und sich in seiner ganzen Größe zeigte, die der des Schneemanns in nichts nachgab.
„Es knackt so eigentümlich in mir!“ sagte er. „Soll ich dort nie hineinkommen? Es ist mein höchster Wunsch, mein einziger Wunsch, und es würde fast ungerecht sein, wenn er nicht befriedigt würde. Ich muß hinein, ich muß mich an ihn lehnen, und sollte ich auch das Fenster zerschlagen!“
„Dort kommst du nie hinein!“ sagte der Kettenhund, „und kämest du wirklich zum Kachelofen, dann wärest du weg, weg!“
„Ich bin jetzt schon so gut wie weg,“ sagte der Schneemann, „ich zerbreche, glaube ich.“
Den ganzen Tag stand der Schneemann da und sah zum Fenster hinein. In der Dämmerung wurde die Stube noch traulicher. Aus dem Kachelofen leuchtete es so mild, wie weder Mond noch Sonne leuchten kann, nein, wie nur der Kachelofen zu leuchten vermag, wenn etwas in ihm steckt. Ging die Thüre auf, so schlug die Flamme hinaus, es war so ihre Gewohnheit. Des Schneemannes weißes Antlitz wurde dann von einer flammenden Röte übergossen, und auch seine Brust leuchtete in rötlichem Glanze.
„Ich halte es nicht aus,“ sagte er. „Wie schön es ihn kleidet, die Zunge herauszustrecken.“
Die Nacht war sehr lang, aber dem Schneemann kam sie nicht so vor. Er stand in Gedanken versunken, und sie erfroren, daß sie knackten.
Früh morgens waren die Kellerfenster zugefroren; sie trugen die schönsten Eisblumen, die ein Schneemann nur verlangen kann, allein sie verbargen den Kachelofen. Die Scheiben wollten nicht auftauen, er konnte die Flamme nicht mehr sehen. Es knackte, es war eben im herrlichsten Frostwetter, über das sich ein jeder Schneemann freuen muß, aber er freute sich nicht darüber. Er hätte sich glücklich fühlen können und dürfen, aber er war nicht glücklich, er litt eben gar zu sehr am „Kachelofenweh“.
„Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann,“ sagte der Kettenhund; „ich habe auch einmal an derselben Krankheit gelitten, habe sie aber überstanden. Weg, weg! – Jetzt bekommen wir Witterungswechsel.“
Und Witterungswechsel trat ein, es schlug in Tauwetter um. Das Tauwetter nahm zu, der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und das ist das echte Zeichen.
Eines Morgens stürzte er zusammen. Es ragte etwas einem Besenstiel Ähnliches dort in die Höhe, wo er gestanden hatte. Um diesen Gegenstand, der ihm Halt verleihen sollte, hatten ihn die Knaben aufgerichtet.
„Nun kann ich seine Sehnsucht verstehen!“ sagte der Kettenhund. „Der Schneemann hat eine Ofenkratze im Leibe gehabt. Sie war es, die sich in ihm bewegt hat. Nun hat er es überstanden. Weg, weg!“
Und bald war auch der lange, böse Winter überstanden.
„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund; aber die kleinen Mädchen sangen auf dem Hofe:
„Schießt auf, ihr Blümlein, frisch und hold,
Zeig’, Weide, deine Woll’ wie Gold!
Ihr Vöglein kommt, singt hell und klar,
Schon ist der letzte Februar,
Ich singe mit, Kuckuck, Quivit!
Komm’ Sonne, komm’, wenn ich dich bitt!“
Und nun denkt niemand mehr weder an den Winter, noch an den Schneemann und sein „Kachelofenweh“, selbst nicht einmal der heisere Kettenhund.
Es ist ein Unterschied
Der Mai war gekommen. „Der Frühling ist da!“ predigten Büsche und Bäume, Felder und Wiesen. Es wimmelte von Blüten und vor allem oben an der Hecke. Da stand ein Apfelbäumchen, welches nur einen einzigen, von rosenroten Knospen überladenen Zweig getrieben hatte.
Das Bäumchen wußte wohl selbst, wie schön es war, denn das liegt im Blatte gerade so wie im Blute. Deshalb war es auch durchaus nicht überrascht, als plötzlich auf dem Wege dicht vor ihm ein herrschaftlicher Wagen anhielt und die junge Gräfin in demselben sagte, der Apfelbaum wäre das Lieblichste, was man sehen könnte, er wäre der Frühling selbst in seiner herrlichsten Offenbarung. Der Zweig wurde abgebrochen und sie hielt ihn in ihrer feinen Hand und beschattete ihn mit ihrem seidenen Sonnenschirme. Darauf fuhren sie nach dem Schlosse, wo sie hohe Säle und prächtige Zimmer aufnahmen. Klare, weiße Vorhänge flatterten an den offenen Fenstern und prächtige Blumen standen in glänzenden, durchsichtigen Vasen, und in eine derselben, die schimmerte, als ob sie aus frischgefallenem Schnee ausgeschnitten wäre, wurde der Apfelzweig zwischen frische, lichte Buchenzweige gesetzt; es war eine Lust ihn anzusehen.
Da wurde der Zweig stolz, und das war ja ganz begreiflich.
Viele Leute von mancherlei Gattung kamen durch die Zimmer, und je nach dem Ansehen, in welchem sie standen, durften sie ihre Bewunderung aussprechen. Einige sagten durchaus nichts und Andere sagten zu viel, und der Apfelzweig merkte, daß zwischen den Menschen ebenso gut ein Unterschied wäre, wie zwischen den Gewächsen, und da er gerade in das offene Fenster gesetzt war, von wo aus er sowohl in den Garten als auf das Feld hinabblicken konnte, so hatte er genug Blumen und Pflanzen zur Betrachtung und Überlegung. Da standen reiche und arme, selbst einige allzu arme.
„Arme, verworfene Kräuter!“ sagte der Apfelzweig, „da ist wahrlich ein Unterschied gemacht. Wie unglücklich mögen sie sich fühlen, falls derlei Art überhaupt fühlen kann, wie ich und meinesgleichen zu fühlen vermögen. Da ist wahrlich ein Unterschied gemacht, aber er muß gemacht werden, sonst wären ja alle einerlei!“
Der Apfelzweig sah mit einem gewissen Mitleid besonders auf eine Art Blumen, die sich in großen Mengen auf Feldern und an Gräben vorfanden. Niemand band sie in einen Strauß, sie waren viel zu gewöhnlich dazu, ja man konnte sie sogar zwischen den Pflastersteinen finden, sie schossen überall wie das ärgste Unkraut empor und hatten zum Überfluß noch den häßlichen Namen „des Teufels Butterblumen.“
„Armes, verachtetes Gewächs!“ sagte der Apfelzweig, „du kannst nichts dafür, daß du wurdest, was du wurdest, daß du so gewöhnlich bist. Aber es ist mit den Gewächsen wie mit den Menschen, es müssen Unterschiede sein!“
„Unterschiede,“ sagte der Sonnenstrahl und küßte den blühenden Apfelzweig, küßte aber auch des Teufels gelbe Butterblumen draußen auf dem Felde, alle Brüder des Sonnenstrahls küßten sie, die armen Blumen, wie die reichen.
Der Apfelzweig hatte nie über des lieben Gottes unendliche Liebe gegen alles, was in ihm lebt und webt, nachgedacht; der Strahl des Lichtes wußte es besser: „Du siehst nicht weit! Du siehst nicht klar!“ – sagte er. „Welches ist das verworfene Kraut, das du besonders beklagst?“
„Des Teufels Butterblumen!“ rief der Apfelzweig. „Nie werden sie in einen Strauß gebunden, sie werden mit Füßen getreten, es giebt zu viele von ihnen, und wenn sie in Samen schießen, fliegt er in Wollenflocken dahin und hängt sich den Leuten an die Kleider. Unkraut ist es!“
Über das Feld kam plötzlich eine ganze Schaar Kinder daher; das jüngste derselben war noch so klein, daß es von den anderen getragen wurde. Als es in das Gras zwischen die gelben Blumen niedergesetzt wurde, lachte es laut vor Freude, zappelte mit den Beinchen, wälzte sich umher, pflückte nur die gelben Blumen und küßte sie in süßer Unschuld. Die etwas größeren Kinder brachen die Blumen von den Stielen und bildeten Ringe aus denselben, bis endlich, Glied an Glied, eine ganze Kette daraus wurde, mit welcher sie sich schmückten. Aber die größeren Kinder pflückten vorsichtig die Stengel, die die flockenartig zusammengesetzte Samenkrone trugen, die lose, luftige, wollige Blume, welche wie ein kleines Kunstwerk aus den feinsten Federn, Flocken oder Daunen gebildet dasteht. Sie hielten sie an den Mund, um sie mit einem Hauch wegzublasen. Wer es fertig brächte, bekäme neue Kleider, ehe das Jahr um wäre, hatte Großmutter gesagt.
Die verachtete Blume war bei dieser Gelegenheit ein anerkannter Prophet.
„Siehst du?“ sagte der Sonnenstrahl, „siehst du die Schönheit, siehst du die Macht derselben?“
„Ja, für Kinder!“ versetzte der Apfelzweig.
Da kam ein altes Mütterchen auf das Feld hinaus und grub mit ihrem stumpfen grifflosen Messer unten um die Wurzel