nicht zu weich,
bald zugleich, bald nicht zugleich.
Nicht zu langsam, nicht zu schnelle,
nicht stets auf die gleiche Stelle.
Halb gebissen, halb gehaucht,
halb die Lippen eingetaucht,
nicht ohn’ Unterschied der Zeiten,
mehr allein denn vor den Leuten.
Küsse nun ein jedermann,
wie er weiß, will, soll und kann!
Ich nur und die Liebste wissen,
wie wir uns recht sollen küssen.
Das Gespenst
von
Christian Fürchtegott Gellert
Ein Hauswirt, wie man mir erzählt,
ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält.
Er ließ, des Geist’s sich zu erwehren,
sich heimlich das Verbannen lehren;
doch kraftlos blieb der Zauberspruch.
Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren
und gab, in einem weißen Tuch,
ihm alle Nächte den Besuch.
Ein Dichter zog in dieses Haus.
Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen,
bat sich des Dichters Zuspruch aus,
und ließ sich seine Verse lesen.
Der Dichter las ein frostig Trauerspiel,
das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel.
Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah,
erschien und hörte zu; es fing ihn an zu schauern;
er konnt es länger nicht, als einen Auftritt, dauern;
denn eh der andre kam, so war er nicht mehr da.
Der Wirt, von Hoffnung eingenommen,
ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen.
Der Dichter las; der Geist erschien;
doch ohne lange zu verziehn.
„Gut!“ sprach der Wirt bei sich, „dich will ich bald verjagen;
kannst du die Verse nicht vertragen?“
Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein,
sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst sich blicken;
„Johann!“ fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein,
„der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein,
und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken.“
Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand,
der Diener sollte ja nicht gehen.
Und kurz, der weiße Geist verschwand,
und ließ sich niemals wieder sehen.
Ein jeder, der dies Wunder liest,
zieht sich daraus die gute Lehre,
daß kein Gedicht so elend ist,
das nicht zu etwas nützlich wäre.
Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut,
so kann uns dies zum großen Troste dienen.
Gesetzt, daß sie zu unsrer Zeit
auch legionenweis erschienen:
so wird, um sich von allen zu befrein,
an Versen doch kein Mangel sein.
Der gute Rat
von
Christian Fürchtegott Gellert
Ein junger Mensch, der sich vermählen wollte
und dem man manchen Vorschlag tat,
bat einen Greis um einen guten Rat,
was für ein Weib er nehmen sollte?
„Freund,“ sprach der Greis, „das weiß ich nicht.
So gut man wählt, kann man sich doch betrügen.
Sucht ihr ein Weib bloß zum Vergnügen,
so wählet euch ein schön Gesicht;
doch liegt euch mehr an Renten und am Staate
als am verliebten Zeitvertreib:
so dien ich euch mit einem andern Rate,
bemüht euch um ein reiches Weib;
doch strebt ihr durch die Frau nach einem hohen Range,
nun, so vergeßt, daß bessre Mädchen sind,
wählt eines großen Mannes Kind,
und untersucht die Wahl nicht lange;
doch wollt ihr mehr für eure Seele wählen
als für die Sinne und den Leib:
so wagt’s, um euch nach Wunsche zu vermählen,
und wählt euch ein gelehrtes Weib.“
Hier schwieg der Alte lachend still.
„Ach,“ sprach der junge Mensch, „das will ich ja nicht wissen,
ich frage, welches Weib ich werde wählen müssen,
wenn ich zufrieden leben will?
Und wenn ich, ohne mich zu grämen – “
„O,“ fiel der Greis ihm ein, „da müßt ihr keine nehmen.“
Der sterbende Vater
von
Christian Fürchtegott Gellert
Ein Vater hinterließ zween Erben,
Christophen, der war klug, und Görgen, der war dumm.
Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben
sah er sich ganz betrübt nach seinem Christoph um.
„Sohn,“ fing er an, „mich quält ein trauriger Gedanke,
du hast Verstand, wie wird dir’s künftig gehn?
Hör’ an, ich hab’ in meinem Schranke
ein Kästchen mit Juwelen stehn,
die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn,
und gib dem Bruder nichts davon.“
Der Sohn erschrak und stutzte lange.
„Ach Vater,“ hub er an, „wenn ich so viel empfange,
wie kommt alsdann mein Bruder fort?“
„Er?“ fiel der Vater ihm ins Wort,
„für Görgen ist mir gar nicht bange,
der kommt gewiß durch seine Dummheit fort.“
Die Widersprecherin
von
Christian Fürchtegott Gellert
Ismene hatte noch, bei vielen andern Gaben,
auch diese, daß sie widersprach.
Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach,
daß alle diese Tugend haben;
doch, wenn’s auch tausendmal der ganze Weltkreis spricht:
so halt ich’s doch für ein Gedicht,
und sag es öffentlich: Ich glaub es ewig nicht.
Ich bin ja auch mit mancher Frau bekannt,
ich