könne und die würdiger und wertvoller seien, als das Gold, der Weihrauch und die Myrrhen der heiligen drei Könige. Die schönste Gabe sei ein durch seine Lehre bekehrtes Herz. Der Alte sprach von Liebe, Verzeihung und von der Pflicht eines jeden, Freund und Feind »im Namen Christi« zu trösten … Seine Worte waren wohl ungemein eindringlich … Wir alle verstanden, was er damit bezweckte und hörten ihm mit einem eigentümlichen Gefühl zu: wir beteten gleichsam, daß seine Worte ihren Zweck erreichten, und manchem von uns waren Tränen in die Augen getreten …
Plötzlich fiel etwas hin … Es war Onkels Stock … Man hob ihn auf, er rührte ihn aber nicht an: er saß tief gebückt, seine Hand hing über die Sessellehne herab, und seine Finger hielten einen der großen Türkise … Er ließ den Stein fallen, doch niemand beeilte sich, ihn aufzuheben …
Alle Blicke waren auf sein Gesicht gerichtet. Etwas Ungewöhnliches bot sich unseren Augen: er weinte!
Der Geistliche schob uns Kinder sanft zur Seite, ging auf den Onkel zu und erteilte ihm den Priestersegen.
Der Onkel hob das Gesicht, ergriff die Hand des Alten, küßte sie ganz unerwartet und sagte leise: »Danke!«
Dann blickte er Justin an und ließ Ferapont rufen.
Dieser erschien, bleich, mit verbundenem Arm.
»Hierher!« befahl ihm der Onkel, auf den Teppich vor seinem Sessel zeigend.
Chraposchka kam näher und fiel in die Knie.
»Steh auf!« sagte der Onkel. »Ich verzeihe dir.«
Chraposchka fiel wieder in die Knie. Der Onkel begann mit nervöser, aufgeregter Stimme:
»Du liebtest das Tier so, wie nicht jedermann einen Menschen zu lieben versteht. Du hast mich damit gerührt und in Großmütigkeit übertroffen. Höre nun meine Gnade: ich lasse dich frei und gebe dir hundert Rubel auf den Weg. Geh, wohin du willst.«
»Ich danke, werde aber nirgendwohin fortgehen,« rief Chraposchka aus.
»Was?«
»Ich gehe nirgendwohin fort,« wiederholte Ferapont.
»Was willst du denn?«
»Für Ihre Gnade will ich Ihnen jetzt als freier Mann noch treuer dienen, als ich bisher als Leibeigener diente.«
Der Onkel drückte mit der einen Hand das weiße Foulardtuch an seine Augen, durch die ein Zucken ging, und umarmte mit der anderen Ferapont … Wir alle erhoben uns von unseren Plätzen und verhüllten gleichfalls unsere Augen … Uns genügte das Gefühl, daß hier dem höchsten Gott die schönste Ehre erwiesen wurde und an Stelle der drückenden Angst der Friede Christi erblühte.
Dasselbe fühlten auch alle Leute im Dorfe, denen der Onkel einige Fässer Bier schicken ließ. Überall wurden Freudenfeuer angezündet, und die Menschen sprachen im Scherze:
»Heute haben wir erlebt, daß auch das Tier in die heilige Stille gegangen ist, um den Heiland zu preisen!«
Sganarells Spuren wurden nicht weiter verfolgt. Ferapont, der die Freiheit bekommen hatte, ersetzte bald den alten Justin und war nicht nur der treueste Diener, sondern auch der treueste Freund meines Onkels bis an dessen Ende. Er drückte ihm mit eigenen Händen die Augen zu und beerdigte ihn auf dem Waganjkow’schen Friedhofe zu Moskau, wo sich sein Grabstein bis zum heutigen Tage erhalten hat. Zu seinen Füßen ruht Ferapont.
Es gibt heute niemand, der diese Gräber mit Blumen schmücken könnte; aber in den Moskauer Kellerwohnungen und Asylen gibt es noch Menschen, die sich an einen schlanken, weißhaarigen Greis erinnern, der immer zu erraten wußte, wo echtes Leid verborgen war und rechtzeitig zu Hilfe eilte oder seinen guten Diener mit reichen Gaben schickte.
Diese beiden echten Wohltäter, von denen noch vieles zu sagen wäre, waren mein Onkel und Ferapont, den er im Scherze den »Tierbändiger« zu nennen pflegte.
INTERESSANTE MÄNNER
I
Im Hause einer mir befreundeten Familie erwartete man mit Ungeduld das Eintreffen des Februarheftes der Moskauer Zeitschrift »Mysl«. Diese Ungeduld war wohl begreiflich, weil in diesem Hefte eine neue Erzählung des Grafen Leo Tolstoi hatte erscheinen sollen. Ich kam nun fast täglich zu meinen Freunden, um das neue Werk unseres großen Dichters gleich nach Eintreffen der Zeitschrift in einer angenehmen Gesellschaft am runden Tisch beim milden Schein der Eßzimmerlampe zu lesen. Gleich mir kamen auch andere intime Freunde mit der gleichen Absicht fast jeden Abend hin. Das ersehnte Heft traf endlich ein, die Tolstoische Erzählung war aber darin nicht enthalten: ein kleiner rosa Zettel teilte den Abonnenten mit, daß die Erzählung nicht veröffentlicht werden könne. Alle waren enttäuscht und betrübt, und ein jeder zeigte es je nach seinem Charakter und Temperament: der eine runzelte die Stirne und schwieg, der andere schimpfte, der dritte suchte nach Parallelen zwischen der Gegenwart, die wir erlebten, der Vergangenheit, deren wir gedachten, und der Zukunft, die wir ersehnten. Ich aber blätterte schweigend in der Zeitschrift und durchflog die neue Skizze Gljeb Uspenskijs, eines der sehr wenigen russischen Literaten, die immer der Wahrheit des Lebens treu bleiben und nicht den sogenannten »Richtungen« zu Liebe lügen. Darum ist die Unterhaltung mit ihm immer angenehm und oft sogar nützlich.
Uspenskij erzählte diesmal von einem Gespräch mit einer älteren Dame, die ihm von der jüngsten Vergangenheit erzählt und die Meinung geäußert hatte, daß die Männer einst viel interessanter gewesen seien. In ihren engen Uniformen hätten sie zwar einen kühlen und reservierten Eindruck gemacht, dabei aber viel Begeisterung, Herzensglut, Edelsinn und andere Eigenschaften besessen, die den Menschen interessanter und anziehender machen. Alle diese Eigenschaften seien heute, meinte die Dame, nur sehr selten und oft gar nicht anzutreffen. Die Männer übten heute zwar freiere Berufe aus und kleideten sich auch viel ungezwungener, hätten zuweilen auch große Ideen im Kopfe, seien aber dabei alle nach der gleichen Form gestanzt, langweilig und uninteressant.
Die Bemerkungen der alten Dame erschienen mir durchaus treffend, und ich machte den Vorschlag, nicht länger über die Erzählung Tolstois, die wir nicht lesen konnten, zu trauern, sondern die Skizze Uspenskijs vorzunehmen. Mein Vorschlag wurde angenommen, und die von Uspenskij geäußerten Gedanken fanden allgemeine Zustimmung. Nun rückte ein jeder mit Erinnerungen und Vergleichen heraus. Unter den Anwesenden gab es einige, die den jüngst verstorbenen dicken General Rostislaw Faddejew gekannt hatten; man erzählte sich, wie ungewöhnlich interessant dieser Mann trotz seines gewöhnlichen, plumpen und wenig versprechenden Äußeren gewesen war. Wie er selbst im Alter die Aufmerksamkeit der klügsten und nettesten Damen zu fesseln vermochte und die blühendsten jungen Gecken aus dem Felde zu schlagen wußte.
»Ist es denn wirklich so erstaunlich?« sagte ein Herr, der älter als alle Anwesenden war und wohl auch einen klareren Blick hatte. »Ist es denn für einen so klugen Mann, wie es der verstorbene Faddejew war, schwer, das Interesse einer klugen Frau zu fesseln?! Die klugen Frauen fühlen sich immer ungemütlich. Erstens gibt es ihrer nur sehr wenige, und zweitens haben sie, da sie mehr als die andern verstehen, auch größeres Leid zu tragen; daher freuen sie sich so, wenn sie auf einen wirklich klugen Mann stoßen. Hier gilt der Satz: ‚Simile simili curatur‘ oder ‚gaudet‘ – ich weiß nicht, was richtiger ist. Sie alle und auch die Dame, deren Worte unser Dichter anführt, wählen ihre Beispiele unter den Männern von hervorragender Begabung und Bedeutung; weit bemerkenswerter ist es aber meines Erachtens, daß man einst auch auf weit tieferen Stufen ungemein lebendige und anziehende Persönlichkeiten, die man ‚interessante Männer‘ zu nennen pflegte, antreffen konnte. Auch die Damen, auf die sie solchen Eindruck machten, gehörten nicht zu den Auserwählten, die imstande sind, einen Mann mit hervorragenden Geistesgaben zu vergöttern; selbst unter den allergewöhnlichsten Durchschnittsfrauen gab es viele von hervorragender Empfindsamkeit. In ihnen war wie in tiefen Wassern eine latente Wärme enthalten. Solche Durchschnittsmenschen halte ich für viel bemerkenswerter als die Lermontowschen Charaktere, in die sich selbstverständlich jeder verlieben mußte.«
»Haben Sie einmal einen solchen Durchschnittsmenschen mit der latenten Wärme der tiefen Wasser gekannt?«
»Gewiß.«
»Erzählen Sie uns also von