Johann Wolfgang von Goethe

Egmont


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Hätte man uns den statt der Margarete von Parma zum Regenten gesetzt!

      Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnäd'ge Frau!

      Alle. Sie lebe!

      Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin lebe!

      Jetter. Klug ist sie, und mäßig in allem, was sie thut; hielte sie's nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit schuld, daß wir die vierzehn neuen Bischofsmützen im Lande haben. Wozu die nur sollen? Nicht wahr, daß man Fremde in die guten Stellen einschieben kann, wo sonst Äbte aus den Kapiteln gewählt wurden? Und wir sollen glauben, es sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischöfen hatten wir genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muß doch auch jeder thun, als ob er nötig wäre; und da setzt's allen Augenblick Verdruß und Händel. Und je mehr ihr das Ding rüttelt und schüttelt, desto trüber wird's. (Sie trinken.)

      Soest. Das war nun des Königs Wille; sie kann nichts davon, noch dazu thun.

      Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind wahrlich gar schön in Reimen gesetzt, und haben recht erbauliche Weisen. Die sollen wir nicht singen; aber Schelmenlieder, soviel wir wollen. Und warum? Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiß. Ich hab' ihrer doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab' nichts drin gesehen.

      Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir wollen. Das macht, daß Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so etwas nicht. – In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger, als ein geistlich Lied? Nicht wahr, Vater?

      Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.

      Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre Art; und gefährlich ist's doch immer, da läßt man's lieber sein. Die Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann ist schon unglücklich geworden! Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich nicht thun darf, was ich möchte, können sie mich doch denken und singen lassen, was ich will.

      Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muß auch beizeiten suchen, ihr die Flügel zu beschneiden.

      Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfällt, in mein Haus zu stürmen, und ich sitz' an meiner Arbeit und summe just einen französischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Böses; ich summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist; gleich bin ich ein Ketzer und werde eingesteckt. Oder ich gehe über Land, und bleibe bei einem Haufen Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhört, einem von denen, die aus Deutschland gekommen sind; auf der Stelle heiß' ich ein Rebell und komme in Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hören?

      Soest. Wackre Leute. Neulich hört' ich einen auf dem Felde vor tausend und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Geköch, als wenn unsre auf der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwürgen. Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hätten bei der Nase herumgeführt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung haben könnten. – Und das bewies er euch alles aus der Bibel.

      Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst, und grübelte so über die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.

      Buyck. Es läuft ihnen auch alles Volk nach.

      Soest. Das glaub' ich, wo man was Gutes hören kann und was Neues.

      Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen nach seiner Weise.

      Buyck. Frisch, ihr Herren! Über dem Schwätzen vergeßt ihr den Wein und

      Oranien.

      Jetter. Den nicht zu vergessen! Das ist ein rechter Wall: wenn man nur an ihn denkt, meint man gleich, man könne sich hinter ihn verstecken, und der Teufel brächte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!

      Alle. Hoch! hoch!

      Soest. Nun, Alter, bring' auch deine Gesundheit.

      Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

      Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

      Jetter. Krieg! Krieg! Wißt ihr auch, was ihr ruft? Daß es euch leicht vom Munde geht, ist wohl natürlich; wie lumpig aber unser einem dabei zu Mute ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hören, und nichts zu hören, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer, wie sie über einen Hügel kamen und bei einer Mühle hielten, wieviel da geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drängen, und einer gewinnt, der andere verliert, ohne daß man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bürger ermordet werden, und wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not und Angst, man denkt jeden Augenblick: "Da kommen sie! Es geht uns auch so."

      Soest. Drum muß auch ein Bürger immer in Waffen geübt sein.

      Jetter. Ja, es übt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hör' ich noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.

      Buyck. Das sollt' ich übel nehmen.

      Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen

      Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.

      Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?

      Jetter. Vexier Er sich.

      Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.

      Jetter. Halt dein Maul.

      Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Küche, dem Keller, der

      Stube – dem Bette. (Sie lachen.)

      Jetter. Du bist ein Tropf.

      Buyck. Friede, ihr Herren! Muß der Soldat Friede rufen? – Nun, da ihr von uns nichts hören wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine bürgerliche Gesundheit.

      Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!

      Soest. Ordnung und Freiheit!

      Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.

      (Sie stoßen an und wiederholen fröhlich die Worte, doch so, daß jeder ein anders ausruft, und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und fällt endlich auch mit ein.)

      Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!

      Palast der Regentin.

      Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.

      Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut' nicht reiten. Sagt Machiavellen, er soll zu mir kommen. (Alle gehen ab.) Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten läßt mir keine Ruhe! Nichts kann mich ergötzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen vor mir. Nun wird der König sagen, dies sei'n die Folgen meiner Güte, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick, das Rätlichste, das Beste gethan zu haben. Sollte ich früher mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschütten. Ja, was ich mir selbst sage, was ich wohl weiß, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der Übermut der fremden Lehrer hat sich täglich erhöht; sie haben unser Heiligtum gelästert, die stumpfen Sinne des Pöbels zerrüttet und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrührer gemischt, und schreckliche Thaten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der König nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch gelindes, dem Übel zu steuern. O was sind wir Großen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und nieder, hin und her.

      (Machiavell tritt auf.)

      Regentin. Sind die Briefe an den König aufgesetzt?

      Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben können.

      Regentin.