Fürst Artur

Die Welt auf Schienen


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1. Dezember 1838 war auch die erste Staatsbahn in Deutschland eröffnet worden, die Strecke von Braunschweig nach Wolfenbüttel und Harzburg. Diese Linie ist besonders bemerkenswert auch dadurch, daß sie im Jahre 1869 an eine Aktiengesellschaft verkauft wurde, was der einzige Fall des Übergangs einer deutschen Staatsbahn in nicht öffentlichen Besitz geblieben ist.

      Im Jahre 1845 waren in Deutschland bereits 2162 Eisenbahnkilometer vorhanden. Überall wurden jetzt Schienenwege gebaut. Auch die Kleinstaaten blieben vom Eisenbahnfieber nicht verschont. Sogar der Herzog Alexander von Anhalt-Bernburg, fühlte sich zu dem Ausruf veranlaßt: „Ich muß eine Eisenbahn in meinem Land haben, und wenn sie mich tausend Taler kosten sollte!“

      Doch trotz der immer wachsenden Ausbreitung fehlte dem Netz noch jede Geschlossenheit. „Von Berlin konnte man“, nach von Mühlenfels, „im Norden nur Stettin, im Osten nur Frankfurt a. O., im Süden Dresden, Leipzig, Werdau erreichen. Nach Westen gelangte man über Magdeburg bis Halberstadt, über Oschersleben nach Braunschweig, Harzburg und Hannover. Aber zwischen Frankfurt a. O. und Bunzlau, zwischen Werdau und Nürnberg, Halle und Frankfurt a. M., zwischen Hannover und dem Rheinland klafften große Lücken. Im Südosten bestand nur die Linie Bunzlau, Liegnitz, Breslau, Oppeln und Schwientochlowitz, in Bayern waren, außer der Ludwigs-Bahn, Nürnberg-Magdeburg, Augsburg-Donauwörth und München-Augsburg fertig. Frankfurt a. M. und Nassau hatten nur die Taunusbahn, dann die Strecke von Mannheim bis Freiburg, am Rhein war Köln mit Bonn und Aachen, Deutz mit Düsseldorf, Aachen mit Herbestal, Elberfeld mit Düsseldorf verbunden. In Württemberg, das im Jahre 1843 ein Gesetz über den Bau von Eisenbahnen erließ, eröffneten 1845 die Staatsbahnen ihre erste Strecke von Cannstatt nach Eßlingen. Im Norden waren Altona-Kiel und Neumünster-Rendsburg im Betrieb.“

      Fortab machte sich dann der Wunsch nach einem planmäßigen Ausbau geltend. Sehr viel hierzu beigetragen hat ein Zusammenschluß verschiedener Verwaltungen, dessen Folgen segensreich bis zum heutigen Tag fortwirken. Auf Einladung der Privatbahngesellschaft Berlin-Stettin traten am 10. November 1846 zehn Verwaltungen zur Beratung gemeinschaftlicher Maßnahmen zusammen. Es wurde ein dauernder Verband der preußischen Eisenbahnen errichtet, aus dem schließlich der heute noch bestehende Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen hervorging. Im Jahre 1910 umfaßte diese Vereinigung 63 Verwaltungen und zwar 40 deutsche, 15 österreichisch-ungarische, 4 niederländische, eine luxemburgische, eine belgische, eine rumänische und eine russische. Fast ein Drittel aller europäischen Bahnstrecken war bereits in diesem Jahr angeschlossen. Die Vereinstätigkeit hat sich auf die Herbeiführung gleichmäßiger Beförderungseinrichtungen, Aufstellung wichtiger technischer Grundsätze und gemeinschaftliche Wagenbenutzung erstreckt. Die Allgemeinheit hat den größten Nutzen aus diesem Wirken gezogen, das in den folgenden Abschnitten noch sehr häufig zu erwähnen sein wird.

      Für die Herbeiführung eines geschlossenen deutschen Eisenbahnnetzes waren ferner die Überbrückungen der großen deutschen Ströme sehr wichtig. In den Jahren 1856 bis 1865 wurden der Rhein bei Köln, Mannheim und Kehl, die Weichsel bei Dirschau, die Nogat bei Marienburg mit eisernen Jochen überspannt.

      Nachdem in Preußen lange die Privatbahnen allein geherrscht hatten und der Staat sich nur in loserer Form an den Unternehmungen beteiligt hatte, brachte das Jahr 1879 durch das zielbewußte Vorgehen des Eisenbahnministers von Maybach den Übergang zum Staatsbahnsystem. In den folgenden dreißig Jahren wurden in Preußen nicht weniger als 16 200 Kilometer Privatbahnen im Wert von 412 Milliarden Mark verstaatlicht. Da zu gleicher Zeit auch der Staat selbst viele neue eigene Linien baute, so entstand allmählich das größte Erwerbsunternehmen, das es heute auf der Erde gibt: die preußische Staatsbahn.

      Als die Verstaatlichung der hessischen Ludwigs-Bahn notwendig erschien, deren Linien zum Teil auf preußischem, zum Teil auf hessischem Gebiet lagen, kam ein Staatsvertrag zwischen den zwei Ländern über die gemeinschaftliche Verwaltung des beiderseitigen Eisenbahnbesitzes zustande. Seit 1896 besteht demzufolge die preußisch-hessische Eisenbahn. Man glaubte damals, daß auch andere deutsche Bundesstaaten dem Beispiel Hessens folgen und sich an Preußen unmittelbar anschließen würden. Diese Hoffnung ist nicht in Erfüllung gegangen, eine einheitliche deutsche Reichseisenbahn besteht bis zum heutigen Tag nicht.

      Seit 1908 ist der deutsche Staatsbahnwagenverband errichtet, der die freie Benutzung aller deutschen Güterwagen ohne Berücksichtigung des Eigentumsrechts der einzelnen Verwaltungen gestattet. Dadurch ist eine sehr bedeutende Ersparnis infolge Verringerung der Leerläufe erreicht worden. Die Güterwagenverteilung für ganz Deutschland erfolgt seitdem durch das beim Eisenbahnzentralamt in Berlin errichtete Hauptwagenamt. Auch über diese beispiellos großartige Verkehrsvermittlungsstelle wird noch ausführlich zu sprechen sein.

      Am Schluß dieses Rückblicks auf die Geschichte der Eisenbahn möge eine Zusammenstellung der Eröffnungszeiten einiger geschichtlich besonders wichtiger Strecken Platz finden:

      • Stockton-Darlington: 1825

      • Manchester-Liverpool: 1830

      • Brüssel-Mecheln (erste Lokomotivbahn auf dem Festland): 1835

      • Nürnberg-Fürth (erste Eisenbahnstrecke in Deutschland): 1835

      • Berlin-Potsdam (erste Strecke in Preußen): 1838

      • Braunschweig-Wolfenbüttel (erste deutsche Staatsbahn): 1838

      • Leipzig-Dresden: 1839.

      Die Gegenwart

      9. Eine Fahrt von Berlin nach Halle

      An einem sonnenhellen Julitag im Anhalter Bahnhof zu Berlin.

      In der großen Vorhalle drängt sich um die Schalter eine dichte Menge in fröhlichster Ferienstimmung. Kaum zwanzig Schritt vom Berliner Innenverkehr getrennt, sind die Geister bereits vollkommen der Stadt abgewendet. In dem Augenblick, da das Eingangstor des Bahnhofs durchschritten ist, fühlt sich ein jeder losgelöst von der Gegenwart, getrennt von dem Ort, an dem er sich befindet. Was eben noch fernab lag, ist plötzlich näher gerückt, das oft viele hundert Kilometer entfernte Reiseziel scheint bereits in greifbarer Nähe zu liegen; denn jeder der Reiselustigen sieht mit dem geistigen Auge vor sich den glatten, hindernisfreien, stählernen Weg, der vom Anhalter Bahnhof bis zu jenem Ort hinführt.

      So rasch es geht, macht jeder Reiselustige den Schienenpfad zu seinem Diener, indem er eine ganz einfache Handlung vollzieht: das Lösen der Fahrkarte. Hinter den Schalterfenstern treten die Beamten unausgesetzt an die weit gedehnten Schränke, entnehmen ihnen mit schnellem Griff die Fahrkarten, drücken einen Preßstempel darauf und häufen die entrichteten Beträge in den Kassen an. An manchen Ausgabestellen sind keine Schränke mehr vorhanden, an ihrer Stelle steht eine langgestreckte Maschine, auf der fortwährend ein Schlitten geschoben und eine vielfach beschriebene Walze gedreht wird. Hierauf werden die geforderten Fahrkarten stets frisch gedruckt.

      Droben in der eigentlichen Bahnhofshalle hängt am Kopfende des letzten Ausfahrgleises eine Tafel mit der Aufschrift: „Schnellzug (D-Zug, zuschlagpflichtig) nach München über Halle, Nürnberg“. Das Gleis selbst ist noch leer, die Sperre geschlossen. Vor der schmalen Pforte stellen sich allmählich immer mehr und mehr mit Karten versehene Fahrgäste auf. Sie stehen im tiefen Schatten des schweren Hallendachs und blicken sehnsüchtig durch die drei schön gewölbten Endbogen des Bahnhofs hinaus in den hellen Sonnenschein, der auf den blanken Schienen funkelnde Lichter hervorruft, auf diesen Schienen, die einen ununterbrochenen, verbindenden Strang mit dem Reiseziel herstellen.

      Nun fällt ein Schatten auch auf die Schienen. Still und langsam wird der Zug in die Halle geschoben. Unsichtbar für die vor der Sperre Wartenden liegt vor ihm eine kleine, pustende Verschiebelokomotive, welche die Wagen geschickt und vorsichtig bis in die Nähe des Endprellbocks drückt. Nachdem dies geschehen ist, wird die Kupplung des ersten Wagens von der Maschine gelöst, und diese fährt eifrig puffend davon.

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