Jakob Wassermann

Melusine: Ein Liebesroman


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Takt der Herzschläge. Sie war wie besinnungslos. „Das Licht sollte ich auslöschen,“ flüsterte sie. „Aber nein, nein, nein,“ entschied sie dann trotzig, „es mag brennen bleiben.“ Und sie nickte der Flamme flüchtig zu.

      Sie spannte den Hahn und drückte. Es knackte wohl, aber der Schuß ging nicht los. Sie wartete einige Sekunden. Sie war verstört, einer Ohnmacht nahe. Sie probirte am Schloß der Waffe, aber ihre Bemühungen waren erfolglos.

      Sie setzte sich aufs Sofa. Die Füße waren bleischwer. Die alte Unruhe und die alte Angst kamen wieder. „Nun, ich werde morgen zu dem Verkäufer gehen und den Revolver untersuchen lassen,“ beschloß sie achselzuckend. Sie wußte genau, daß sie diesen Vorsatz nicht ausführen würde.

      Man klopfte an die Thür. Die Magd bat zum Abendessen. Mely, froh, daß ihr Alleinsein ein Ende habe, kleidete sich rasch um, verlöschte die Kerze und ging hinaus.

      Als sie das Eßzimmer betrat, sah sie einen jungen Mann am Tisch sitzen. Frau Bender stellte vor: „Herr Falk – Fräulein Mirbeth.“

      VI

      „Herr Falk hat sich entschlossen, bei uns zu essen,“ erklärte Frau Bender. „Er will seine Einsamkeit endlich ein bischen verlassen.“

      Mely antwortete mit einer höflichen Grimasse. Sie betrachtete ihren grauen Schlafrock und ärgerte sich, daß sie nicht eleganter erschienen war. „Wo ist denn Fräulein von Erdmann heute?“ fragte sie.

      „Herr Doktor Brosam besucht mit ihr das Theater,“ erwiderte Frau Bender lachend. „So zum Abschied, wissen Sie. Ach, sie liebt ihn doch so,“ flötete sie mit komischer Innigkeit.

      „Ja, denken Sie, und nicht einmal ein Liebesdrama wird aufgeführt,“ sagte die boshafte Helene.

      „Wir bekommen jetzt eine noch ältere Dame, ein Fräulein von Mahnke,“ erzählte die Hausfrau. „Auch eine Gelehrte oder so was Ähnliches.“

      „Hoffentlich nur was Ähnliches, denn etwas Schlimmeres gibt es nicht,“ bemerkte Falk. Er hatte bis jetzt seine junge Nachbarin noch nicht betrachtet. Nun sah er sie an, wandte aber sofort den Blick wieder ab.

      „Wie werden Sie da erst über mich urteilen!“ sagte Mely.

      „Warum?“

      „Fräulein Mirbeth malt,“ erläuterte Helene, das letzte Wort ironisch betonend.

      „Ach, eigentlich nur ein wenig. Ich lerne ja noch,“ setzte Mely hinzu. „Ich habe nicht viel Talent und nicht viel Lust. Aber ich muß,“ fügte sie rasch bei, als sie den erstaunten Blick des jungen Mannes bemerkte. „Ich muß,“ wiederholte sie schüchtern. „Man muß doch etwas sein.“

      „So–o! – Was malen Sie? Porträt?“

      „Landschaft – nur Landschaft,“ sagte sie mit blitzenden Augen, denn der geringschätzige Ton seiner Stimme reizte sie. „Sie wollen wohl auch, daß die Frauen stumpfsinnig bei der Kocherei und bei der Näherei bleiben?“ fragte sie, schon erschreckend über ihre Kühnheit.

      „Nein, nein,“ entgegnete Falk stirnrunzelnd. „Sie müssen schon verzeihen“ – er errötete und machte eine linkische Geste – „aber ich meine, wen es dazu treibt, der soll’s treiben. Das ist ja selbstverständlich. Ich spreche ungern darüber, weil man immer dieselben Dinge sagen muß. Gewiß, die Frau soll nicht beschränkt sein in dem, was sie thut, aber auf zehn talentvolle Männer wird doch höchstens eine talentvolle Frau kommen, die es auch um der Sache willen thut. Bei den meisten Frauen ist die Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst nichts als eine verfehlte Heirat. Aber das ist ja alles so oft gesagt worden und so selbstverständlich.“

      „Ja, Sie haben recht,“ pflichtete Mely bei. Sie sah Vidl Falk ein wenig träumerisch an, ohne sich dessen bewußt zu werden. Durch ein verstecktes Lächeln, das um seine Lippen spielte, erwachte sie gleichsam, und errötend pickte sie mit den Fingern die Brotkrumen vom Tischtuch.

      Das Mahl ging unter gleichgültigen Gesprächen zu Ende.

      „Sie sehen sehr abgespannt aus, Fräulein,“ sagte Falk beim Thee zu Mely. „Als ob Sie eine große Fußreise gemacht hätten.“

      „Ja, ich habe Kopfweh,“ entgegnete sie rasch mit gesenkten Lidern. Seltsam, aufs neue, aufs quälendste erwachte gerade in diesem Augenblick die Reue in ihr. Die Worte Falks erwärmten sie. So vergessen von aller Welt erschien sie sich, daß diese in fast besorgtem Ton gemachte Bemerkung, die doch möglicherweise eine bloße Redensart sein konnte, ihr wie eine Liebkosung erschien. Sie preßte die Hand an die Stirn, wie um zu beweisen, daß sie große Schmerzen habe.

      Frau Bender hatte um Entschuldigung gebeten. Sie lag auf dem Divan und war dort eingeschlafen. Helene, in der altjüngferlichen Haltung, die ihr oft eigen war, saß im Stuhl zurückgelehnt und hörte zu, bald Beifall lächelnd, bald grundlos errötend. Eine Riesenrose aus Kreppstoff hing über dem Milchglassturz der Hängelampe und hüllte die eine Hälfte des Raumes in Dunkelheit. Der Divan mit der schlafenden Frau Bender, das Pianino, die Thüre nach dem Schlafzimmer der Familie und ihre braunen Portieren, ein Stahlstich nach einem Hobbema und ein Genrebildchen von Horstik, – das alles lag in Dämmerung. Falk rauchte, und der blaue Dunst schwebte in Schlangenlinien, in feinen Schleiern, in verschnörkelten Figuren, gegen das Licht, über welchem er, von dem heißen Luftstrom erfaßt, blitzschnell nach der Decke emporwirbelte.

      „Haben Sie sehr große Schmerzen?“ fragte Falk. „Ich kann sie lindern. Oft schon hab’ ich das gethan. Ich brauche nur die Hand auf Ihre Stirn zu legen.“

      „Nein –?“

      „Gewiß, – gewiß,“ beteuerte er und seine Augen funkelten. Er stand auf und stellte sich vor Mely hin. Dann nahm er ihre beiden Hände in seine beiden und forderte sie auf, ihn unverwandt anzublicken. Sie zögerte lange, mit scheuem Lächeln streifte sie die überlegen dreinschauende Helene, und endlich wagte sie es, den jungen Mann anzusehen. Aber sie ertrug es nicht, sie mußte den Blick zu Boden senken. Auch schämte sie sich, daß sie gelogen hatte, denn in Wahrheit hatte sie gar keine Schmerzen. Doch es war, als ob sein Blick sie zwänge die Augen aufzuschlagen, und sie gehorchte. Sie begegnete seinem Blick und ein paar Sekunden lang sah sie ihn ganz starr an. Dabei lag etwas Staunendes in ihren Augen und zugleich etwas Flehendes.

      Er nahm nun ihre zwei Hände in seine Rechte. Ihre Hände waren kalt wie Stein und glatt und trocken. Mit seiner Linken bedeckte er ihre Stirn. Da schüttelte sie energisch den Kopf, und unwillig stand sie auf. Falk war bestürzt, aber nur deshalb, weil er nicht länger in diese glänzenden Augen sehen konnte, in denen sich der Augapfel so überaus rein von dem milchigen Weiß des übrigen Auges abhob.

      „Sehen Sie nur her!“ rief Mely am Fenster, Helene und Falk traten zu ihr und schoben die Gardine zurück. Der erste Schnee war gefallen. Er bedeckte die Dächer und die ganze Straße und die Höfe und die Gärten, wie Konditoreiwaren mit Zucker bestreut sind. Auch der Mond stand am Himmel, gerade zwischen zwei Schlöten eines Nachbarhauses. Alles war grün von seinem Licht.

      Wie fremd fühlte sich Mely ihren früheren Leiden gegenüber! Es war ihr zu Mute, als lägen Jahre dazwischen. Nicht daß sie gewaltsam die Augen vor Gefahren geschlossen hätte, – sie sah keine Gefahren mehr. Sie kam sich auch gar nicht mehr vereinsamt vor. So schnell wechselte ihre Stimmung, so sehr konnte sie sich der Behaglichkeit eines Moments hingeben.

      „Haben Sie immer noch Kopfschmerz?“ fragte Falk.

      Sie verneinte und schämte sich aufs neue ihrer Lüge. Dabei fragte sie sich, warum sie eigentlich gelogen und warum ihr diese Lüge gerade jetzt peinlich sei. Wieviel Lügen hatte sie schon gesagt, ohne viel nachzudenken. „Sie wollten mich wohl hypnotisiren?“ fragte sie, den jungen Mann furchtsam anblickend.

      „Bei Ihnen wär’ es nicht schwer,“ erwiderte er. „Wollen Sie?“

      „Nein, niemals!“ rief sie erschrocken. „Nicht wahr, da kann man einem alle Geheimnisse entlocken?“

      „O –!“ machte Falk.

      Jetzt denkt er sicher, ich sei dumm, dachte Mely. Ich sehe es deutlich an seinem Lächeln. Bah, das macht ja nichts.

      „Es