wieder zurückrief.
»Ach nein, bleib' da,« sagte sie, »ich habe ihn weggeschlossen.«
»Wenn Du mir den Schlüssel giebst, Mama, hol' ich ihn.«
»Nein, ich gehe selber, Du reißt mir sonst meine Papiere durch einander,« – und von dem Sopha aufstehend, ging sie in ihre Kammer, aus der sie gleich wieder mit dem gelb couvertirten Briefe zurückkam.
»Da,« sagte sie, indem sie der Tochter den Brief in den Schooß warf, »nun lies selber, was die Präsidentin schreibt. Danach werden Sie sich ebenfalls überzeugen, lieber Arno, daß wir wirklich gar nicht besser thun können, als nach der Insel überzusiedeln. Die Kosten sind unbedeutend, und wir bringen in zwei Monaten reichlich die möglichen Mehr-Ausgaben wieder ein. Ehe wir aber diese Reise zusammen machen, werden Sie selber einsehen, daß es nöthig ist die Trauung vorher zu halten – schon des Geredes der Leute wegen. Nun, lies nur laut, Helene, Arno soll ebenfalls wissen, wie die Präsidentin über unseren Umzug denkt. Sie ist unendlich liebenswürdig, und bietet uns sogar an in ihrem Hause zu wohnen, bis wir uns eine eigene Wohnung hergerichtet haben.«
Helene hatte den Brief überflogen, und sah jetzt darüber hinaus ihre Mutter groß und starr an.
»Nun, was hast Du denn? So lies doch! Die Präsidentin schreibt doch eine ganz leserliche Hand. Aber ich vergaß – der Brief ist ja portugiesisch, und Sie verstehen ihn nicht, Arno – gieb ihn mir, ich werde ihn übersetzen.«
»Der Brief hier,« sagte Helene mit fast tonloser Stimme, ohne ihn aus der Hand zu geben, oder ein Auge von ihrer Mutter zu verwenden, »ist nicht von Santa Catharina.«
»Nicht von Santa Catharina?« rief die Gräfin, sich erschreckt halb vom Sopha hebend – »dann – dann habe ich die Couverts verwechselt – gieb ihn mir – gieb ihn mir!« – und in einer Aufregung, die besonders Herrn von Pulteleben staunen machte, streckte sie die Hand nach dem Briefe aus.
»Laß ihn mir noch eine Weile, Mutter,« erwiederte aber Helene aufstehend – »er ist so interessant, daß ich ihn gern noch einmal lesen möchte – gute Nacht!« – und ehe sie die Mutter daran verhindern, oder der verblüffte Bräutigam ein Wort dagegen einwenden konnte, schritt sie durch die Stube in ihr dicht daran stoßendes Zimmer und riegelte die Thür hinter sich ab.
»Aber ich begreife gar nicht,« sagte Herr von Pulteleben, ebenfalls aufstehend und seine Schwiegermutter in spe etwas verdutzt ansehend – »was hat nur Helene? Sie war ja auf einmal so furchtbar ernst geworden?«
Die Gräfin wollte Etwas darauf erwiedern – wollte Herrn von Pulteleben eine ausweichende Antwort geben, aber sie vermochte es in diesem Augenblick nicht.
»Ich bitte – lieber Arno – lassen Sie – lassen Sie mich jetzt allein,« sagte sie verstört – »ich habe mit dem Mädchen zu reden – Sie – Sie wissen, welche wunderlichen Launen sie hat.«
»Ich möchte um Gottes willen nicht stören,« sagte der junge Mann, indem er seinen Hut ergriff – »es sollte mir unendlich leid thun, wenn ich vielleicht …«
»Es ist Nichts – Helene ist – ein verzogenes Kind.«
»Aber liebenswürdig verzogen,« lächelte Herr von Pulteleben in einem vollständig mißglückten Versuch, dem Gespräch eine freundlichere Richtung zu geben. Er fühlte selber, daß er in diesem Augenblick hier unten total überflüssig sei – wenn er auch noch lange nicht begriff weshalb, und in tiefen Gedanken stieg er die Treppe zu seinem eigenen Zimmer empor und legte sich zu Bett. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, und die Gräfin hörte ihn auf den knarrenden Stufen, als sie an Helenen's Thür ging, und dort – fast wie schüchtern – anklopfte.
»Helene!«
Keine Antwort von innen. Sie pochte stärker.
»Helene! – Mach' auf – laß uns vernünftig mit einander reden.«
Keine Antwort. Im Zimmer war Alles todtenstill, und doch konnte sie durch das Schlüsselloch erkennen, daß das Licht noch drinnen brannte.
»Helene! Sprich wenigstens mit mir!«
Kein Laut tönte von innen heraus, und seufzend wandte sich die Frau Gräfin endlich ab und suchte ihr eigenes Lager.
3. Auf Köhler's Chagra
Es war noch früh am Morgen des nächsten Tages, als schon in Bohlos' Hotel die Pferde für Herrn von Schwartzau und seinen Begleiter, so wie die nöthigen Packthiere gesattelt und vorgeführt wurden, denn Günther schien jetzt ernstlich gewillt, seine noch nöthigen Arbeiten aus allen Kräften vorzunehmen und zu beenden, um damit seine sechsjährige Thätigkeit in Brasilien abzuschließen.
Baron Jeorgy, welcher dem Hotel schräg gegenüber wohnte, hatte diese Zurüstungen gesehen, sich angezogen – er machte überhaupt jeden Morgen zu einer genau bestimmten Zeit einen genau bestimmten Spaziergang – und war hinuntergegangen, zögerte aber heute, seine gewöhnliche Bahn einzuschlagen, und hielt sich noch in der Nähe des Hotels auf, als ob er Jemanden erwarte.
Indem er in der Straße auf und ab ging und hier und da vor einer Thür oder einem Fenster stehen blieb, um mit den dort wohnenden Handwerkern ein paar huldvolle Worte zu wechseln – er zeigte sich gern herablassend, wo er genau wußte, daß er seiner Stellung Nichts vergab – kam er auch zu Pilger's Fenster, der dahinter still und allein bei seiner Arbeit saß, und den hineingerufenen Gruß freundlich aber nur kurz erwiederte.
»Nun, Pilger, wie geht's?« sagte der Baron, indem er seine Hand auf das Fensterbret legte – »immer so fleißig?«
»Muß wohl, Herr Baron,« sagte der Mann, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, »um das Bißchen Brod zu verdienen und – die Zeit todt zu schlagen. Was soll man anders thun?«
»Hm,« sagte der Baron, der mit dieser Ansicht vom »Zeit todt schlagen« nicht so ganz einverstanden schien – »ja – ist eigentlich ein einsames Leben in der Colonie.«
»Das weiß Gott!« seufzte der Mann aus voller Brust vor sich hin, und stach nur so viel eifriger in das Leder.
»Apropos,« fuhr der Baron fort, der durch den Seufzer an die Familienverhältnisse des Schuhmachers erinnert wurde – »Nichts wieder gehört von Eurem Proceß?«
»Mit der Geistlichkeit?«
»Ja.«
»Nicht das Geringste und – werde auch wohl Nichts wieder darüber hören, als daß Alles beim Alten bleibt. Der neue Director will so Nichts damit zu thun haben, weil er meint, gegen die Gesetze des Landes ließe sich nicht ankämpfen – der alte hätte mir vielleicht besser beigestanden. Der Herr Pastor zuckt ebenfalls mit den Schultern, da – hab' ich denn natürlich Unrecht, und kann meine Schuhe ruhig weiter flicken.«
»Böse Geschichte,« sagte der Baron, welchem das Gespräch unangenehm wurde – »sehr böse Geschichte! Na, guten Morgen, Pilger!«
»Guten Morgen, Herr Baron,« sagte der Mann, an sein Mützchen greifend, ohne jedoch weiter von dem Herrn Notiz zu nehmen.
Die Straße herunter kam ein anderer Colonist, der Schneider Berthold, der für den Baron arbeitete.
»Guten Morgen, Herr Baron! Wissen Sie's schon?« sagte der Mann, indem er vor dem Baron stehen blieb und seine Mütze abzog.
»Guten Morgen, Meister Berthold – ob ich was weiß?«
»Der Justus ist fort – der Kernbeutel, mein' ich, der andere Schneider – den verrückten Kerl haben Sie ja doch gekannt?«
»Fort? Wohin? Durchgegangen?«
»Niemand weiß es,« sagte der Mann. »Er war neulich Abends von Haus fortgegangen, um Zuhbel auf seiner Chagra zu besuchen, dort hat aber Niemand Etwas von ihm gesehen, und er ist auch seit der Zeit – es sind nun schon ein paar Tage her – nicht wieder nach Haus gekommen. Die Frau jammert nun und wehklagt, daß er sie ohne einen Groschen Geld habe sitzen lassen, und die Soldaten sind heute Morgen in der Nachbarschaft herumgeschickt, um nach ihm zu suchen, denn er ist Gott und der Welt schuldig, der Lump!«
»Hm, hm, hm, was man nicht Alles hört – guten Morgen, Meister!« sagte der Baron,