Immanuel Kant

Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen


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einschlägt, wird nicht darum so genannt, weil er, der Freuden des Lebens beraubt, sich in finsterer Schwermut härmt, sondern weil seine Empfindungen, wenn sie über einen gewissen Grad vergrößert würden oder durch einige Ursachen eine falsche Richtung bekämen, auf dieselbe leichter als einen andern Zustand auslaufen würden. Er hat vorzüglich ein Gefühl für das Erhabene. Selbst die Schönheit, für welche er ebensowohl Empfindung hat, muß ihn nicht allein reizen, sondern, indem sie ihm zugleich Bewunderung einflößt, rühren. Der Genuß der Vergnügen ist bei ihm ernsthafter, aber um deswillen nicht geringer. Alle Rührungen des Erhabenen haben mehr Bezauberndes an sich als die gaukelnden Reize des Schönen. Sein Wohlbefinden wird eher Zufriedenheit als Lustigkeit sein. Er ist standhaft. Um deswillen ordnet er seine Empfindungen unter Grundsätze. Sie sind desto weniger dem Unbestande und der Veränderung unterworfen, je allgemeiner dieser Grundsatz ist, welchem sie untergeordnet werden, und je erweiterter also das hohe Gefühl ist, welches die niederen unter sich befaßt. Alle besonderen Gründe der Neigungen sind vielen Ausnahmen und Änderungen unterworfen, wofern sie nicht aus einem solchen oberen Grunde abgeleitet sind. Der muntere und freundliche Alcest sagt: »Ich liebe und schätze meine Frau, denn sie ist schön, schmeichelhaft und klug.« Wie aber, wenn sie nun durch Krankheit entstellt, durch Alter mürrisch und, nachdem die erste Bezauberung verschwunden, euch nicht klüger scheinen würde wie jede andere? Wenn der Grund nicht mehr da ist, was kann aus der Neigung werden? Nehmet dagegen den wohlwollenden und gesetzten Adrast, welcher bei sich denkt: »Ich werde dieser Person liebreich und mit Achtung begegnen, denn sie ist meine Frau.« Diese Gesinnung ist edel und großmütig. Nunmehr mögen die zufälligen Reize sich ändern, sie ist gleichwohl noch immer seine Frau. Der edle Grund bleibt und ist nicht dem Unbestande äußerer Dinge so sehr unterworfen. Von solcher Beschaffenheit sind Grundsätze in Vergleichung der Regungen, die bloß bei einzelnen Veranlassungen aufwallen, und so ist der Mann von Grundsätzen in Gegenhalt mit demjenigen, welchem gelegentlich eine gutherzige und liebreiche Bewegung anwandelt. Wie aber, wenn sogar die geheime Sprache seines Herzens also lautete: »Ich muß jenem Menschen da zu Hülfe kommen, denn er leidet; nicht daß er etwa mein Freund oder Gesellschafter wäre oder daß ich ihn fähig hielte, dereinst Wohltat mit Dankbarkeit zu erwidern. Es ist jetzt keine Zeit zu vernünfteln und sich bei Fragen aufzuhalten: er ist ein Mensch, und was Menschen widerfährt, das trifft auch mich.« Alsdann stützt sich sein Verfahren auf den höchsten Grad des Wohlwollens in der menschlichen Natur und ist äußerst erhaben, sowohl seiner Unveränderlichkeit nach, als um der Allgemeinheit seiner Anwendung willen.

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      Ich will nur ein Beispiel von dem edlen Grausen geben, welches die Beschreibung einer gänzlichen Einsamkeit einflößen kann, und ziehe um deswillen einige Stellen aus Carazans Traum im Brem. Magazin, Band IV, Seite 539 aus. Dieser karge Reiche hatte nach dem Maße, als seine Reichtümer zunahmen, sein Herz dem Mitleiden und der Liebe gegen jeden andern verschlossen. Indessen, so wie die Menschenliebe in ihm erkaltete, nahm die Emsigkeit seiner Gebete und der Religionshandlungen zu. Nach diesem Geständnisse fährt er also fort zu reden. An einem Abende, da ich bei meiner Lampe meine Rechnungen zog und den Handlungsvorteil überschlug, überwältigte mich der Schlaf. In diesem Zustande sah ich den Engel des Todes wie einen Wirbelwind über mich kommen, er schlug mich, ehe ich den schrecklichen Streich abbitten konnte. Ich erst

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Ich will nur ein Beispiel von dem edlen Grausen geben, welches die Beschreibung einer gänzlichen Einsamkeit einflößen kann, und ziehe um deswillen einige Stellen aus Carazans Traum im Brem. Magazin, Band IV, Seite 539 aus. Dieser karge Reiche hatte nach dem Maße, als seine Reichtümer zunahmen, sein Herz dem Mitleiden und der Liebe gegen jeden andern verschlossen. Indessen, so wie die Menschenliebe in ihm erkaltete, nahm die Emsigkeit seiner Gebete und der Religionshandlungen zu. Nach diesem Geständnisse fährt er also fort zu reden. An einem Abende, da ich bei meiner Lampe meine Rechnungen zog und den Handlungsvorteil überschlug, überwältigte mich der Schlaf. In diesem Zustande sah ich den Engel des Todes wie einen Wirbelwind über mich kommen, er schlug mich, ehe ich den schrecklichen Streich abbitten konnte. Ich erstarrte, als ich gewahr ward, daß mein Los für die Ewigkeit geworfen sei und daß zu allem Guten, das ich verübt, nichts konnte hinzugetan, und von allem Bösen, das ich getan, nichts konnte hinweggenommen werden. Ich ward vor den Thron dessen, der in dem dritten Himmel wohnt, geführt. Der Glanz, der vor mir flammte, redete mich also an: »Carazan, dein Gottesdienst ist verworfen. Du hast dein Herz der Menschenliebe verschlossen und deine Schätze mit einer eisernen Hand gehalten. Du hast nur für dich selbst gelebt, und darum sollst du auch künftig in Ewigkeit allein und von aller Gemeinschaft mit der ganzen Schöpfung ausgestoßen leben.« In diesem Augenblicke ward ich durch eine unsichtbare Gewalt fortgerissen und durch das glänzende Gebäude der Schöpfung getrieben. Ich ließ bald unzählige Welten hinter mir. Als ich mich dem äußersten Ende der Natur näherte, merkte ich, daß die Schatten des grenzenlosen Leeren sich in die Tiefe vor mich herabsenkten. Ein fürchterliches Reich von ewiger Stille, Einsamkeit und Finsternis. Unaussprechliches Grausen überfiel mich bei diesem Anblick. Ich verlor allgemach die letzten Sterne aus dem Gesichte, und endlich erlosch der letzte glimmernde Schein des Lichts in der äußersten Finsternis. Die Todesängste der Verzweiflung nahmen mit jedem Augenblicke zu, so wie jeder Augenblick meine Entfernung von der letzten bewohnten Welt vermehrte. Ich bedachte mit unleidlicher Herzensangst, daß, wenn zehntausendmal tausend Jahre mich jenseit den Grenzen alles Erschaffenen würden weitergebracht haben, ich doch noch immerhin in den unermeßlichen Abgrund der Finsternis vorwärts schauen würde ohne Hülfe oder Hoffnung einiger Rückkehr. – In dieser Betäubung streckte ich meine Hände mit solcher Heftigkeit nach Gegenständen der Wirklichkeit aus, daß ich darüber erwachte. Und nun bin ich belehrt worden, Menschen hochzuschätzen; denn auch der Geringste von denjenigen, die ich im Stolze meines Glücks von meiner Türe gewiesen hatte, würde in jener erschrecklichen Einöde von mir allen Schätzen von Golconda weit sein vorgezogen worden. –

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Die Empfindungen des Erhabenen spannen die Kräfte der Seele stärker an und ermüden daher eher. Man wird ein Schäfergedicht länger in einer Folge lesen können als Miltons Verlorenes Paradies und den de la Bruyere länger wie den Young. Es scheint mir sogar ein Fehler des letzteren als eines moralischen Dichters zu sein, daß er gar zu einförmig im erhabenen Tone anhält; denn die Stärke des Eindrucks kann nur durch Abstechungen mit sanfteren Stellen erneuert werden. Bei dem Schönen ermüdet nichts mehr als mühsame Kunst, die sich dabei verrät. Die Bemühung zu reizen wird peinlich und mit Beschwerlichkeit empfunden.

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Insofern die Erhabenheit oder Schönheit das bekannte Mittelmaß überschreitet, so pflegt man sie romantisch zu nennen.

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Man bemerkt bald, daß diese ehrwürdige Gesellschaft sich in zwei Logen teile, in die der Grillenfänger und die der Gecken. Ein gelehrter Grillenfänger wird bescheidentlich ein Pedant genannt. Wenn er die trotzige Weisheitsmiene annimmt, wie die Dunse alter und neuer Zeiten, so steht ihm die Kappe mit Schellen gut zum Gesichte. Die Klasse der Gecken wird mehr in der großen Welt angetroffen. Sie ist vielleicht noch besser als die erstere. Man hat an ihnen viel zu verdienen und viel zu lachen. In