Блейк Пирс

Verschwunden


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Lächeln. Die offenen Augen. Die künstliche Rose, die zwischen den ausgestreckten Beinen der Leiche lag.

      Die Bilder in ihrem Kopf waren jetzt klar. Nun musste sie das gleiche tun wie am Tag zuvor – ein Gefühl für den Verstand des Killers bekommen.

      Sie schloss wieder die Augen, entspannte sich und schritt in den dunklen Abgrund. Sie hieß das benommene, schwindelige Gefühl willkommen während sie sich in die Gedanken des Mörders versetzte. Bald würde sie bei ihm sein, in ihm, genau sehen was er sah, fühlen was er fühlte.

      Er war nachts hierher gefahren, alles andere als selbstbewusst. Er hatte die Straße ängstlich betrachtete, besorgt über das Eis unter seinen Rädern. Was, wenn er die Kontrolle verlor und in einen Graben rutschte? Er hatte eine Leiche an Bord. Er würde mit Sicherheit geschnappt werden. Er musste vorsichtig fahren. Er hatte gehofft sein zweiter Mord würde einfacher sein als der erste, aber er war immer noch ein Nervenbündel.

      Er hielt den Wagen an. Er zog den Körper aus dem Auto – nackt, nahm Riley an – ins Freie. Aber es war schon steif von der Leichenstarre. Damit hatte er nicht gerechnet. Es frustrierte ihn und erschütterte sein Selbstbewusstsein. Dass er nicht wirklich sehen konnte, was er tat, nicht einmal mit den Scheinwerfern auf den Baum gerichtet, machte es noch schlimmer. Die Nacht war viel zu dunkel. Er machte sich eine mentale Notiz das nächste Mal, wenn möglich, bei Tageslicht zu fahren.

      Er zog den Körper zum Baum und versuchte ihn in der Pose zu drapieren, die er sich vorgestellt hatte. Es funktionierte nicht gut. Der Kopf der Frau war nach links gefallen, steif gefroren durch die Leichenstarre. Er riss und zog daran. Selbst nachdem er ihr Genick gebrochen hatte konnte er ihn nicht gerade nach vorne richten.

      Und wie sollte er die Beine richtig spreizen? Eins der Beine war hoffnungslos angewinkelt. Er hatte keine andere Wahl als das Brecheisen aus dem Wagen zu holen und ihren Oberschenkel und ihre Kniescheibe zu zertrümmern. Dann drehte er das Bein so gut wie möglich, aber konnte es nicht zu seiner Zufriedenheit ausrichten.

      Schließlich ließ er die pinke Schleife um ihren Hals zurück, die Perücke auf ihrem Kopf und die Rose im Schnee. Dann war er wieder ins Auto gestiegen und davongefahren. Er war enttäuscht und entmutigt gewesen. Und er hatte Angst gehsbt. Hatte er in seiner Unbeholfenheit einen verhängnisvollen Hinweis hinterlassen? Er wiederholte jede Handlung immer wieder in seinem Kopf, aber er konnte sich nicht sicher sein.

      Er wusste, er musste es beim nächsten Mal besser machen. Er versprach sich selbst, dass er es besser machen würde.

      Riley öffnete die Augen. Sie ließ die Präsenz des Killers verblassen. Sie war mit sich selbst zufrieden. Sie hatte sich nicht überwältigen lassen. Und sie hatte wertvolle Einblicke bekommen. Sie hatte ein Gefühl dafür bekommen wie der Mörder sein Handwerk lernte.

      Sie wünschte nur, dass sie etwas – egal was – über seinen ersten Mord wüsste. Sie war sich sicherer als je zuvor, dass er schon vorher getötet hatte. Das hier war die Arbeit eines Lehrlings gewesen, nicht die eines Anfängers.

      Gerade als Riley sich umdrehte, um zu ihrem Auto zurückzugehen, fiel ihr Blick auf etwas im Baum. Ein kleiner gelber Fleck war sichtbar, wo sich der Baum über ihrem Kopf teilte.

      Sie ging an den Baum heran und sah nach oben.

      “Er ist nochmal hier gewesen!” keuchte Riley laut. Schauer liefen ihr über den Rücken und sie sah sich nervös um. Niemand schien in der Nähe zu sein.

      In die Äste des Baums gesetzt, starrte eine nackte, weibliche Puppe mit blonden Haaren auf Riley herunter, in der gleichen Weise positioniert, in der der Mörder sein Opfer hatte drapieren wollen.

      Sie konnte noch nicht lange hier sein – höchstens drei oder vier Tage. Sie war noch nicht durch Wind bewegt oder Regen beschädigt worden. Der Mörder war hergekommen, als er sich selbst auf den Mord an Reba Frye vorbereitet hatte. So wie Riley es getan hatte, war er hergekommen um seine Arbeit zu reflektieren, seine Fehler kritisch zu betrachten.

      Sie machte Fotos mit ihrem Handy und schickte sie sofort an das Büro.

      Riley wusste, warum er die Puppe hier zurückgelassen hatte.

      Eine Entschuldigung für vergangene Schlampigkeit, dachte sie.

      Es war außerdem ein Versprechen für bessere Arbeit in der Zukunft.

      Kapitel 9

      Riley fuhr in die Richtung von Senator Mitch Newbroughs Herrenhaus und ihr Herz füllte sich mit Grauen, als es in Sichtweite kam. Am Ende einer langen, mit Bäumen gesäumten Auffahrt, stand es riesig, formell und einschüchternd. Sie hatte es schon immer schwerer gefunden mit den Reichen und Mächtigen umzugehen, als mit Leuten weiter unten auf der sozialen Leiter.

      Sie parkte in dem gepflegten Zirkel vor dem Haus. In der Tat das Haus einer sehr reichen Familie.

      Sie stieg aus und ging zu den gewaltigen Eingangstüren. Nachdem sie geklingelt hatte, wurde sie an der Tür von einem proper aussehenden Mann um die Dreißig begrüßt.

      “Ich bin Robert,” sagte er. “Der Sohn des Senators. Und Sie müssen Spezialagentin Paige sein. Kommen Sie rein. Meine Mutter und mein Vater erwarten Sie.”

      Robert Newbrough führte Riley ins Haus, das sie sofort wieder daran erinnerte, dass sie diese Art von pompösen Häusern nicht leiden konnte. Das Newbrough Haus war besonders groß und der Weg bis zu dem Raum, in dem der Senator und seine Frau warteten, war unangenehm lang. Riley war sich sicher, dass es eine Art Einschüchterungstaktik war seine Gäste so lange gehen zu lassen; ein Weg um mitzuteilen, dass die Bewohner dieses Hauses zu mächtig waren um sich mit ihnen anzulegen. Riley fand die Dekoration und die Möbel aus der Kolonialzeit außerdem alles andere als schön.

      Mehr als alles andere graute ihr vor dem, was in dem Raum auf sie wartete. Für sie war das Reden mit den Familien von Opfern einfach nur schrecklich – viel schlimmer als mit den Tatorten oder sogar den Opfern umzugehen. Es war zu einfach sich in die Trauer, die Wut und die Verwirrung der Leute einwickeln zu lassen. Diese intensiven Emotionen störten ihre Konzentration und lenkten sie von ihrer Arbeit ab.

      Während sie durch das Haus gingen, sagte Robert Newbrough, “Vater ist zu Hause, seit …”

      Er brach in der Mitte des Satzes ab und Riley konnte das Ausmaß seines Verlustes spüren.

      “Seit wir von Reba gehört haben,” fuhr er fort. “Es ist schrecklich. Mutter ist besonders erschüttert. Versuchen Sie sie nicht zu sehr aufzuregen.”

      “Mein Beileid für ihren Verlust,” sagte Riley.

      Robert ignorierte sie und führte Riley in ein geräumiges Wohnzimmer. Senator Mitch Newbrough und seine Frau saßen zusammen auf einer riesigen Couch und hielten sich an den Händen.

      “Agentin Paige,” stellte Robert sie vor. “Agentin Paige, lassen Sie mich meine Eltern vorstellen, den Senator und seine Frau, Annabeth.”

      Robert bot Riley einen Platz an und setzte sich dann selbst.

      “Zuerst,” sagte Riley ruhig, “möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.”

      Annabeth Newbrough nahm dies mit einem stillen Nicken zur Kenntnis. Der Senator starrte einfach weiter geradeaus.

      In dem kurzen Schweigen, das folgte, versuchte Riley ihre Gesichter einzuschätzen. Sie hatte Newbrough oft im Fernsehen gesehen, immer mit seinem Politikerlächeln. Jetzt lächelte er nicht. Riley hatte noch nicht viel von Frau Newbrough gesehen, die die typische Fügsamkeit einer Politikerfrau zu besitzen schien.

      Beide waren Anfang sechzig. Riley bemerkte, dass sie beide große Anstrengungen unternommen hatten um jünger auszusehen – Haarimplantate, gefärbtes Haar, Lifting im Gesicht, Make-up. Rileys Meinung nach hatten ihre Bemühungen nur dafür gesorgt, dass sie leicht künstlich aussahen.

      Wie Puppen, dachte Riley.

      “Ich muss Ihnen einige Fragen über ihre Tochter stellen,” sagte Riley und nahm ihr Notizbuch aus der Tasche. “Standen Sie in letzter Zeit in engem Kontakt zu Reba?”

      “Oh ja,” sagte Frau Newbrough. “Wir stehen uns sehr nahe.”

      Riley