Gerstäcker Friedrich

Unter Palmen und Buchen. Dritter Band.


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einmal mit zum Tisch setzen, so weh war ihm zu Muthe, und als er endlich dem dringenden Nöthigen der Frau nachgab, quoll ihm der Bissen im Munde.

      Und es schlug halb – es schlug drei Viertel auf Neun – er rückte mit dem Stuhl.

      »Du gehst in zwei Minuten zu der Post hinüber,« flüsterte ihm die Frau zu und schmiegte sich ängstlich an ihn an. »Sie fahren ja nicht ohne Dich fort.«

      »Mein liebes, liebes Weib!«

      »Und willst Du recht viel an uns denken, Eduard, – an mich und Dein Kind?«

      »Tag und Nacht – Tag und Nacht, Lieb.«

      »Und nicht gar so lange fortbleiben?«

      »So rasch ich möglicherweise kann, kehr' ich zurück. – Sorge Dich nur nicht um mich – wie bald ist ja der Weg zurückgelegt.«

      »Wie bald? Oh, mein Himmel, und fünf Monat hin und fünf Monat zurück nennst Du bald – mir werden es eben so viele Jahre werden.«

      »Meine liebe, liebe Henriette!« – und sie hielten sich fest und lange umschlungen.

      »Kinder, es wird Zeit – es ist in zwei Minuten neun Uhr,« sagte da der Alte. »Eduard, mit Gott! Machen Sie, daß Sie fortkommen, wir wollen indessen schon auf die Kinder Achtung geben.«

      Fester klammerte sich die Frau an ihn an. Der Augenblick war gekommen, vor dem sie so lange gebebt, und erst jetzt erfaßte sie die Angst, das bittere Weh des Scheidens.

      »Leb' wohl, mein Herz – sei stark; ich kehre ja bald zu Dir zurück.«

      »Küsse noch einmal unser Kind,« flüsterte sie, – »der kleine Bursch ist eingeschlafen; er ahnt ja nicht, daß er den Vater verlieren soll.«

      »Er verliert ihn nicht, Herz,« sagte Eduard, indem er sich über das Kind bog und es küßte, während ein paar heiße Thränen auf seine Locken fielen – »und nun leb' wohl!« rief er, sich rasch und entschlossen aufrichtend, – »bleibt hier – geht nicht mit zur Post – macht mir den Abschied nicht schwerer, als er schon ist – Gott schütze Dich, mein süßes, süßes Lieb – Dich und das Kind – leb' wohl – leb' wohl!«

      Noch einmal preßten seine Lippen in glühendem Kuß die ihrigen – noch einmal drückte er Vater und Mutter die Hand – draußen in der anderen Straße blies der Postillon, ein Engländer, aber mit den so oft gehörten Melodien längst vertraut, das alte Volkslied: »Muß i denn, muß i denn, zum Städtle 'naus,« – Henriette warf ihre Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest und innig umschlungen. – Die erbarmungslose Uhr schlug neun, es war die Abschiedsstunde, und ihr Antlitz in den Händen bergend, sank sie neben dem Sopha, auf dem ihr Kind schlief, in die Knie. – Sie hörte, wie die Thür geöffnet wurde und sich schloß – sie hörte rasche Schritte draußen – dann war Alles still, und das Einzige, was ihr blieb, das Gefühl ihres Jammers – ihres Verlassenseins.

      Fünftes Capitel.

      Nach Deutschland zurück

      Im Hause der Gräfin Galaz herrschte heute ein geschäftiges Treiben – Zimmer wurden hergerichtet und mit Blumen geschmückt, Boten nach verschiedenen Seiten ausgesandt, und die Gräfin selber befand sich in lebhafter, aber jedenfalls freudiger Aufregung.

      Die Gräfin Alexandrine, die Schwester des jungen Eduard von Benner und etwa vier oder fünf Jahr älter als ihr Bruder, war eine jener Erscheinungen, die man, obgleich man sie keine blendende Schönheit nennen konnte, auf den ersten Blick liebgewinnen mußte, eine so ruhige Sanftmuth, eine so Herzen erobernde Freundlichkeit war über ihre Züge ausgegossen, und auf wem auch immer das blaue Auge ruhte, er fühlte dessen Zauber und konnte ihm nicht widerstehen.

      So hatte sie ihrem Gatten das Haus zu einem Paradiese umgeschaffen; so war sie die Wohlthäterin und der Schutzgeist aller benachbarten Armen geworden und selbst die Dienerschaft betete sie an und suchte ihr Alles an den Augen abzulesen.

      Die Gräfin Alexandrine hatte zwei Kinder – eine Tochter von elf und einen Knaben von fünf Jahren, und lebte mit diesem und ihrem Gatten still und zurückgezogen auf Schloß Galaz. Sie liebte das wilde Treiben der Residenz nicht, und der Graf selber jagte viel lieber in seinen Wäldern und fischte in seinen Seeen, als daß er sich der steifen Etikette des Hofes fügte. Manchmal freilich konnte er sich ihr nicht ganz entziehen, und auch gerade jetzt war er schon wieder seit mehren Tagen dorthin befohlen worden, um an einigen Hofjagden Theil zu nehmen, und gerade jetzt vermißte ihn die Gräfin so schmerzlich, da sie ihren Bruder zurückerwartete, der schon vor mehren Tagen in der Residenz eingetroffen sein mußte und sie trotzdem noch nicht aufgesucht hatte. Heute Morgen aber war ein Brief von ihm angelangt, heute kam er gewiß und eine eigene Unruhe hatte die sonst so stille und ruhige Frau erfaßt, die sie in keinem Zimmer rasten ließ und immer wieder hinaus auf den Söller trieb, um nach ihm auszuschauen.

      Endlich – endlich wirbelte weit auf der Straße draußen der Staub auf, und die Töne eines munteren Hornes schallten herüber – es war eine Extrapost. Alexandrine winkte draußen auf dem Balcon mit ihrem Taschentuch – das Zeichen wurde erwidert, und wenige Minuten später rasselte der Wagen in den Hof, und die lange getrennten Geschwister lagen sich in den Armen.

      »Mein lieber, lieber Eduard,« sagte die Schwester, als sie endlich oben mit ihm auf ihrem Zimmer saß, seine Hand in der ihren hielt und ihm in die Augen sah, – »oh, Gott sei Dank, daß wir Dich wieder haben aus der weiten fremden Welt – daß Du früher zurückgekommen wärst,« setzte sie leise und wehmüthig hinzu.

      »Und der Vater ist im Zorn gegen mich geschieden?« sagte Eduard scheu.

      »Nein – nein,« rief Alexandrine rasch, »gerade in der letzten Zeit sprach er oft von Dir und bereute, daß er vielleicht zu hart gegen Dich gewesen. – Ich würde auch schon früher an Dich geschrieben haben, aber wir hatten keine Ahnung, in welchem Welttheil selbst Du Dich befändest, und erst nach des Vaters Tod erzählte ein in der Residenz weilender Fremder, daß er einen Eduard von Benner in Süd-Australien getroffen habe. Nur auf das unbestimmte Gerücht hin schickte ich Dir den Brief. – Böser, böser Bruder, daß Du nicht einmal mir, Deiner Alexandrine, ein Lebenszeichen geben konntest, und daß fremde Menschen es mir bringen mußten.«

      »Meine theure Schwester!«

      »Wie wir uns hier nach Dir gesehnt, in jener Schreckenszeit – aber jetzt bist Du ja wieder da – bist wieder bei uns und gehst nie und nimmer wieder fort.«

      »Meine gute Alexandrine.«

      »Und wie braun und sonnverbrannt Du geworden bist – fast wie ein Indianer und was für harte Hände Du bekommen – oh, Du hast gewiß schwere und böse Arbeit thun müssen, Du störrischer, trotziger Mensch Du!«

      »Schwere Arbeit in der That.«

      »Und so allein hast Du indessen unter den fremden kalten Menschen leben können, mit Niemandem der Dich liebte und für Dich sorgte – das besonders hat mir das Herz so schwer gemacht, und wie oft sind mir, wenn ich an Dich dachte, die Thränen in die Augen gekommen! Oh, es muß schrecklich da draußen sein – ganz schrecklich – mag die Natur auch in allen ihren Reizen prangen.«

      Eduard schwieg und sah scheu und seufzend vor sich nieder, denn er wagte nicht der Schwester zu gestehen, daß er verheirathet sei – mit wem er sich verheirathet habe – wenigstens jetzt noch nicht. Er mußte erst selber ruhiger und gefaßter sein – mußte sie ruhiger finden, um dann mit ihr seinen künftigen Lebensplan zu überlegen.

      »Und doch wäre ich kaum so rasch nach Deutschland zurückgekommen,« sagte er endlich, »wenn Du in Deinem Brief nicht gar so dringend darauf bestanden und mir geschrieben hättest, daß meine Gegenwart hier unumgänglich nöthig sei.«

      »Verzeih' mir die kleine List,« lächelte da herzlich Alexandrine, »meine Liebe zu Dir dictirte den Brief, und ich mußte Dich wieder hier, wieder bei uns haben. Die Geldangelegenheit, Du lieber Gott, das hätten wir auch ohne Dich arrangiren können, und haben es in der That schon gethan, denn mein Mann hat die ganze Sache, und wie Du Dich fest darauf verlassen kannst, Dein Interesse besonders dabei wahrend, geordnet.«

      »So war es nicht nöthig?«

      »Und