Alfred Wegener

Die Entstehung der Kontinente und Ozeane


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verschieben sollte24. Von direkten Anklängen an die im folgenden vertretenen Anschauungen sind mir nur folgende Schriften zu Gesicht gekommen:

      H. Wettstein 25 stellt sich die Erdrinde als fließend vor. Die Kontinente, deren Schelfe er allerdings nicht mit berücksichtigt, sind horizontal verschiebbar und erleiden bei den Verschiebungen starke Deformationen. Alle Kontinente wandern nach Westen, gezogen durch die Flutkräfte der Sonne im festen Erdkörper26. Die Ozeane hält er jedoch für versunkene Kontinente, und über die „geographischen Homologien“ und andere Probleme des Erdantlitzes äußert er phantastische Vorstellungen, die wir hier übergehen.

      Im Jahre 1907 hat Pickering27 die wegen der Parallelität der Küsten ja naheliegende Vermutung ausgesprochen, Amerika sei von Europa-Afrika abgerissen und um die Breite des Atlantik fortgezogen worden. Aber er denkt sich diesen Vorgang leider verbunden mit der von G. H. Darwin angenommenen einstmaligen Abschleuderung der Mondmasse von der Erde28, deren Spur man noch im pazifischen Becken sehe, und verlegt damit die Entstehung des Atlantik in eine graue Vorzeit.

      Am nächsten kommt eine Arbeit von Taylor29 der Verschiebungstheorie. Er nimmt speziell im Tertiär bedeutende horizontale Verschiebungen der Kontinente an und bringt sie teilweise mit den großen tertiären Faltungssystemen in Zusammenhang. Für die Lostrennung Grönlands von Nordamerika kommt er zur gleichen Vorstellung wie die Verschiebungstheorie. Beim Atlantik nimmt er jedoch an, daß nur ein Teil seiner Breite durch Fortziehen der amerikanischen Schollen entstanden sei, während der Rest abgesunken sei und die mittelatlantische Bodenschwelle darstelle. Er sieht in der „Polflucht“ des Landes das gestaltende Prinzip für die Anordnung der großen Gebirgsketten auf der Erde und begegnet sich dabei mit Kreichgauer. Die Verschiebung von Kontinenten spielt bei ihm eine untergeordnete Rolle und wird nur sehr kurz begründet.

      Als Geophysiker lernte ich diese Arbeiten naturgemäß erst kennen, als ich mich bei der Ausarbeitung der Verschiebungstheorie in der geologischen Literatur umsah. Die erste Idee der Kontinentalverschiebungen kam mir einst bei Betrachtung der Weltkarte unter dem unmittelbaren Eindruck von der Parallelität der atlantischen Küsten. Erst nach Jahr und Tag, als ich zufällig mit den paläontologischen Ergebnissen über frühere Landverbindungen im Süd- und Nordatlantik bekannt wurde, entschloß ich mich, die in Betracht kommenden Wissenschaften systematisch auf die Wahrscheinlichkeit solcher großen Verschiebungen zu durchmustern. 1912 erfolgten die ersten beiden Veröffentlichungen der Verschiebungstheorie30, denen 1915 die ausführlichere Darstellung in der ersten Auflage dieser Arbeit folgte.

      Zweites Kapitel.

      Die Natur der Tiefseeböden

Fig. 2.

      Schematischer Querschnitt durch einen Kontinentalrand.

      Die Theorie von der Verschiebung der Kontinente findet ihre tiefere physikalische Begründung erst durch eine neue Auffassung über die Natur der Tiefseeböden, die wir in dem Satz formulieren können: Die Tiefseeböden sind nicht Teile der Lithosphäre, sondern bestehen bereits aus dem schwereren Material der Barysphäre. Die oberste Erdhaut, die Lithosphäre, soll also nicht mehr die ganze Erde umspannen, sondern in Gestalt der Kontinentalschollen nur noch etwa ein Drittel der Erdoberfläche bedecken, während auf den übrigen zwei Dritteln der Erdoberfläche bereits die Barysphäre entblößt ist. Fig. 2 zeigt schematisch einen Vertikalschnitt durch einen Kontinentalrand nach der neuen Anschauung.

      Der entscheidende Grund für die Richtigkeit dieser neuen Annahme ist die Existenz eines doppelten Häufigkeitsmaximums in den Höhenstufen der Erdrinde. Aus der Statistik dieser Höhenstufen geht mit außerordentlicher Deutlichkeit hervor, daß die ganze Erdoberfläche in zwei um rund 5000 m verschiedenen Niveauflächen angeordnet ist, die abwechselnd nebeneinander vorkommen und uns als Oberflächen der Kontinente und Tiefseeböden entgegentreten. Die bekannte „hypsometrische Kurve der Erdoberfläche“ (Fig. 3) gibt ein anschauliches Bild davon. Zahlenmäßig stellt sich die Häufigkeit folgendermaßen31:

      Das mittlere Krustenniveau, das bei 2,3 km Tiefe liegt, kommt also nur selten vor, und es bestehen zwei Häufigkeitsmaxima für die Höhen 0–1 km und die Tiefen 4–5 km; auf diese beiden Abschnitte entfallen allein fast 60 Proz. der gesamten Erdoberfläche. Wir können die Lage der Maxima noch genauer ermitteln, wenn wir innerhalb ihrer Stufen noch Unterstufen bilden. Es ergibt sich dabei:

      und

Fig. 3.

      Hypsometrische Kurve der Erdoberfläche, nach Krümmel.

      Die beiden Maxima liegen also bei einer Tiefe von etwa 4700 m und einer Erhebung von etwa 100 m. Bei der großen Wichtigkeit, welche der Gegenstand besitzt, seien diese Verhältnisse nochmals in anderer Weise in Fig. 4 veranschaulicht. Die als Abszissen dienenden Prozentzahlen beziehen sich auf Höhenstufen von 100 m Dicke. Bei diesen Zahlen ist noch zu beachten, daß mit der Zunahme der Lotungen der Steilabfall vom Kontinental- oder Schelfrand zur Tiefsee sich immer schroffer zeigt, wie jeder Vergleich älterer Tiefenkarten mit den neuen von Groll32 entworfenen zeigt. Es ist daher zu erwarten, daß die beiden Häufigkeitsmaxima sich in Zukunft als noch steiler herausstellen werden, als sie es nach den bisher vorliegenden Beobachtungen tun.

Fig. 4.

      Die beiden Häufigkeitsmaxima der Höhen.

      Auf dem ganzen Gebiet der Geophysik gibt es wohl kaum eine zweite Erscheinung, die ein so klares Gesetz erkennen läßt wie diese Höhenstatistik der Erdrinde. Es ist deshalb sehr merkwürdig, daß bis zu meinen ersten Veröffentlichungen darüber anscheinend noch von keiner Seite her ein Versuch zu einer Erklärung dieses Gesetzes gemacht worden ist, obwohl es doch schon so lange bekannt ist. Nur Sörgel33 hat in seiner Polemik gegen die hier vertretenen Kontinentalverschiebungen den Versuch gemacht, dieses doppelte Niveau auf andere Weise zu erklären, in der richtigen Erkenntnis, daß die von mir gegebene einfache Erklärung eine starke Stütze für die Verschiebungstheorie darstellt. Aber seine Darstellung ruht auf einer irrigen Überlegung. Durch Hebungen und Senkungen, also Störungen des vorgegebenen Gleichgewichtsniveaus, können nur dann zwei verschiedene Häufigkeitsmaxima der Höhen entstehen, wenn physikalische Ursachen für die Bevorzugung dieser beiden bestimmten Höhen vorhanden sind. Ist dies, wie bei uns, nicht der Fall, so regelt sich die Häufigkeit der Höhen nach dem Gaußschen Fehlergesetz, d. h. wir erhalten nur ein Häufigkeitsmaximum etwa in der Gegend des mittleren Krustenniveaus (-2300 m), und die Störungen werden um so seltener, je größer sie sind (vgl. die gestrichelte Linie in Fig. 4).

      Die statt dessen vorhandene Duplizität des Häufigkeitsmaximums verlangt also auch eine Duplizität des ungestörten Ausgangsniveaus. Handelt es sich aber wirklich um zwei verschiedene Niveauflächen, die nebeneinander vorkommen, so bedeutet dies, daß wir es mit zwei verschiedenen Schichten des Erdkörpers zu tun haben: Die Kontinente gehören der Lithosphäre, die Tiefseeböden der Barysphäre der Erde an. Dieser Schluß erscheint uns durchaus unvermeidlich34.

      Daß die Schweremessungen über den Ozeanen durch diese Annahme des gänzlichen Fehlens der Lithosphäre