Was seh ich? Ihr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantasie?—Emilia Galotti!
Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?
Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem Bilde zu verwenden). So halb!—um sie eben wiederzukennen.—Es ist einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. —Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen—wo das Angaffen sich weniger ziemet.—Auch kenn ich ihren Vater. Er ist mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf Sabionetta am meisten widersetzte.—Ein alter Degen, stolz und rauh, sonst bieder und gut!-Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.
Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein Lob vergißt.
Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir gelassen.—Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst.—Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wieviel geht da verloren!—Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler bin, daß es aber meine Hand nur nicht immer ist.—Oder meinen Sie, Prinz, daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie, Prinz?
Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie, Conti? Was wollen Sie wissen?
Conti. O nichts, nichts!—Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.
Der Prinz (mit einer erzwungenen Kälte). Also, Conti, rechnen Sie doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten unserer Stadt?
Conti. Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten unserer Stadt?—Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze Zeit ebensowenig, als Sie hörten.
Der Prinz. Lieber Conti—(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur allein ein Maler von der Schönheit zu urteilen.
Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines Malers warten?—Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schönheit.—Die Schilderei selbst, wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese Kopie—Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist doch nicht schon versagt?
Conti. Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.
Der Prinz. Geschmack!—(Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem meinigen zu machen?—Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder mit—einen Rahmen darum zu bestellen.
Conti. Wohl!
Der Prinz. So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann.
Es soll in der Galerie aufgestellet werden.—Aber dieses bleibt hier.
Mit einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand.—Ich danke Ihnen, Conti; ich danke Ihnen recht sehr.—Und wie gesagt: in meinem Gebiete soll die Kunst nicht nach Brot gehen—bis ich selbst keines habe.
–Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf Ihre Quittung, für beide Porträte sich bezahlen—was Sie wollen.
Soviel Sie wollen, Conti.
Conti. Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch etwas anders belohnen wollen als die Kunst.
Der Prinz. O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch!—Hören Sie, Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)
Fünfter Auftritt
Der Prinz. Soviel er will!—(Gegen das Bild.) Dich hab ich für jeden Preis noch zu wohlfeil.—Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß ich dich besitze?—Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur!—Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!—Am liebsten kauft' ich dich, Zauberin, von dir selbst!—Dieses Auge voll Liebreiz und Bescheidenheit! Dieser Mund!—Und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn er lächelt! Dieser Mund!—Ich höre kommen.—Noch bin ich mit dir zu neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird Marinelli sein. Hätt' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen Morgen könnt' ich haben!
Sechster Auftritt
Marinelli. Der Prinz.
Marinelli. Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen.—Ich war mir eines so frühen Befehls nicht gewärtig.
Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön.
–Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen.
–(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?
Marinelli. Nichts von Belang, das ich wüßte.—Die Gräfin Orsina ist gestern zur Stadt gekommen.
Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig darauf.—Sie haben sie gesprochen?
Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?—Aber, wenn ich es wieder von einer Dame werde, der es einkömmt, Sie in gutem Ernste zu lieben, Prinz: so—Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli!
Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Könnt' es doch kommen?—Oh! so mag die Gräfin auch so unrecht nicht haben.
Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!—Meine nahe Vermählung mit der Prinzessin von Massa will durchaus, daß ich alle dergleichen Händel fürs erste abbreche.
Marinelli. Wenn es nur das wäre: so müßte freilich Orsina sich in ihr Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines.
Der Prinz. Das unstreitig härter ist als ihres. Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zurücknehmen, aber nicht wider Willen verschenken.
Marinelli. Zurücknehmen? Warum zurücknehmen? fragt die Gräfin: wenn es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die Liebe, sondern die Politik zuführet? Neben so einer Gemahlin sieht die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fürchtet sie aufgeopfert zu sein, sondern—Der Prinz. Einer neuen Geliebten. —Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli?
Marinelli. Ich?—Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der Närrin, deren Wort ich führe—aus Mitleid führe. Denn gestern, wahrlich, hat sie mich sonderbar gerühret. Sie wollte von ihrer Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgültigsten Gespräche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung über die andere, die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie die melancholischsten Dinge: und wiederum die lächerlichsten Possen mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben.
Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoß gegeben.—Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr zurückzubringen?—Wenn sie aus Liebe närrisch wird, so wäre sie es, früher oder später, auch ohne Liebe geworden—Und nun, genug von ihr. —Von etwas andern!—Geht denn gar nichts vor in der Stadt?—Marinelli. So gut wie gar nichts.—Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani heute vollzogen wird—ist nicht viel mehr