Stephen Goldin

Geister, Frauen Und Andere Einbildungen


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welcher Teil war der Idiot? Er konnte doch nicht wirklich etwas lieben, was das Produkt seiner Einbildung war, das sich auf irgendeine Weise vor ihm materialisiert hatte. Diese Dorothy war kalt, unecht, ein Schatten-Produkt dieser mysteriösen Stadt.

      Und plötzlich war sie in seinen Armen und fühlte sich sehr real an, sehr lebendig. Ihr Gesicht nach oben gedreht suchte seines. Ihre kleinen Brüste waren gegen ihn gedrückt, ihre Beine rieben fest an seinen, mit sanften Bewegungen, die eindeutig sexuell waren. Ryan versuchte, zu widerstehen, versuchte, sich selbst zu versichern, dass dies nicht passierte. Er hatte seine Lügen zur Wahl, aber die Dorothy in seinen Armen war irgendwie überzeugender. Ihre linke Hand streichelte das Haar an der rechten Seite seines Kopfes. Ihre rechte Hand fummelte gierig an den Knöpfen des Kragens seiner Uniform herum. Ihr Mund presste sich auf den seinen, öffnete sich und da schoss ihre kleine, kräftige Zunge heraus und strich über die Spitzen seiner Zähne.

      Es gab nun keinen Zweifel mehr, konnte keinen mehr geben. Zur Hölle mit der Logik! Dies war echt. Es war kein Delirium seiner Sinne, sondern die echte Sache aus Fleisch und Blut. Er schwamm in einem Meer aus Gefühlen. Die beiden fielen zu Boden, der irgendwie gummiartig und widerstandsfähig wurde. Aber seine Gedanken hatten keine Chance, sich über diese Sache auszulassen, denn sein Körper ließ ihn nicht. Der Verstand hatte keine Chance gegen die Leidenschaft, wie schon immer, seit Jahrhunderten.

      Er war sogar so versunken, dass er das hartnäckige Summen seines Kommunikators nicht einmal bemerkte.

       ***

      Später stand Dorothy wieder auf. „Ich muss gehen”, sagte sie.

      „Musst du?“

      Sie nickte. „Aber ich komme jederzeit zurück, wenn du mich brauchst. Rufe mich einfach. Ich werde es wissen.“ Und weg war sie.

      Ryan lag auf seinem Rücken und starrte hinauf in den Himmel. Er war viel dunkler als er vorher gewesen war, und schmerzte nicht so sehr in seinen Augen. Es musste später Nachmittag sein. In einigen Minuten würde er aufstehen und seine Erkundungen fortsetzen, aber im Moment war er zu gesättigt um sich zu bewegen. Selbst zu blinzeln erschien ihm wie eine gigantische Anstrengung...

      „Amüsierst du dich?“ fragte eine bekannte Stimme.

      Ryan drehte ruckartig seinen Kopf herum und sah Bael ein paar Meter entfernt stehen und grinsen. Rot vor Schuld, Scham und entrüstetem Ärger erhob er sich umständlich. „Was fällt dir ein, mir nachzuspionieren?“

      „Tu ich nicht“, sagte Bael mit einem noch breiteren Grinsen. „Ich war nur in der Nähe und dachte, ich schaue eben vorbei. Und außerdem, ich könnte dir dieselbe Frage stellen, aber ich kenne die Antwort ja.“

      Ryan war nicht sicher, was ihn mehr ärgerte – Baels Wortgewandtheit, oder seine eigene Unzulänglichkeit, wenn es darum ging, mit dem Deserteur fertig zu werden. Bevor ihm etwas einfiel, was er sagen könnte, fuhr Bael fort: „Ich nehme an, es war Sex.“

      Ryans Gesichtsausdruck verriet ihn. „Das habe ich mir gedacht“, nickte Bael altklug. „Es scheint das zu sein, was die meisten von uns einsamen, männlichen Kundschafter-Typen am nötigsten brauchen. Es ist die eine Sache, die uns der Schiffscomputer nicht geben kann. Die Stadt weiß es, Jeff. Egal, wie sehr du versuchst, deine Gedanken zu verstecken, die Stadt weiß es.“

      „Also glaubst du wirklich, dass sie lebt.“ Das war keine Frage.

      „Ich weiß nicht. Es hängt davon ab, was du unter leben verstehst. Wenn du meinst, lebendig und atmend, das glaube ich nicht. Wenn du meinst sich dessen bewusst, was hier vorgeht, ja, das definitiv.“

      „Aber wie—”

      „Musst du ständig diese verdammten Fragen stellen?“ Nur für einen kurzen Moment gab es einen Riss in Baels Maske, der es Ryan ermöglichte, einen kurzen Blick auf die Unsicherheit unter der Oberfläche zu erhaschen. Dann war die Ausgeglichenheit wieder hergestellt, und Bael war wieder sein ungezwungen lässiges Selbst. „Akzeptiere doch einfach, was du hast, Jeff. Diese Stadt kann dir deine Träume geben. Sie möchte dir helfen. Ich weiß nicht, wie sie es macht; es ist mir egal. Wer auch immer sie erbaut hat, hat es so gemacht, das genügt mir.“

      „Und wo sind sie jetzt? Die sie gebaut haben? Was ist mit ihnen passiert?“

      Er versuchte, Baels Fassung noch einmal zu durchbrechen, aber diesmal versagte er. „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich haben sie sich an größere, bessere Dinge heran gemacht. Schade eigentlich, denn ich würde mich wirklich gerne bei ihnen bedanken.“

      „Bedanken wofür?“, fragte Ryan zynisch. „Dass sie dich in einen Schlappschwanz verwandelt haben? Du sitzt einfach rum und lässt die Stadt alles für dich tun, nicht wahr? Wer will schon ein Mann sein, wenn man ein Schnorrer sein kann—”

      „Bist du denn mehr Mann als ich, Jeff?“, antwortete Bael und was auch immer die Unruhe in ihm drinnen war, sie kam näher an die Oberfläche. „Sag mir, wer ist die Marionette hier? Wer springt jederzeit, wenn Java-10 ruft? Wer hält es nicht aus, länger als ein paar Sekunden von seiner Kommunkationseinheit getrennt zu sein? Wer von uns ist auf Befehl in der Stadt, und wer spaziert hier herum wie es ihm gefällt?“

      „Du warst einmal ein guter Offizier, Bael“, sagte Ryan leise. Zumindest für einen Moment waren ihre Rollen vertauscht – Bael war in die Enge getrieben und Ryan war es, der ihn irritierte.

      „Klar, war ich das“, schnappte Bael. „Ich habe Befehle befolgt und mein Leben für die liebe, alte Erde riskiert. Und was habe ich dafür bekommen? Eine Handvoll Medaillen, einen kleinen Zuschlag zu meinem Weihnachtsgeld jedes Jahr, eine schnell wachsende Rente. Nach einer Weile wird das alles bedeutungslos, Jeff. Aber nicht hier. Die Stadt will mich, braucht mich. Sie wurde gebaut, um Menschen zu dienen, um ihnen zu geben, was sie wollen. Sie möchte nur helfen. Ist das so schrecklich?“

      „Ja ist es – wenn sie tun kann, was sie mit dir gemacht hat.“

      Bael versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Kämpfe nicht dagegen an, Jeff. Dies ist nur eine gut gemeinte Warnung. Die Stadt kann sich vor dir mühelos schützen. Sie kann dir deine Träume geben, klar; aber Albträume sind auch Träume. Glaub nicht, dass du alle deine Albträume auf einmal bekämpfen kannst.“ Bael drehte sich um, und ging weg.

      Ryan stand da und sah ihm nach. Auch noch, als der Deserteur schon hinter einem Gebäude verschwunden war, stand Ryan regungslos. Drohte Bael nur, oder konnte die Stadt Albträume genauso wie Träume ausgraben? Er neigte dazu, Letzteres zu glauben. Wieder dachte er daran, wie sehr echt Dorothy gewesen war, und er erschauerte. Er hatte schon lange Zeit keine Albträume mehr gehabt, aber dennoch...dennoch.

      Er holte den Kommunikator aus seiner Tasche und rief wieder Java-10. „Wieso hast du den letzten Anruf nicht angenommen?“ war die sofortige Antwort des Schiffs.

      Vage erinnerte sich Ryan an das Summen, das von dem Kästchen gekommen war, während er mit Dorothy beschäftigt gewesen war. „Ich...Es tut mir leid“, stammelte er. Dann fand er sich, wie ein schuldiges Kind im Angesicht seiner strengen und wissenden Eltern, alle Details bezüglich allem, was geschehen war, seit er zuletzt mit dem Schiff gesprochen hatte, ausplappernd.

      Java-10 hörte allen seinen Offenbarungen ungerührt zu. „Du hast bei diesem Spielchen deine Pflichten vernachlässigt“, rügte er ihn, als er fertig war.

      „Ich weiß. Es wird nicht wieder passieren.“

      „Sehr schön, aber das ist auch keine Entschuldigung dafür, dass es das erste Mal passierte.“ Dann wechselte die Maschine das Thema komplett. „Ein kohärentes Bild der Arbeitsweise der Stadt beginnt sich abzuzeichnen. Es scheint eine automatische Kraft oder Kräfte zu geben, die hinter den Kulissen arbeitet und sich dessen bewusst ist, was vor sich geht. Wir können offenbar annehmen, dass diese kontrollierende Kraft irgendeine Art von telepathischen Fähigkeiten besitzt, die es ihr ermöglichen, deine Wünsche zu erkennen, und dir Illusionen in deine Gedanken zu projizieren.“

      „Es muss noch mehr geben. Der Stuhl, auf dem ich saß, war echt. Er hielt mein ganzes Gewicht aus.