schönsten deutschen Volkslieder (1806, seitdem vielfach gedruckt), unsterbliche Verdienste erworben.
Seine Erzählung »Die mehreren Wehmüller« zeigt den sprühenden Witz, den die Zeitgenossen an ihm bewunderten. Die Lebhaftigkeit der Zeichnung wird durch den Reichtum lustiger Einfälle erhöht; aber auch die Vorliebe für das Seltsame, die alle Romantiker kennzeichnet, tritt stark hervor.
Gegen Ende des Sommers, während der Pest in Kroatien, hatte Herr Wehmüller, ein reisender Maler, von Wien aus einen Freund besucht, der in dieser österreichischen Provinz als Erzieher auf dem Schlosse eines Grafen Giulowitsch lebte. Die Zeit, welche ihm seine Geschäfte zu dem Besuch erlaubten, war vorüber. Er hatte von seiner jungen Frau, welche ihm nach Siebenbürgen vorausgereist war, einen Brief aus Stuhlweißenburg erhalten, daß er sie nicht mehr länger allein lassen möge; es erwarte ihn das Offizier-Korps des dort liegenden hochlöblichen ungarischen Grenadier- und Husaren-Regiments sehnsüchtig, um von seiner Meisterhand gemalt sich in dem Andenken mannigfaltiger schöner Freundinnen zu erhalten, da ein naher Garnisonswechsel manches engverknüpfte Liebes- und Freundschaftsband zu zerreißen drohte. Dieser Brief brachte den Herrn Wehmüller in große Unruhe, denn er war viermal so lange unterwegs geblieben als gewöhnlich, und dermaßen durch die Quarantaine zerstochen und durchräuchert worden, daß er die ohnedies nicht allzuleserliche Hand seiner guten Frau, die mit oft gewässerter Tinte geschrieben hatte, nur mit Mühe lesen konnte. Er eilte in die Stube seines Freundes Lury und sagte zu ihm: »Ich muß gleich auf der Stelle fort nach Stuhlweißenburg, denn die hochlöblichen Grenadier- und Husaren-Regimenter sind im Begriffe von dort abzuziehen; lesen Sie, der Brief ist an fünf Wochen alt.« Der Freund verstand ihn nicht, nahm aber den Brief und las. Wehmüller lief sogleich zur Stube hinaus und die Treppe hinab in die Hauskapelle, um zu sehen, ob er die neununddreißig Nationalgesichter, welche er in Öl gemalt und dort zum Trocknen aufgehängt hatte, schon ohne große Gefahr des Verwischens zusammenrollen könne. Ihre Trockenheit übertraf alle seine Erwartung, denn er malte mit Terpentinfirnis, welcher trocken wird, ehe man sich umsieht. Was übrigens diese neununddreißig Nationalgesichter betrifft, hatte es mit ihnen folgende Bewandtnis: sie waren nichts mehr und nichts weniger als neununddreißig Porträts von Ungarn, welche Herr Wehmüller gemalt hatte, ehe er sie gesehen. Er pflegte solcher Nationalgesichter immer ein halb Hundert fertig bei sich zu führen. Kam er in einer Stadt an, wo er Gewinn durch seine Kunst erwartete, so pflegte er öffentlich ausschellen oder austrommeln zu lassen: der bekannte Künstler, Herr Wehmüller, sei mit einem reich assortierten Lager wohlgetroffener Nationalgesichter angelangt und lade diejenigen unter einem hochedlen Publikum, welche ihr Porträt wünschten, untertänigst ein, sich dasselbe, Stück vor Stück zu einem Dukaten in Gold, selbst auszusuchen. Er fügte sodann noch, durch wenige Meisterstriche einige persönliche Züge und Ehrennarben, oder die Individualität des Schnurrbarts des Käufers unentgeltlich bei, für die Uniform aber, welche er immer ausgelassen hatte, mußte nach Maßgabe ihres Reichtumes nachgezahlt werden.
Er hatte diese Verfahrungsart auf seinen Kunstreisen als die befriedigendste für sich und die Käufer gefunden. Er malte die Leute nach Belieben im Winter mit aller Bequemlichkeit zu Haus, und brachte sie in der schönen Jahreszeit zu Markte. So genoß er des großen Trostes, daß keiner über Unähnlichkeit oder langes Sitzen klagen konnte, weil sich jeder sein Bildnis fertig nach bestimmtem Preise, wie einen Weck aus dem Laden, selbst aussuchte. Wehmüller hatte seine Gattin vorausgeschickt, um seine Ankunft in Stuhlweißenburg vorzubereiten, während er seinen Vorrat von Porträts bei seinem Freunde Lury zu der gehörigen Menge brachte. Er mußte diesmal in vollem Glanze auftreten, weil er in einer Zeitung gelesen: ein Maler Froschhauer aus Klagenfurt habe dieselbe Kunstreise vor. Dieser aber war bisher sein Antagonist und Nebenbuhler gewesen, wenn sie sich gleich nicht kannten, denn Froschhauer war von der entgegengesetzten Schule; er hatte nämlich immer alle Uniformen voraus fertig, und ließ sich für die Gesichter extra bezahlen. – Schon hatte Wehmüller die neununddreißig Nationalgesichter zusammengerollt, in eine große weite Blechbüchse gesteckt, in welcher auch seine Farben und Pinsel, ein paar Hemden, ein Paar gelbe Stiefelstulpen und eine Haarlocke seiner Frau Platz fanden; schon schnallte er sich diese Büchse mit zwei Riemen, wie einen Tornister, auf den Rücken, als sein Freund Lury hereintrat und ihm den Brief mit den Worten zurückgab: »Du kannst nicht reisen, soeben hat ein Bauer hier auf dem Hofe erzählt, daß er vor einigen Tagen einen Fußreisenden begleitet habe, und daß dieser der letzte Mensch gewesen sei, der über die Grenze gekommen, denn auf seinem Rückwege hierher habe er, der Bote, schon alle Wege vom Pest-Cordon besetzt gefunden.« Wehmüller aber ließ sich nicht mehr zurückhalten. Er schob seine Palette unter den Wachstuchüberzug auf seinen runden Hut, wie die Bäcker in den Zipfel ihrer gestrickten spitzen Mützen eine Semmel zu stecken pflegen, und begann seinen Reisestab zusammen zu richten, der ein wahres Wunder der Mechanik, wenn ich mich nicht irre, von der Erfindung des Mechanikus Eckler in Berlin war, denn er enthielt erstens: sich selbst, nämlich einen Reisestock; zweitens: nochmals sich selbst, einen Malerstock; drittens: nochmals sich selbst, einen Meßstock; viertens: nochmals sich selbst, ein Richtscheit; fünftens: nochmals sich selbst, ein Blaserohr; sechstens: nochmals sich selbst, ein Tabakspfeifenrohr; siebentens: nochmals sich selbst, einen Angelstock; darin aber waren noch ein Stiefelknecht, ein Barometer, ein Thermometer, ein Perspektiv, ein Zeichenstuhl, ein chemisches Feuerzeug, ein Reißzeug, ein Bleistift und das Brauchbarste von allem: eine approbierte hölzerne Hühneraugenfeile angebracht; das Ganze aber war so eingerichtet, daß man die Masse des Inhaltes, durch den Druck einer Feder, aus diesem Stocke wie aus einer Windbüchse seinem Feind auf den Leib schießen konnte. Während Wehmüller diesen Stock zusammenrichtete, machte Lury ihm die lebhaftesten Vorstellungen wegen der Gefahr seiner Reise, aber er ließ sich nicht halten. »So rede wenigstens mit dem Bauer selbst,« sprach Lury. Das war Wehmüller zufrieden und ging, ganz zum Abmarsche fertig, hinab. Kaum aber waren sie in die Schenke getreten, als der Bauer zu ihm trat und ihm den Ärmel küssend sagte: »Nu, gnädiger Herr, wie kommen wir schon wieder zusammen? Sie hatten ja eine solche Eile nach Stuhlweißenburg, daß ich glaubte, Euer Gnaden müßten bald dort sein.« Wehmüller verstand den Bauer nicht, der ihm versicherte: daß er ihn mit derselben blechernen Büchse auf dem Rücken, und demselben langen Stocke in der Hand, nach der ungarischen Grenze geführt habe, und zwar zu rechter Zeit, weil kurz nachher der Weg vom Pest-Cordon geschlossen worden sei, wobei der Mann ihm eine Menge einzelne Vorfälle der Reise erzählte, von welchen, wie vom Ganzen, Wehmüller nichts begriff. Da aber endlich der Bauer ein kleines Bild hervorzog mit den Worten: »Haben Euer Gnaden mir dieses Bildchen, daß in Ihrer Büchse keinen Platz fand, nicht zu