Johann Gottlieb Fichte

Reden an die deutsche Nation


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Begriff, wenn er ihnen klar geworden wäre, nicht also, sondern anders hätten bezeichnen müssen. Es würde sodann auch ihr Vorzug in geistiger Klarheit erhellen etwa vor einem andern Volke, das den Unterschied zwischen Sinnlichem und Uebersinnlichem nicht durch ein aus dem besonnenen Zustande des Wachens hergenommenes Sinnbild habe bezeichnen können, sondern zum Traume seine Zuflucht genommen, um ein Bild für eine andre Welt zu finden; zugleich würde einleuchten, daß dieser Unterschied nicht etwa durch die größere oder geringere Stärke des Sinns fürs Uebersinnliche in den beiden Völkern, sondern daß er lediglich durch die Verschiedenheit ihrer sinnlichen Klarheit, damals, als sie Uebersinnliches bezeichnen wollten, begründet sei.

      So richtet alle Bezeichnung des Uebersinnlichen sich nach dem Umfange und der Klarheit der sinnlichen Erkenntnis desjenigen, der da bezeichnet. Das Sinnbild ist ihm klar, und drückt ihm das Verhältnis des Begriffenen zum geistigen Werkzeuge vollkommen verständlich aus, denn dieses Verhältnis wird ihm erklärt durch ein andres unmittelbar lebendiges Verhältnis zu seinem sinnlichen Werkzeuge. Diese also entstandene neue Bezeichnung, mit aller der neuen Klarheit, die durch diesen erweiterten Gebrauch des Zeichens die sinnliche Erkenntnis selber bekommt, wird nun niedergelegt in der Sprache; und die mögliche künftige übersinnliche Erkenntnis wird nun nach ihrem Verhältnisse zu der ganzen in der gesamten Sprache niedergelegten übersinnlichen und sinnlichen Erkenntnis bezeichnet; und so geht es ununterbrochen fort; und so wird denn die unmittelbare Klarheit und Verständlichkeit der Sinnbilder niemals abgebrochen, sondern sie bleibt ein stetiger Fluß. – Ferner, da die Sprache nicht durch Willkür vermittelt, sondern als unmittelbare Naturkraft aus dem verständigen Leben ausbricht, so hat eine ohne Abbruch nach diesem Gesetze fortentwickelte Sprache auch die Kraft, unmittelbar einzugreifen in das Leben und dasselbe anzuregen. Wie die unmittelbar gegenwärtigen Dinge den Menschen bewegen, so müssen auch die Worte einer solchen Sprache den bewegen, der sie versteht, denn auch sie sind Dinge, keineswegs willkürliches Machwerk. So zunächst im Sinnlichen. Nicht anders jedoch auch im Uebersinnlichen. Denn obwohl in Beziehung auf das letztere der stetige Fortgang der Naturbeobachtung durch freie Besinnung und Nachdenken unterbrochen wird, und hier gleichsam der unbildliche Gott eintritt, so versetzt dennoch die Bezeichnung durch die Sprache das Unbildliche auf der Stelle in den stetigen Zusammenhang des Bildlichen zurück; und so bleibt auch in dieser Rücksicht der stetige Fortgang der zuerst als Naturkraft ausgesprochenen Sprache ununterbrochen, und es tritt in den Fluß der Bezeichnung keine Willkür ein. Es kann darum auch dem übersinnlichen Teile einer also stetig fortentwickelten Sprache seine Leben anregende Kraft auf den, der nur sein geistiges Werkzeug in Bewegung setzt, nicht entgehen. Die Worte einer solchen Sprache in allen ihren Teilen sind Leben und schaffen Leben. – Machen wir auch in Rücksicht der Entwicklung der Sprache für das Uebersinnliche die Voraussetzung, daß das Volk dieser Sprache in ununterbrochener Mitteilung geblieben, und daß, was einer gedacht und ausgesprochen, bald an alle gekommen, so gilt, was bisher im allgemeinen gesagt worden, für alle, die diese Sprache reden. Allen, die nur denken wollen, ist das in der Sprache niedergelegte Sinnbild klar; allen, die da wirklich denken, ist es lebendig und anregend ihr Leben.

      So verhält es sich, sage ich, mit einer Sprache, die von dem ersten Laute an, der in demselben Volke ausbrach, ununterbrochen aus dem wirklichen gemeinsamen Leben dieses Volkes sich entwickelt hat, und in die niemals ein Bestandteil gekommen, der nicht eine wirklich erlebte Anschauung dieses Volks und eine mit allen übrigen Anschauungen desselben Volks im allseitig eingreifenden Zusammenhange stehende Anschauung ausdrückte. Lasset dem Stammvolke dieser Sprache noch so viele einzelne andern Stammes und andrer Sprache einverleibt werden; wenn es diesen nur nicht verstattet wird, den Umkreis ihrer Anschauungen zu dem Standpunkte, von welchem von nun an die Sprache sich fortentwickle, zu erheben, so bleiben diese stumm in der Gemeinde und ohne Einfluß auf die Sprache, so lange, bis sie selbst in den Umkreis der Anschauung des Stammvolks hineingekommen sind, und so bilden nicht sie die Sprache, sondern die Sprache bildet sie.

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      Diese Reden sind im Jahre 1808 zum erstenmal im Druck erschienen.

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Diese Reden sind im Jahre 1808 zum erstenmal im Druck erschienen.