wird. Und zurückzuschauen, davor graut mir einfach! Dort liegt soviel Leid und Qual, daß das Herz mir schon bei der bloßen Erinnerung brechen will. Mein Leben lang werde ich unter Tränen die Menschen anklagen, die mich zugrunde gerichtet haben. Diese schrecklichen Menschen!
Es dunkelt schon. Es ist Zeit, daß ich mich wieder an die Arbeit mache. Ich würde Ihnen gern noch vieles schreiben, doch diesmal geht es nicht: die Arbeit muß zu einem bestimmten Tage fertig werden. Da muß ich mich beeilen. Briefe zu erhalten ist natürlich immer angenehm: es ist dann doch nicht so langweilig. Aber weshalb kommen Sie nicht selbst zu uns? Wirklich, warum nicht, Makar Alexejewitsch? Wir wohnen ja jetzt so nahe, und soviel freie Zeit werden Sie doch wohl haben. Also bitte, besuchen Sie uns! Ich sah heute Ihre Theresa. Sie sieht ganz krank aus. Sie hat mir so leid getan, daß ich ihr zwanzig Kopeken gab.
Ja, fast hätte ich es vergessen: schreiben Sie mir unbedingt alles möglichst ausführlichst – wie Sie leben, was um Sie herum vorgeht – alles! – Was es für Leute sind, die dort wohnen, und ob Sie auch in Frieden mit ihnen auskommen? Ich möchte das alles sehr gern wissen. Also vergessen Sie es nicht, schreiben Sie es unbedingt! Heute werde ich unabsichtlich ganz gewiß keinen Zipfel des Vorhanges anstecken. Gehen Sie früher schlafen. Gestern sah ich noch um Mitternacht Licht bei Ihnen. Und nun leben Sie wohl. Heute ist wieder alles da: Trauer und Trübsal und Langeweile! Es ist nun einmal so ein Tag! Leben Sie wohl.
Ja, mein Kind, ja, meine Liebe, es muß wohl wieder einmal so ein Tag sein, wie er einem vom Schicksal öfter beschieden ist! Da haben Sie sich nun über mich Alten lustig gemacht, Warwara Alexejewna! Uebrigens bin ich selbst daran schuld, ich ganz allein! Wer hieß mich auch, in meinem Alter, mit meinem spärlichen Haarrest auf dem Schädel, auf Abenteuer ausgehen… Und noch eins muß ich sagen, mein Kind: der Mensch ist bisweilen doch sonderbar, sehr sonderbar. Oh du lieber Gott! auf was er mitunter nicht zu sprechen kommt! Was aber folgt daraus, was kommt dabei schließlich heraus? Ja, folgen tut daraus nichts, aber heraus kommt dabei ein solcher Unsinn, daß Gott uns behüte und bewahre! Ich, mein Kind, ich ärgere mich ja nicht, aber es ist mir sehr unangenehm, jetzt daran zurückzudenken, was ich Ihnen da alles so glücklich und dumm geschrieben habe. Und auch zum Dienst ging ich heute so stolz und stutzerhaft: es war solch ein Leuchten in meinem Herzen, war so wie ein Feiertag in der Seele, und doch ganz ohne allen Grund, – so frohgemut war ich! Mit förmlicher Schaffensgier machte ich mich an die Arbeit, an die Papiere – und was wurde schließlich daraus? Als ich mich dann umsah, war wieder alles so wie früher – grau und nüchtern. Ueberall dieselben Tintenflecke, wie immer dieselben Tische und Papiere, und auch ich ganz derselbe: wie ich war, genau so bin ich auch geblieben, – was war da für ein Grund vorhanden, den Pegasus zu reiten? Und woher war denn alles gekommen? Daher, daß die Sonne einmal durch die Wolken geschaut und der Himmel sich heller gefärbt hatte. Nur deshalb – dies alles? Und was können das für Frühlingsdüfte sein, wenn man auf einen Hof hinaussieht, auf dem aller Unrat der Welt zu finden ist! Da muß ich mir also nur so aus Albernheit alles eingebildet haben. Aber es kommt doch bisweilen vor, daß ein Mensch sich in seinen eigenen Gefühlen verwirrt und in die Weite schweift und Unsinn redet. Das kommt von nichts anderem, als von alberner Hitzigkeit, in der das Herz eine Rolle spielt. Nach Hause kam ich nicht mehr wie andere Menschen, sondern schleppte mich heim: der Kopf schmerzte. Das kommt dann schon so: eins zum anderen. Ich muß wohl meinen Rücken erkältet haben. Ich hatte mich, recht wie ein alter Esel, über den Frühling gefreut und war im leichten Mantel ausgegangen. Auch das noch! In meinen Gefühlen aber haben Sie sich getäuscht, meine Liebe! Sie haben meine Aeußerungen in einem ganz anderen Sinn aufgefaßt. Nur um väterliche Zuneigung handelt es sich, Warinka, denn ich nehme bei Ihnen, in Ihrer bitteren Verwaistheit, die Stelle Ihres Vaters ein, das sage ich aus reiner Seele und aus reinem Herzen. Wie es auch sei: ich bin doch immerhin Ihr Verwandter, wenn auch nur ein ganz entfernter Verwandter, vielleicht wie das Sprichwort sagt: das siebente Wasser in der Suppe, aber immerhin: Ihr Verwandter bleibe ich dennoch, und jetzt bin ich sogar Ihr bester Verwandter und einziger Beschützer. Denn dort, wo es am nächsten lag, daß Sie Schutz und Beistand suchten, dort fanden Sie nur Verrat und Schmach. Was aber die Gedichte betrifft, so muß ich Ihnen sagen, mein Kind, daß es sich für mich nicht schickt, mich auf meine alten Tage noch im Dichten zu üben. Gedichte sind Unsinn! Heute werden in den Schulen die Kinder geprügelt, wenn sie dichten… da sehen Sie, was Dichten ist, meine Liebe.
Was schreiben Sie mir da, Warwara Alexejewna, von Bequemlichkeit, Ruhe und was nicht noch alles? Mein Kind, ich bin nicht anspruchsvoll, ich habe niemals besser gelebt, als jetzt: weshalb sollte ich jetzt anfangen zu mäkeln? Ich habe zu essen, habe Kleider und Schuh – was will man mehr? Nicht uns steht es zu, Gott weiß was für Sprünge zu machen! – bin nicht von vornehmer Herkunft! Mein Vater war kein Adliger und bezog mit seiner ganzen Familie ein geringeres Gehalt, als ich. Ich bin nicht verwöhnt. Uebrigens, wenn man ganz aufrichtig die Wahrheit sagen soll, so war ja wirklich in meiner früheren Wohnung alles unvergleichlich besser. Man war freier, unabhängiger, gewiß, mein Kind. Natürlich ist auch meine jetzige Wohnung gut, ja sie hat in gewisser Hinsicht sogar ihre Vorzüge: es ist hier lustiger, wenn Sie wollen, es gibt mehr Abwechslung und Zerstreuung. Dagegen will ich nichts sagen, aber es tut mir doch leid um die alte. So sind wir nun einmal, wir alten Leute, das heißt, wenn wir Menschen schon anfangen, älter zu werden. Die alten Sachen, an die wir uns gewöhnt haben, sind uns schließlich wie verwandt. Die Wohnung war, wissen Sie, ganz klein und gemütlich. Ich hatte ein Zimmerchen für mich. Die Wände waren… ach nun, was soll man da reden! – Die Wände waren wie alle Wände sind, nicht um die Wände handelt es sich, aber die Erinnerungen an all das Frühere, die machen mich etwas wehmütig… Sonderbar – sie bedrücken, aber dennoch ist es, als wären sie angenehm, als dächte man selbst doch gern an all das Alte zurück. Sogar das Unangenehme, worüber ich mich bisweilen geärgert habe, sogar das erscheint jetzt in der Erinnerung wie von allem Schlechten gesäubert und ich sehe es im Geiste nur noch als etwas Trautes, Gutes. Wir lebten ganz still und friedlich, Warinka, ich und meine Wirtin, die selige Alte. Ja, auch an die Gute denke ich jetzt mit traurigen Gefühlen zurück. Sie war eine brave Frau und nahm nicht viel für das Zimmerchen. Sie strickte immer aus alten Zeugstücken, die sie in schmale Bänder zerschnitt, mit ellenlangen Stricknadeln Bettdecken, damit allein beschäftigte sie sich. Das Licht benutzten wir gemeinschaftlich, deshalb arbeiteten wir abends an demselben Tisch. Ein Enkelkindchen lebte bei ihr, Mascha, ich erinnere mich ihrer noch, wie sie ganz klein war – jetzt wird sie dreizehn sein, schon ein großes Mädchen. Und so unartig war sie, so ausgelassen, immer brachte sie uns zum Lachen. So lebten wir denn zu dreien, saßen an langen Winterabenden am runden Tisch, tranken unseren Tee, und dann machten wir uns wieder an die Arbeit. Die Alte begann oft Märchen zu erzählen, damit Mascha sich nicht langweile oder auch, damit sie nicht unartig sei. Und was das für Märchen waren! Da konnte nicht nur ein Kind, nein, auch ein erwachsener, vernünftiger Mensch konnte da zuhören. Und wie! Ich selbst habe oft, wenn ich mein Pfeifchen angeraucht hatte, aufgehorcht, habe mit Spannung zugehört und die ganze Arbeit darüber vergessen. Das Kindchen aber, unser Wildfang, wurde ganz nachdenklich, stützte das rosige Bäckchen in die Hand, öffnete seinen kleinen Kindermund und horchte mit großen Augen; und wenn es ein Märchen zum Fürchten war, dann schmiegte es sich immer näher, immer angstvoller an die Alte an. Uns aber war es eine Lust, das Kindchen zu betrachten. Und so saß man oft und bemerkte gar nicht, wie die Zeit verging, und vergaß ganz, daß draußen der Schneesturm wütete. –
Ja, das war ein gutes Leben, Warinka, und so haben wir fast ganze zwanzig Jahre gemeinsam verlebt. – Doch wovon rede ich da wieder! Ihnen werden solche Geschichten vielleicht gar nicht gefallen und mir sind diese Erinnerungen auch nicht so leicht, – namentlich jetzt in der Dämmerung. Theresa klappert dort mit dem Geschirr – ich habe Kopfschmerzen, auch mein Rücken schmerzt ein wenig, und die Gedanken sind alle so seltsam, als schmerzten sie gleichfalls: ich bin heute traurig gestimmt, Warinka!
Was schreiben Sie da von besuchen, meine Gute? Wie soll ich denn zu Ihnen kommen? Mein Täubchen, was werden die Leute dazu sagen? Da müßte ich doch über den Hof gehen, das würde man bemerken und dann fragen, – da gäbe es denn ein Gerede und daraus entstünden Klatschgeschichten und man würde die Sache anders deuten. Nein, mein Engelchen, es ist schon besser, wenn ich Sie morgen bei der Abendmesse sehe;