Johann Wolfgang von Goethe

Hermann und Dorothea


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heute zur Heirat entschließen; Denn manch gutes Mädchen bedarf des schützenden Mannes Und der Mann des erheiternden Weibs, wenn ihm Unglück bevorsteht."

      Lächelnd sagte darauf der Vater: "So hör ich dich gerne! Solch ein vernünftiges Wort hast du mir selten gesprochen."

      Aber es fiel sogleich die gute Mutter behend ein: "Sohn, fürwahr! du hast recht; wir Eltern gaben das Beispiel. Denn wir haben uns nicht an fröhlichen Tagen erwählet, Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen. Montag morgens – ich weiß es genau, denn Tages vorher war Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte – Zwanzig Jahre sind's nun; es war ein Sonntag wie heute, Heiß und trocken die Zeit und wenig Wasser im Orte. Alle Leute waren, spazierend in festlichen Kleidern, Auf den Dörfern verteilt und in den Schenken und Mühlen. Und am Ende der Stadt begann das Feuer. Der Brand lief Eilig die Straßen hindurch, erzeugend sich selber den Zugwind. Und es brannten die Scheunen der reich gesammelten Ernte, Und es brannten die Straßen bis zu dem Markt, und das Haus war Meines Vaters hierneben verzehrt und dieses zugleich mit. Wenig flüchteten wir. Ich saß, die traurige Nacht durch, Vor der Stadt auf dem Anger, die Kasten und Betten bewahrend; Doch zuletzt befiel mich der Schlaf, und als nun des Morgens Mich die Kühlung erweckte, die vor der Sonne herabfällt, Sah ich den Rauch und die Glut und die hohlen Mauern und Essen. Da war beklemmt mein Herz; allein die Sonne ging wieder Herrlicher auf als je und flößte mir Mut in die Seele. Da erhob ich mich eilend. Es trieb mich, die Stätte zu sehen, Wo die Wohnung gestanden, und ob sich die Hühner gerettet, Die ich besonders geliebt; denn kindisch war mein Gemüt noch. Als ich nun über die Trümmer des Hauses und Hofes daherstieg, Die noch rauchten, und so die Wohnung wüst und zerstört sah, Kamst du zur andern Seite herauf und durchsuchtest die Stätte. Dir war ein Pferd in dem Stalle verschüttet; die glimmenden Balken Lagen darüber und Schutt, und nichts zu sehn war vom Tiere. Also standen wir gegeneinander, bedenklich und traurig: Denn die Wand war gefallen, die unsere Höfe geschieden. Und du faßtest darauf mich bei der Hand an und sagtest: "Lieschen, wie kommst du hieher? Geh weg! du verbrennest die Sohlen; Denn der Schutt ist heiß, er sengt mir die stärkeren Stiefeln." Und du hobest mich auf und trugst mich herüber durch deinen Hof weg. Da stand noch das Tor des Hauses mit seinem Gewölbe, Wie es jetzt steht; es war allein von allem geblieben. Und du setztest mich nieder und küßtest mich und ich verwehrt' es. Aber du sagtest darauf mit freundlich bedeutenden Worten: "Siehe, das Haus liegt nieder. Bleib hier, und hilf mir es bauen, Und ich helfe dagegen auch deinem Vater an seinem." Doch ich verstand dich nicht, bis du zum Vater die Mutter Schicktest und schnell das Gelübd' der fröhlichen Ehe vollbracht war. Noch erinnr' ich mich heute des halbverbrannten Gebälkes Freudig und sehe die Sonne noch immer so herrlich heraufgehn; Denn mir gab der Tag den Gemahl, es haben die ersten Zeiten der wilden Zerstörung den Sohn mir der Jugend gegeben. Darum lob ich dich, Hermann, daß du mit reinem Vertrauen Auch ein Mädchen dir denkst in diesen traurigen Zeiten Und es wagtest zu frein im Krieg und über den Trümmern."

      Da versetzte sogleich der Vater lebhaft und sagte: "Die Gesinnung ist löblich, und wahr ist auch die Geschichte, Mütterchen, die du erzählst; denn so ist alles begegnet. Aber besser ist besser. Nicht einen jeden betrifft es, Anzufangen von vorn sein ganzes Leben und Wesen; Nicht soll jeder sich quälen, wie wir und andere taten, Oh, wie glücklich ist der, dem Vater und Mutter das Haus schon Wohlbestellt übergeben und der mit Gedeihen es ausziert! Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang der Wirtschaft. Mancherlei Dinge bedarf der Mensch, und alles wird täglich Teurer; da seh er sich vor, des Geldes mehr zu erwerben. Und so hoff ich von dir, mein Hermann, daß du mir nächstens In das Haus die Braut mit schöner Mitgift hereinführst; Denn ein wackerer Mann verdient ein begütertes Mädchen, Und es behaget so wohl, wenn mit dem gewünscheten Weibchen Auch in Körben und Kasten die nützliche Gabe hereinkommt. Nicht umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter Viele Leinwand der Tochter, von feinem und starkem Gewebe; Nicht umsonst verehren die Paten ihr Silbergeräte, Und der Vater sondert im Pulte das seltene Goldstück: Denn sie soll dereinst mit ihren Gütern und Gaben Jenen Jüngling erfreun, der sie vor allen erwählt hat. Ja, ich weiß, wie behaglich ein Weibchen im Hause sich findet, Das ihr eignes Gerät in Küch' und Zimmern erkennet Und das Bette sich selbst und den Tisch sich selber gedeckt hat. Nur wohl ausgestattet möcht' ich im Hause die Braut sehn; Denn die Arme wird doch nur zuletzt vom Manne verachtet, Und er hält sie als Magd, die als Magd mit dem Bündel hereinkam. Ungerecht bleiben die Männer, und die Zeiten der Liebe vergehen. Ja, mein Hermann, du würdest mein Alter höchlich erfreuen, Wenn du mir bald ins Haus ein Schwiegertöchterchen brächtest Aus der Nachbarschaft her, aus jenem Hause, dem grünen. Reich ist der Mann fürwahr: sein Handel und seine Fabriken Machen ihn täglich reicher: denn wo gewinnt nicht der Kaufmann? Nur drei Töchter sind da; sie teilen allein das Vermögen. Schon ist die ältste bestimmt, ich weiß es; aber die zweite Wie die dritte sind noch, und vielleicht nicht lange, zu haben. Wär' ich an deiner Statt, ich hätte bis jetzt nicht gezaudert, Eins mir der Mädchen geholt, so wie ich das Mütterchen forttrug."

      Da versetzte der Sohn bescheiden dem dringenden Vater: "Wirklich, mein Wille war auch, wie Eurer, eine der Töchter Unsers Nachbars zu wählen. Wir sind zusammen erzogen, Spielten neben dem Brunnen am Markt in früheren Zeiten, Und ich habe sie oft vor der Knaben Wildheit beschützet. Doch das ist lange schon her; es bleiben die wachsenden Mädchen Endlich billig zu Haus und fliehn die wilderen Spiele. Wohlgezogen sind sie gewiß! Ich ging auch zuzeiten Noch aus alter Bekanntschaft, so wie Ihr es wünschtet, hinüber; Aber ich konnte mich nie in ihrem Umgang erfreuen. Denn sie tadelten stets an mir, das mußt' ich ertragen: Gar zu lang war mein Rock, zu grob das Tuch und die Farbe Gar zu gemein und die Haare nicht recht gestutzt und gekräuselt. Endlich hatt' ich im Sinne, mich auch zu putzen wie jene Handelsbübchen, die stets am Sonntag drüben sich zeigen, Und um die halbseiden im Sommer das Läppchen herumhängt. Aber noch früh genug merkt' ich, sie hatten mich immer zum besten, Und das war mir empfindlich, mein Stolz war beleidigt; doch mehr noch Kränkte mich's tief, daß so sie den guten Willen verkannten, Den ich gegen sie hegte, besonders Minchen, die jüngste. Denn so war ich zuletzt an Ostern hinübergegangen, Hatte den neuen Rock, der jetzt nur oben im Schrank hängt, Angezogen und war frisiert wie die übrigen Bursche. Als ich eintrat, kicherten sie; doch zog ich's auf mich nicht. Minchen saß am Klavier; es war der Vater zugegen, Hörte die Töchterchen singen und war entzückt und in Laune. Manches verstand ich nicht, was in den Liedern gesagt war, Aber ich hörte viel von Pamina, viel von Tamino, Und ich wollte doch auch nicht stumm sein! Sobald sie geendet, Fragt' ich dem Texte nach und nach den beiden Personen. Alle schwiegen darauf und lächelten; aber der Vater Sagte: "Nicht wahr, mein Freund, Er kennt nur Adam und Eva?" Niemand hielt sich alsdann, und laut auf lachten die Mädchen, Laut auf lachten die Knaben, es hielt den Bauch sich der Alte. Fallen ließ ich den Hut vor Verlegenheit, und das Gekicher Dauerte fort und fort, soviel sie auch sangen und spielten. Und ich eilte beschämt und verdrießlich wieder nach Hause, Hängte den Rock in den Schrank und zog die Haare herunter Mit den Fingern und schwur, nicht mehr zu betreten die Schwelle. Und ich hatte wohl recht; denn eitel sind sie und lieblos, Und ich höre, noch heiß' ich bei ihnen immer Tamino."

      Da versetzte die Mutter: "Du solltest, Hermann, so lange Mit den Kindern nicht zürnen; denn Kinder sind sie ja sämtlich. Minchen fürwahr ist gut und war dir immer gewogen; Neulich fragte sie noch nach dir. Die solltest du wählen!"

      Da versetzte bedenklich der Sohn: "Ich weiß nicht, es prägte Jener Verdruß sich so tief bei mir ein, ich möchte fürwahr nicht Sie am Klaviere mehr sehn und ihre Liedchen vernehmen."

      Doch der Vater fuhr auf und sprach die zornigen Worte: "Wenig Freud' erleb ich an dir! Ich sagt' es doch immer, Als du zu Pferden nur und Lust nur bezeugtest zum Acker: Was ein Knecht schon verrichtet des wohlbegüterten Mannes, Tust du; indessen muß der Vater des Sohnes entbehren, Der ihm zur Ehre doch auch vor andern Bürgern sich zeigte. Und so täuschte mich früh mit leerer Hoffnung die Mutter, Wenn in der Schule das Lesen und Schreiben und Lernen dir niemals Wie den andern gelang und du immer der Unterste saßest. Freilich! das kommt daher, wenn Ehrgefühl nicht im Busen Eines Jünglinges lebt und wenn er nicht höher hinauf will. Hätte mein Vater gesorgt für mich, so wie ich für dich tat, Mich zur Schule gesendet und mir die Lehrer gehalten, Ja, ich wäre was anders als Wirt zum Goldenen Löwen!"

      Aber der Sohn stand auf und nahte sich schweigend der Türe, Langsam und ohne Geräusch; allein der Vater, entrüstet, Rief ihm nach: "So gehe nur hin! ich kenne den Trotzkopf!