beinahe als ob er einmal einen Schrotschuß auf den Kopf bekommen hätte, und wenn er auch nicht gerade schielte, hatte das eine Auge doch – was man im gewöhnlichen Leben so nennt – einen falschen Blick. Dabei ging der Mann immer ein wenig gebückt und sah wie lauernd und mißtrauisch um sich her.
An Bord unter den Leuten hieß er gleich vom ersten Tage an »die Ratte«, wenn er auch einen ziemlich hohen Posten zu bekleiden schien und von den Officieren gewöhnlich Señor Comisario genannt wurde – was kümmerte das die Mannschaft? – an Bord hatte er ihnen doch Nichts zu befehlen.
»Nun, wie ist es?« fragte er, sowie er das Deck betrat und den lauernden Blick umherwarf. – »Das Boot noch nicht zurück?«
»Dort kommt es eben langseit,« sagte der Seemann. »Wir müssen, wie ich merke, Gewalt brauchen.«
»Dann lassen Sie das Nest in Grund und Boden zusammen schießen, Señor Almirante!« rief der Commissair, während seine Augen ein unheimliches Feuer annahmen. »Die Canaillen haben es nicht besser verdient, und wenn wir an der Küste einmal ein solches Exempel statuiren, so erspart uns das eine Menge Mühe vielleicht für andere Plätze.«
»Wenn es nicht sein muß,« sagte der Seemann kopfschüttelnd, »so möchte ich es gerade bei Tomaco nicht gern thun. Es ist einer der betriebsamsten Orte Neu-Granadas.«
»Rebellisches Gesindel!« rief der Commissair im Eifer. »Ich kenne sie von früher her und besser als Sie glauben. Verrätherisches Pack die ganze Bande, und seien Sie versichert, daß ich jede Maßregel vertrete, die Sie gegen dies Volk in Anwendung bringen.«
Der Seemann erwiderte nichts darauf, denn der ausgesandte Parlementair stieg eben an Bord und machte seine Meldung.
»Und haben Sie erfahren, ob ein Señor José Ramos hier in Tomaco lebt?« unterbrach ihn der Commissair, ehe er seinen Bericht ganz vollendet hatte.
»Señor,« sagte dieser, »ich hatte an Land mehr zu thun, als mich nach einzelnen Persönlichkeiten zu erkundigen. Der Zeitpunkt war gerade nicht besonders passend.«
»Aber Sie haben doch wenigstens Jemanden von dort mitgebracht, der uns nähere Auskunft geben könnte!« rief der Commissair, indem er einen giftigen Blick nach dem jungen Mann schoß.
»Wir waren froh, daß wir uns selber wieder fortbrachten,« erwiderte dieser, »denn die Stimmung schien eine sehr aufgeregte zu sein. Uebrigens haben sie dort drüben im Sande Schanzen aufgeworfen und dieselben auch wahrscheinlich mit Kanonen armirt, wenn ich das von dort, wo ich mich befand, auch nicht ganz deutlich erkennen konnte.«
»Was für Kanonen werden sie hier am Lande haben!« sagte der Capitain verächtlich. – »Unsere Zwanzigpfünder sollen da schon ganz anders mit ihnen sprechen. Wie steht es mit der Fluth, Señor Culpepper?«
»Fängt eben an zu steigen, Señor,« lautete die Antwort – »vor drei Stunden dürfen wir aber nicht daran denken, die Anker zu lichten, denn wenn wir hier auf dem Sande festfahren, und sie haben wirklich so ein Ding wie ein Geschütz am Land, so können sie mit uns machen was sie wollen.«
Der Capitain erwiderte nichts, sondern ließ sein Boot bemannen und ruderte nach der Galeotte hinüber, während der Commissair, seine Nägel beißend, an Deck auf und ab ging und nur manchmal das Telescop aufnahm, um zu beobachten, was da drüben am Lande vorging.
Indessen schlenderte der Steuermann wieder über Deck, damit dort – soweit das möglich war – Alles in Ordnung gebracht würde, wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte. Vorn am Gangspill lehnte ein anderer Europäer – ein junger Franzose, der den Posten eines master at arms bekleidete. Er hatte beide Arme auf das Gangspill gelehnt, stützte sein Kinn darauf und blickte in tiefem Sinnen nach dem Lande hinüber.
»Nun Bill,« sagte Mr. Culpepper zu ihm, indem er neben ihm stehen blieb und ihm auf die Schulter klopfte, »worüber denkt Ihr nach?«
»Ich, Sir?« sagte der Franzose, der ziemlich gut englisch sprach, denn er hatte lange in Canada gelebt, und schien auf der See daheim zu sein. Er war reinlich und ganz matrosenartig gekleidet, was man von der übrigen Gesellschaft nicht sagen konnte – »ich überlege mir eben, daß es eine verdammt viel bessere Beschäftigung wäre, da drüben auf dem Rücken unter einer Cocospalme zu liegen, als hier mit einer nichtswürdigen Bande von Land-Lubbern sich zu Schanden zu ärgern. Ich habe das Leben hier bis an den Hals satt.«
»Ich wohl nicht, Camerad?« lachte der Engländer mit einem leisen Fluch. – »Aber was kann's helfen? Heute bekommen wir wenigstens einmal Abwechselung in die Wirthschaft und ich kann Euch sagen, daß ich neugierig bin, wie sich unsere tapferen Neu-Granadienser im Feuer benehmen werden.«
»Im Feuer?« sagte der Franzose verächtlich. – »So lange sie nicht fortlaufen können, werden sie natürlich Stand halten. Uebrigens geb' ich Euch mein Wort, daß es hier an Bord gefährlicher ist, hinter einer von unseren alten Kanonen zu stehen, wie davor, denn ich möchte nicht dabei sein, wenn sie abgefeuert werden.«
Der Engländer lachte laut auf.
»Und habt Ihr sie nicht selber heute zu dem Zwecke geladen?«
»Bah!« sagte der Franzose. – »Die sind schon oft geladen, aber noch nie abgeschossen worden – so lange ich wenigstens an Bord bin – und so lange ich an Bord bin, werd' ich es auch zu vermeiden suchen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Wird aber diesmal nicht gehen,« schmunzelte der Engländer, »denn die Ratte scheint eine ganz besondere Wuth auf das Nest da drüben zu haben, und kann die Zeit nicht erwarten, wo der Befehl zum Feuern gegeben wird.«
»Die Ratte soll – zu Grase gehen,« brummte Bill durch die Zähne. »Ich möchte nur wissen, was der hier schon einmal ausgeheckt hat, daß er so wüthend auf den Ort ist. Habt Ihr je ein freundlicheres Plätzchen in der Welt gesehen, Mate?« fuhr er fort und deutete mit dem Arm nach der reizenden Insel hinüber. – »Kann es etwas Pittoreskeres geben, als jenen alten grauen Felsen mit den Palmen am Fuße, seiner hellgrünen Zuckerrohr-Mantille und den prachtvollen, breitblätterigen Bananen oben auf dem Gipfel? Wie friedlich könnten die Menschen hier leben – und leben auch so, wahrscheinlich – wenn wir sie mit unserer verwünschten Politik in Ruhe ließen und die »Ratte«, statt sie hier an's Land zu setzen, einfach im Canal ersäuften.«
Der Engländer lachte leise vor sich hin und ging wieder nach hinten, wo er jetzt, da die Fluth schon scharf einsetzte und der Bug vom Land abgedreht lag, einen besseren Ueberblick über die Insel hatte. Der Capitain kam ebenfalls zurück und die Mannschaft wurde zum Essen gerufen, um völlig bereit zu sein. So rückte etwa drei Uhr heran – das Wasser war bedeutend gestiegen, und da der Commissair ebenfalls unablässig drängte, um an Land zu kommen, gab der »Admiral« endlich den Befehl, die Anker wieder zu lichten und aufzusegeln.
»Fertig zum Feuern!« lautete dabei der Befehl. Es schien wirklich Ernst zu werden, und der master at arms wurde auf das Quarterdeck befohlen.
»Lassen Sie Ihre Leute bei den Kanonen stehen, Sir,« redete ihn hier der Capitain an, »und beim ersten Schuß, der vom Lande her fällt, geben Sie eine Salve – eine ganze Breitseite (es waren drei Kanonen an jeder Seite) und zielen Sie gut.«
»Sehr wohl, Señor Almirante,« sagte der Franzose, mit der Hand an der Mütze, »aber – wollen Sie mir eine Bemerkung erlauben?«
»Was ist da noch zu bemerken?« fragte der Capitain scharf.
»Weiter nichts,« bemerkte der Franzose, »als daß der Schooner das Abfeuern der Kanonen nicht aushält. Sie sind zu schwer für uns.«
»Mit dem Bedenken kommen Sie jetzt, im entscheidenden Augenblick?« fuhr der Capitain auf.
»Señor,« erwiderte der Mann ruhig, »als ich in Buenaventura der kleinen Prügelei wegen von den Behörden eingesteckt wurde und die Wahl bekam, zwei Monate in einer wahren Pesthöhle von Gefängniß zu sitzen, oder an Bord dieses Kriegsschiffes zu gehen, hatte ich mit der Armirung desselben nichts zu thun. Jetzt haben Sie mich zum Geschützmeister gemacht und es ist meine Schuldigkeit, Sie vor der Gefahr zu warnen.«
»Sie wollen mir doch nicht sagen,« rief der Admiral, »daß wir nicht wagen dürften, einen Schuß zu thun!«
»Allerdings,«