das Vaterunser rückwärts.“
„Sag, Huck, wann willst du das mit der Katze probieren?“
„Diese Nacht. Ich denke, sie werden diese Nacht den alten Hoss Williams holen.“
„Aber der ist doch am Samstag schon beerdigt, Huck. Haben sie ihn nicht schon Samstag nacht geholt?“
„Ach, Unsinn! Wie konnten sie‘s denn vor Mitternacht? Und dann war‘s Sonntag. Am Sonntag kommen doch die Teufel nicht herauf!“
„Daran hab‘ ich nicht gedacht. Dann ist‘s richtig. Darf ich mitgehen?“
„Meinetwegen – wenn du dich nicht fürchtest?“
„Fürchten? Das ist das wenigste. Willst du miauen?“
„Ja, und du mußt auch miauen, wenn du kommen kannst. Letztes Mal hast du mich so lange warten lassen, bis der alte Hays einen Stein nach mit warf und schrie: ‚Der Teufel hol‘ die Katz!‘ Da hab‘ ich ihm einen Stein ins Fenster geschmissen – aber sag‘s nicht weiter!“
„Bewahre! Damals konnte ich nicht miauen, weil mir meine Tante aufpaßte; aber diesmal werde ich bestimmt miauen. – Du, Huck, was ist das?“
„Das? Ach, nur ‘ne Baumwanze.“
„Woher hast du die?“
„Aus dem Wald mitgebracht“
„Was willst du dafür haben?“
„Ich – ich weiß nicht. Ich will sie gar nicht verkaufen.“
„Na ja, ‘s ist ja auch nur ‘ne lump‘ge Wanze.“
„Oho, nach so ‘ner Wanze kannst du lange laufen. Mir gefällt sie schon.“
„‘s gibt ‘ne Menge solcher Wanzen. Wenn ich wollte, könnt ich tausend solche haben.“
„So, warum willst du denn nicht? Weil du ganz gut weißt, daß du‘s nicht kannst! Dies ist eine ganz besondere Wanze. Es ist die erste, die ich dies Jahr gesehen hab‘.“
„Du, Huck, ich geb‘ dir meinen Zahn dafür.“
„Laß sehen.“
Tom holte ein Papier hervor und rollte es sorgfältig auf. Huckleberry untersuchte es genau. Dann sagte er:
„Ist er auch echt?“
Tom machte den Mund auf und zeigte seine Zahnlücke.
„Gut.“ sagte Huckleberry, „er ist echt.“
Tom verschloß die Wanze in der Schachtel, die vorher das Gefängnis der „Kneifzange“ gewesen war, und die beiden trennten sich, jeder höchlichst zufrieden mit seinem Tausch.
Als Tom das kleine, einsam gelegene Schulhaus erreicht hatte, ging er ganz lustig, wie einer, der sich möglichst beeilt hat, hinein. Er hängte seine Mütze auf und setzte sich mit geschäftiger Eile auf seinen Platz. Der Lehrer, auf einem großen Lehnstuhl thronend, hatte ein bißchen geschlafen und fuhr bei Toms Anstalten in die Höhe.
„Thomas Sawyer!“
Tom wußte, daß, wenn sein Name ganz gesprochen wurde, die Situation kritisch war.
„Herr!“
„Komm vor! Wo bist du denn wieder mal so lange gewesen?“
Tom wollte seine Zuflucht zu einer Lüge nehmen, als er zwei lange, helle Zöpfe einen Rücken herabhängen sah und sie infolge geheimer Sympathie erkannte. Und daneben, auf der Mädchen-Seite, war der einzigste Freiplatz! Sofort entgegnete er: „Ich mußte mit Huckleberry Finn etwas besprechen.“
Des Lehrers Pulse stockten, er starrte hilflos um sich. Alles Geräusch der Arbeitenden verstummte. Die Schüler glaubten, dieser kühne Bursche habe den Verstand verloren.
Der Lehrer fragte nochmals: „Du – du mußtest was?“
„Mit Huckleberry Finn sprechen.“
Ein Irrtum war nicht mehr denkbar.
„Thomas Sawyer, das ist die staunenerregendste Antwort, die ich je erhalten habe. Darauf kann nur die Rute antworten. Zieh die Jacke aus!“
Des Lehrers Arm arbeitete, bis er völlig ermattet und die Rute kaput war. Dann hieß es: „So, nun geh, und setz dich zu den Mädchen! Und laß dir das zur Warnung dienen!“
Das Kichern, welches jetzt durch das Schulzimmer ging, schien Tom in Verlegenheit zu bringen, in Wahrheit aber war es vielmehr die wundervolle Nähe seines unbekannten Idols und die mit Ehrfurcht gemischte Freude dieses Glücksfalls. Er ließ sich auf dem Ende der Bank nieder, und das Mädchen wandte sich ab, indem es ostentativ den Kopf drehte. Kichern, Flüstern und Tuscheln erfüllten das Zimmer, aber Tom saß mäuschenstill, die Arme auf das lange Pult vor sich gelegt, und schien eifrig zu lernen. Nach und nach legte sich die allgemeine Beschäftigung mit ihm, und das gewöhnliche Schulsummen füllte wieder die Luft. Sofort begann Tom verstohlen glänzende Blicke auf das Mädchen zu werfen. Dieses merkte es, schnitt ihm ‘ne Grimasse und drehte für die Zeit einer Minute den Kopf von ihm ab. Als sie vorsichtig wieder herumsah, lag ein Pfirsich vor ihr. Sie stieß ihn weg. Tom schob ihn ihr liebenswürdig wieder zu; sie schob ihn nochmals fort, aber weniger heftig. Tom legte ihn geduldig zum dritten Mal auf ihren Platz. „Bitte – nimm, ich hab‘ noch mehr!“ Das Mädchen lächelte bei dieser Anrede, machte aber sonst kein Zeichen des Einverständnisses. Nun begann der Bursche etwas auf seine Tafel zu zeichnen, wobei er sein Werk sorgfältig mit der Hand bedeckte. Eine Zeitlang tat das Mädel gleichgültig; aber ihre Neugier begann sich doch bald bemerkbar zu machen durch begehrliche Blicke. Tom arbeitete weiter, ohne eine Ahnung davon. Das Mädel bewerkstelligte eine Art Verrenkung, um einen Blick auf Toms Werk werfen zu können, der aber merkte noch immer nichts.
Schließlich gab sie nach und flüsterte zögernd: „Laß mich sehen!“
Tom enthüllte sofort eine klägliche Karikatur eines Hauses mit zwei schiefen Giebeln und korkzieherförmigem Rauch über dem Schornstein. Das Interesse der Kleinen an dem Werk wurde immer lebhafter, sie vergaß alles darüber. Als es beendet war, betrachtete sie es einen Moment und flüsterte dann: „Zu niedlich! Mach einen Mann!“
Der Künstler errichtete im Vordergrund einen Mann, einen wahren Mastbaum. Er hätte mit Leichtigkeit über das Haus wegsteigen können; aber die Kleine war nicht kritisch. Sie war zufrieden mit dem Monstrum.
„Ein wundervoller Mann – jetzt mach mich, wie ich daher komme!“
Tom malte so etwas wie ein Zifferblatt, darüber einen Vollmond auf einem Strohhalm von Hals, und Arme, in deren ausgespreizten Fingern ein mächtiger Fächer steckte. Das Mädchen sagte: „Reizend, Tom. Ich wollte, ich könnte auch zeichnen.“
„‘s ist ganz leicht,“ flüsterte Tom, „ich will‘s dich lehren.“
„Ja, willst du? Wann?“
„Am Mittag. Gehst du zum Essen nach Haus?“
„Wenn du bleibst, bleib ich auch.“
„Na, gut also. – Wie heißt du denn?“
„Becky Thatcher. – Und du? Ach, ich weiß: Thomas Sawyer.“
„So heiß ich, wenn ich was getan hab‘. Wenn ich brav bin, nennt man mich Tom. Du wirst mich Tom nennen, nicht wahr?“
„Ja.“
Nun begann Tom etwas auf die Tafel zu kritzeln, was das Mädchen wieder nicht sehen sollte. Aber sie ließ sich nicht mehr abweisen. Sie verlangte, es zu sehen.
„Es ist nichts,“ sagte Tom gleichgültig.
„Es ist doch was.“
„Nein, es ist nichts. Du brauchst‘s nicht zu sehen.“
„Doch, ich will‘s sehen. Ich will. – Laß mich sehen, bitte!“
„Ich will‘s dir sagen.“
„Nein, ich will nicht – ich will, ich will, ich will es sehen!“
„Aber